Cheyenne - This Must Be the Place (2011)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Oh my Goth!

Ist dies nun ein Mann oder eine Frau? Am Anfang sehen wir ein Gesicht in Großaufnahme, sehen wie Lippenstift, Kajal und Mascara aufgetragen werden und sind doch irritiert, weil die Augen und der Mund so wenig weiblich aussehen. Und tatsächlich, schon wenig später weiß man, dass Cheyenne (Sean Penn), der aussieht wie ein Klon aus Robert Smith (der Sänger von The Cure) und einer abgehalfterten Cher am ehesten der Kategorie Mann zuzuordnen ist. In Wirklichkeit aber ist der Ex-Rockstar Cheyenne vor allem ein Mischwesen aus verwöhntem Kleinkind und uraltem, klapprigem Wrack. Der jahrelange Drogenkonsum und das ausschweifende Leben haben die Stimme brüchig und die Gliedmaßen tattrig werden lassen. Und der Einkaufstrolley, den Cheyenne immer überallhin mitnimmt, wird bald schon von einem schicken Rollator abgelöst werden, daran besteht kein Zweifel.

So schleppt sich Cheyenne durchs Leben, vertreibt sich die Zeit mit seiner Frau Jane (Frances McDormand) oder dem „lost girl“ Mary (Eve Hewson), mit dem er die Shopping Malls unsicher macht, und trauert den alten Zeiten hinterher. Doch immer, wenn es Begegnungen mit der Vergangenheit gibt, dann sind diese wenig dazu angetan, ihn aus seiner selbstgewählten Agonie zu erlösen, denn wer wird schon gerne von den Eltern eines toten Teenagers der moralischen Verführung der Jugend angeklagt.

Auch eine weitere Begegnung mit der Vergangenheit ist wenig dazu angetan, Cheyennes Leben wieder den entscheidenden Stoß nach vorne zu geben. Als er die Nachricht erhält, dass sein Vater verstorben ist, bedeutet dies nämlich das endgültige Aus für seine Pläne, sich mit dem alten Herren zu versöhnen. Dann aber ergibt sich wie aus heiterem Himmel doch die Chance zur Wiedergutmachung, denn sein Vater, ein Überlebender der KZs, hat Material gegen einen der ehemaligen Aufseher und Folterknechte gesammelt und ist diesem in den USA Untergetauchten sehr nahe gekommen. Und Cheyenne macht sich nun auf eine Reise quer durch das Land, um dieses Werk zu Ende zu bringen…

Cheyenne — This Must Be The Place ist ein seltsamer, ein irritierender Film voller Gegensätze und Widersprüchlichkeiten, voller wunderschöner und skurriler Momente und unerwarteter Entwicklungen. Über jeden Zweifel erhaben ist Sean Penn in der Rolle des Rockstars Cheyenne, der wie ein wirklich alter Mann schlurft, der mit weicher, zitternder Stimme all die Fragen stellt, die gesetzte Leute seines Alters sich niemals trauen würden zu fragen. Die Tristesse seines Daseins in einem ebenso prachtvollen wie sterilen Herrenhaus in Irland hat eigentlich das Zeug zum ganz großen Drama über vergangenen Ruhm und die Unfähigkeit, nach dem Abflauen der Popularität in ein „normales“ Leben zurück zu kehren. Was am Anfang vor allem eine wie auf Psychopharmaka und Valium gedrehte Zustandsbeschreibung eines Lebens am Nullpunkt ist, kippt dann recht unvermutet und wird zu einer Mischung aus Roadmovie und Selbstfindungstrip, aus Familienaufarbeitung und Nazijagd, aus absurder Komödie mit todernstem Hintergrund. Was am Ende herauskommt, ist ein ambivalenter Film, der trotz starker und verblüffender Momente und einer begnadeten Darstellerleistung von Sean Penn nicht nur begeistert, sondern auch irritiert, weil man nie weiß, was Paolo Sorrentino im nächsten Moment aus seinem Hut zaubert.

Wie sich Cheyenne — This Must Be The Place und seine Hauptfigur auch hätten entwickeln können, zeigt übrigens ein anderer, ein real gealterter Rockstar – nämlich David Byrne, dessen Live-Performance des Titelsongs auf der Bühne zu den absoluten Höhepunkten des Filmes gehört. Und das sagt dann doch nach einigem Überlegen einiges über Sorrentinos überaus ambitionierten, manchmal aber auch schlicht überladenen Film aus, dessen Ende im Gegensatz zu den vorher gezeigten Absurditäten und verdrehten Wendungen beinahe schon mutlos wirkt. Dass sein Film dennoch nicht abstürzt, sondern mal mehr, mal weniger souverän zwischen Genie und Scheitern pendelt, dafür muss er sich wohl zuallererst bei Sean Penn und David Byrne sowie der überaus sehenswerten Kameraarbeit von Luca Bigazzi bedanken. Die machen aus dem Film zwar kein Meisterwerk, aber immerhin ein sperriges Hybrid aus Popmärchen, Road Movie, mildem Rachedrama und verspätetem Coming-of-age-Film mit einer äußerst anrührenden Hauptfigur, die eigentlich niemals wirklich erwachsen wurde. Vielleicht macht ja gerade dieser Umstand aus Cheyenne einen „Helden“, der dem Zuschauer so nahe geht – in einer zunehmend infantilen Gesellschaft wie der unseren gerät dieser Mann mit der leisen Stimme beinahe schon zu einer Art Narr, der uns den Spiegel vorhält.
 

Cheyenne - This Must Be the Place (2011)

Ist dies nun ein Mann oder eine Frau? Am Anfang sehen wir ein Gesicht in Großaufnahme, sehen wie Lippenstift, Kajal und Mascara aufgetragen werden und sind doch irritiert, weil die Augen und der Mund so wenig weiblich aussehen. Und tatsächlich, schon wenig später weiß man, dass Cheyenne (Sean Penn), der aussieht wie ein Klon aus Robert Smith (der Sänger von The Cure) und einer abgehalfterten Cher am ehesten der Kategorie Mann zuzuordnen ist.

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Meinungen

Jörg · 17.11.2011

Surrealistischer Film, mit witzigen Dialogen und tollen Bildern. Der Film ist inhaltlich sehr dicht, man hat das Gefühl man kann sich gar nicht alles merken.
Für mich gibt es zwei Entwichlungsstränge, der eine hat mit Vergebung zu tun, der andere mit Erwachsen werden. Das "Erwachsen werden" endet in einem relativ schwachen Schlußbild. Das Thema Rache/Aggression/Angst/Vergebung ist dafür umso stärker und beeindruckender in dem Film verarbeitet.
Ein durch und durch sehenswerter Film.