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Safy Nebbou lässt Juliette Binoche in „So wie du mich willst“ in die Welt des digitalen Scheins eintauchen – als Frau, die sich ein Fake-Profil anlegt und dabei unverhofft die (echte?) Liebe findet.

So wie du mich willst (2019)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Sei (nicht) du selbst

Ein anderer, besserer Mensch zu werden – schöner, interessanter, klüger –, dieses Versprechen gibt es schon lange. Die Werbeindustrie sowie die Ratgeberliteratur oder das Fitness-Business leben seit jeher davon. In Zeiten sozialer Medien scheint es indes so leicht wie nie, anderen Leuten die Illusion eines perfekten Daseins vorzugaukeln.

Statt teure Kosmetikprodukte zu kaufen oder harte Arbeit an Körper und Geist zu leisten, genügt es bereits, die eigenen Bilder via Photoshop aufzuhübschen, sich eine riesige „Freundesliste“ zusammenzutragen, um beliebt zu wirken, und nur die Erfolge, die Höhepunkte und Glücksmomente zu posten. „But your blog looks so happy“, lautet die pointierte, den Widerspruch zwischen virtuellem Schein und realem Sein erfassende Feststellung der Protagonistin aus dem Charakterstück Frances Ha (2012), als sich deren beste Freundin über den eigenen unglücklichen Alltag beklagt.

Von der extremsten Form, sich selbst im Netz zu optimieren, erzählt wiederum der Franzose Safy Nebbou in seinem neuen Werk So wie du mich willst. Darin schlüpft die Literaturdozentin Claire (Juliette Binoche) gleich in einen neuen, etwa halb so alten Körper. Grund für dieses Manöver ist zunächst das Ausspionieren ihres jüngeren Lovers Ludo (Guillaume Gouix). Als dieser sich auf eine Reise begibt, legt sie sich unter falschem Namen und mit den Fotos einer anderen Frau ein Facebook-Profil an und nimmt Kontakt zu Ludos Kumpel Alex (François Civil) auf, um auf diesem Wege mehr über Ludo zu erfahren. Rasch entwickelt sich zwischen Claire und dem charmanten Fotografen allerdings ein anregender Flirt via Chat und Telefon. Alex will Claire beziehungsweise deren Avatar „Clara“ alsbald kennenlernen – und Claire wünscht sich, mit Alex zusammen sein zu können. Aber was liebt Alex an ihr? Die geistreichen Worte, die angenehme Stimme oder doch nur die Bilder einer 24-Jährigen, die angeblich als Praktikantin im Mode-Sektor tätig ist?

Es kann überaus dröge sein, Menschen vor Laptop-Bildschirmen oder mit einem Smartphone in der Hand abzufilmen. Ähnlich wie seinem Landsmann Olivier Assayas in Personal Shopper (2016) gelingt es Nebbou aber, den Reiz und die Besonderheiten einer Cyber-Unterhaltung audiovisuell einzufangen. Dies liegt zum einen an den Schauspiel-Fähigkeiten von Juliette Binoche. Wenn Claire mit Alex chattet oder telefoniert und dabei in ihrem Wohnzimmer, in der Bibliothek oder auf der Toilette sitzt, durch die Straßen von Paris oder die Gänge im Supermarkt läuft – dann passiert in Binoches Gesicht stets so viel, dass ein körperliches Leinwand-Gegenüber gar nicht nötig ist. Ganz hervorragend ist eine Autoerotik-Szene (im doppelten Sinne), in der Claire nach einer Party – auf welcher sie wirklich großartig zum HVOB-Song Dogs getanzt hat – in ihr Auto steigt, Alex anruft und sich die beiden mit ihren Worten gegenseitig zum Orgasmus bringen.

Zum anderen flicht Nebbou einige gute Ideen in seine Inszenierung ein, um den virtuellen Charakter der Verbindung zwischen Claire und Alex zu betonen – etwa wenn das Geräusch, das beim Tippen einer Antwort zu hören ist, in den Score des Films integriert wird. Der Rausch, den ein sexy Chat erzeugen kann, wird von Binoche und von Nebbous Umsetzung gekonnt vermittelt. Nicht zuletzt tragen hierzu auch die kühl-eleganten Aufnahmen von Kameramann Gilles Porte bei. In zahlreichen Spiegelungen wird das Thema des doppelten Spiels, der Täuschung aufgegriffen; das künstliche Licht der nächtlichen Metropole sowie das Leuchten von technischen Geräten prägen das visuelle Konzept des Films.

Das von Nebbou und Julie Peyr verfasste Drehbuch, das auf dem gleichnamigen Roman von Camille Laurens basiert, hat seine Stärken indes eher in der ersten Hälfte. Wie Claire sich zur Erstellung des Fake-Accounts entschließt, wie die Beziehung zwischen ihr und Alex entsteht und was dieses Verhältnis in Claire auslöst – das schildern Nebbou und Peyr nachvollziehbar und spannungsreich. Auch in etlichen Details überzeugt die Geschichte – etwa in der Gestaltung von Claires biografischem Hintergrund (eine circa zwanzigjährige Ehe, zwei adoleszente Söhne, inzwischen geschieden) oder in cleveren Bezügen zu literarischen Werken wie dem Briefroman Gefährliche Liebschaften (1782) von Choderlos de Laclos. Die gesellschaftliche Doppelmoral – dass eine ältere Frau und ein jüngerer Mann als Paar noch immer als widernatürlich gelten, während es umgekehrt als völlig normal angesehen wird – wird ebenso aufgegriffen wie die schleichende Angst, den (Schönheits-)Idealen nicht (mehr) gerecht werden zu können.

In der zweiten Hälfte schlägt der Plot hingegen einige weniger reizvolle Pfade ein. Aus dem einnehmend erzählten und in Szene gesetzten Film wird eine Ansammlung von Einfällen, die teilweise zwar über eine gewisse Faszination verfügen, aber eine deutlich weniger mitreißende Wirkung haben. Auf ein vermeintliches Beziehungsende folgt ein Was-wäre-wenn-Szenario, das Claire zu Papier bringt und ihrer Psychotherapeutin Catherine (Nicole Garcia) vorlegt. Auch gibt es noch diverse Twists, die das Geschehen in ein neues Licht rücken. Als dramaturgische Tricks sind diese Wendungen durchaus passabel; die Intensität und Dringlichkeit der ersten Hälfte wird dabei jedoch nicht mehr erreicht.

So wie du mich willst (2019)

Um ihrem Lover Ludo hinterher zu spionieren, legt die 50 Jahre alte Claire Millaud sich ein Fake-Profil in den sozialen Netzwerken zu, demzufolge sie 24 Jahre alt und wunderschön ist. Alex, Ludos Freund, verliebt sich augenblicklich in Claires Avatar. Und auch Claire verstrickt sich immer mehr in ihrer Konstruktion und würde die Liebe zu Alex gerne erwidern. Nur: Wie soll das gehen, wenn die Realität und das Virtuelle nicht übereinstimmen?

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