Chellaponnu

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Bemühte Parallelwelten

Lange dauert es, bis in Silke Abendscheins 67-minütigem Dokumentarfilm Chellaponnu das erste verstehbare Wort fällt. Zuvor sieht man Alltagsimpressionen vom Leben in einem Land, das man ohne Erläuterung am ehesten als Indien einordnet. Wir sehen Frauen bei der mühevollen Feldarbeit, Kinder, die auf den staubigen Straßen herumtollen, gemeinsames Beten und all die anderen Faktoren, die den kargen Alltag dieser Frauen bestimmen. Was bei diesen ersten Szenen einzig irritiert, sind die Schwarzweiß-Fotografien, die immer wieder dazwischen geschnitten sind und die sowohl durch ihre Statik als auch ihre Farbigkeit und die offensichtlich andere Herkunft einen deutlichen Kontrapunkt setzen. Dass diese Fotografien nicht vom Leben in Indien erzählen, hat man aufgrund der Motive zwar schon geahnt, doch gewiss wird dies erst, als eine weibliche Erzählstimme mit schwäbischem Akzent vom Leben in früheren Zeiten in der süddeutschen Provinz berichtet. Später, so erfährt man, kristallisiert sich der Name dieser Frau heraus, deren Bericht aus der Vergangenheit den Film begleitet. Sie heißt Rose. Zu Gesicht bekommen wird man diese Frau aber nie. Stattdessen wird der Erzählfluss auf der Tonebene nur durch gelegentlich eingeschobene Interviews mit indischen Frauen, in denen sie wiederum von ihrem gegenwärtigen Leben berichten. Was die beiden Ebenen miteinander zu tun haben, muss man sich mehr oder weniger selbst zusammenreimen, wenn man von den ganz offensichtlichen Berührungspunkten einmal absieht, die beispielsweise darin bestehen, dass man Bilder vom Waschen sieht, wenn die Off-Erzählerin von samstäglichen Baderitualen spricht.
Wirklich schlauer über die Intentionen des Films über das Offensichtliche hinaus macht auch der Blick auf die Website des Filmes nicht. Dort sind unter anderem bei der Intention der Regisseurin zu ihrem Film folgende Sätze zu lesen: „Betrachtet man die Situation der Frauen im heutigen indischen Hinterland, liegt es nahe, einen Film zu machen, der die oft schlimmen und ärmlichen Lebensbedingungen der Frauen dort zeigt. Doch in all den Jahren meiner Arbeit in diesen Gebieten ist mir vor allem eines begegnet: Liebe und eine sehr große Lebensfreude inmitten der alltäglichen Härte des Lebens und gesellschaftlicher Benachteiligungen. Ich möchte den Zuschauer durch diesen Film teilhaben lassen am ganz alltäglichen Leben dieser Frauen und diesen die Möglichkeit geben, sich zu äußern und gehört zu werden. Im Kleinen des Alltags das Große entdecken. Welche Wünsche haben sie, welche Träume? Wie gestaltet sich ihr Alltag und wie sehr treffen unsere klischeehaften Vorstellungen von der großen Rückständigkeit im Leben auf dem Land in Indien zu?“ Was aber, so fragt man sich angesichts der Absicht der Filmemacherin unwillkürlich, haben Roses Erzählungen von ihren jungen Jahren mit dem gezeigten Alltagsleben zu tun — und zwar jenseits von Ähnlichkeiten wie Schwierigkeiten bei der freien Entfaltung und anderen Verknüpfungen? Was soll uns das Konzept zeigen? Dass sich ein Frauenleben im Schwaben der 1960er Jahre und im Indien der Gegenwart vergleichen lässt? Dass Frauen damals wie heute mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben? Kann man das überhaupt miteinander vergleichen?

Die zu diesem Zwecke bemühte Parallelität zwischen dem (weiblichen) Leben heutzutage in Indien und dem Heranwachsen als junge Frau in Schwaben um 1960 bildet die Grundidee von Chellaponnu – Nette Mädchen, doch wirklich überzeugend ist die Verknüpfung nicht geraten. Dazu erfährt man letzten Endes über beide Lebenswelten zu wenig, was über Allgemeinplätze hinausgehen würde. Insbesondere die recht monotone Stimmlage Roses und ihre teilweise recht banalen Gedanken tragen überdies auch nicht gerade dazu bei, die angedeuteten Affinitäten genauer zu erkunden. Zumal man sich des Verdachts nicht erwehren kann, dass die bemühten Parallelen mindestens im gleichen Maße überzeugend (oder eben wie in diesem Fall nicht überzeugend) auch zwischen Frauen anderer Provenienz bestehen würden. So faszinierend also die Grundidee des filmischen Vergleichs von Lebenssituationen auch sein mag, — der derzeit im Kino laufende Dokumentarfilm Auf dem Weg zur Schule macht ja im Prinzip nichts anderes: In diesem Fall greift das Konzept leider viel zu kurz und sorgt dafür, dass man sich die Erzählerin binnen kurzer Zeit in einen außerfilmischen und vor allem schalldichten Raum wünscht.

Chellaponnu

Lange dauert es, bis in Silke Abendscheins 67-minütigem Dokumentarfilm „Chellaponnu“ das erste verstehbare Wort fällt. Zuvor sieht man Alltagsimpressionen vom Leben in einem Land, das man ohne Erläuterung am ehesten als Indien einordnet. Wir sehen Frauen bei der mühevollen Feldarbeit, Kinder, die auf den staubigen Straßen herumtollen, gemeinsames Beten und all die anderen Faktoren, die den kargen Alltag dieser Frauen bestimmen.
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