Chez nous

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Ein Blick ins Herz des radikalen Populismus

Eines der wichtigsten Bücher des letztjährigen Frühjahrs war Der Block von Jérôme Leroy. Hierin erzählt er von zwei Männern, einem Intellektuellen und einem Schläger, die eine Nacht in Paris an verschiedenen Orten getrennt voneinander sitzen und sich an ihre Zeit mit dem „Patriotischen Block“ erinnern, einer rechtsradikalen Partei, die mittlerweile von Agnès Dorgelle geführt wird, nachdem sich ihr Vater ins Aus manövriert hat. Durch sie – und durch bürgerkriegsähnliche Zustände in den Banlieues – ist die Partei im Aufwind und soll nun an der Regierung beteiligt werden. Aber dafür muss der Schläger weg, er heißt Stanko, hat den paramilitärischen Ordnungsdienst gegründet und kennt zu viele schmutzige Geheimnisse der Partei.
Es ist dieses Buch, das Lucas Belvaux dazu gebracht hat, Das ist unser Land! zu drehen. Nach Aussage in einem Interview im Presseheft erschien es ihm unmöglich, den Roman zu adaptieren, also hat er mit Jérôme Leroy ein Drehbuch geschrieben, das in diesem Sujet spielt und einige Figuren wieder aufgreift. Darunter sind Agnes Dorgelles (Catherine Jacob) und besagter Stanko (Guillaume Gouix), im Mittelpunkt steht indes die Krankenpflegerin Pauline (Émilie Dequenne), die in einer Kleinstadt im Norden Frankreichs selbständig ist und sich um pflegebedürftige Menschen kümmert. Sie ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, kümmert sich um ihren kranken Vater, ist fleißig, sympathisch und kennt die Menschen in diesem Ort, sie hört ihnen zu und sorgt für ihre Bedürfnisse. Das macht sie in den Augen des Allgemeinmediziners Dr. Philippe Berthier (André Dussollier) zu der idealen Kandidatin für die Nationale Volksbewegung bei den Wahlen für das Bürgermeisteramt. Anfangs ist sie skeptisch, aber die Bemühungen Berthiers, sie zu überzeugen, schmeicheln ihr. Außerdem sieht sie die Notwendigkeit, dass sich etwas ändern muss – und glaubt für eine Weile, dass sich die Nationale Volksbewegung von dem rechtsradikalen Gedankengut verabschiedet hat, für das sie einst in die Schlagzeilen geriet. Also beschließt sie, für die Partei zu kandidieren – und da sie zudem ihrer Jugendliebe Stanko begegnet ist, hofft sie auch privat auf einen Neuanfang.

Mit Pauline wird in dem Film der Blick eines politisch unerfahrenen Neulings gewählt, der auf eine Position gehievt wird und sich von Anfang an als zu schwach erweist, um wirklich eigene Akzente setzen zu können. Zumindest der Zuschauer merkt sehr schnell, dass sie letztlich eine Marionette ist, eine bewährte Taktik von radikalen Parteien, Menschen aus dem Ort anzuwerben und sich damit lokal zu etablieren. In den Nebenhandlungen spürt Lucas Belvaux indessen den Veränderungen in der Gesellschaft dieses Ortes nach: Eine Freundin von Pauline unterstützt sie sehr und fühlt sich von den Geflüchteten und arabischstämmigen Franzosen bedroht, sie radikalisiert sich zunehmend. Noch viel weiter ist der Sohn dieser Familie, der eine rechtsradikale Webseite betreibt und agitiert und auch Paulines älteren Sohn zunehmend auf seine Seite zieht. Hinzu kommt Stankos Geschichte, der von der Partei ins Abseits geschoben wurde, weil er nicht zum neuen Image passt, aber sein Gedankengut und seine Überzeugungen haben sich allen Versprechungen gegenüber Pauline zum Trotz nicht verändert. Und schließlich gibt es die scheinbar kultivierten Radikalen, die Ärzte und Intellektuellen, die glauben, das „einfache Volk“ steuern zu können, und die Parteivorsitzende, die manipuliert und geschickt agiert. Sie ist deutlich an Marine Le Pen angelehnt, bleibt aber eine Randfigur in diesem Geschehen.

Die Absicht dieses zweistündigen Films ist sehr deutlich zu erkennen: Er will auf- und erklären, er will ein Bild der Gesellschaft liefern, er will vor Veränderungen und ihren Ausmaßen warnen. Aber leider bleibt er dabei in Bildsprache und Erzählhaltung allzu konventionell und didaktisch, schon die Anlage mit einer herzensguten, einfachen Krankenschwester, die auf politische Karrieristen trifft, ist zu einfach. Dabei erweisen sich zudem ausgerechnet die Figuren, die in dem Roman schon erschienen, als weiterer Schwachpunkt. Stanko lässt sich innerhalb dieser fiktionalen Welt nicht verordnen, er müsste entweder tot oder aktiver sein; Agnès Dorgelle bleibt weit mehr Abziehbild als tatsächliche Gefahr. Aber es gelingt Belvaux, die Verführungskraft dieser Partei zu zeigen, die die Ängste der Menschen vor dem Verlust der Arbeitsplätze und vor den „Fremden“ zu ihren Zwecken manipuliert. Daher liefert dieser Film einen ersten Einblick in die zunehmende Radikalisierung einer Gemeinschaft. Und wer tiefere Einblicke in das Innenleben einer radikalen Partei sucht, sollte zu Leroys Der Block greifen.

Chez nous

Eines der wichtigsten Bücher des letztjährigen Frühjahrs war „Der Block“ von Jérôme Leroy. Hierin erzählt er von zwei Männern, einem Intellektuellen und einem Schläger, die eine Nacht in Paris an verschiedenen Orten getrennt voneinander sitzen und sich an ihre Zeit mit dem „Patriotischen Block“ erinnern, einer rechtsradikalen Partei, die mittlerweile von Agnès Dorgelle geführt wird, nachdem sich ihr Vater ins Aus manövriert hat.
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