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Wie sieht weibliches Begehren aus? Und wie unterscheidet es sich vom männlichen Casanova-Blick? Luise Donschen spannt in ihrem Langfilmdebüt einen weiten Bogen vom Venedig des 18. Jahrhunderts über Erkenntnisse von Ornithologen zum Balztanz der Finken bis hin zu John Malkovich und Refns Drive.

Casanovagen (2018)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Flamingos sind die besseren Menschen

„Wir wissen nicht, was sie da machen, aber sie machen es mit einer großen Ernsthaftigkeit.“ Was Luise Donschen am Ende eines langen, manchmal unfreiwillig komischen Q&As zur Weltpremiere ihres dokumentarischen Experimentalfilms Casanovagen auf der Berlinale 2017 dem Publikum gegenüber zu Protokoll gab, fasst im Grunde schon ihren gesamten Filmessay in passende Worte.

Gemeint waren in ihrem obigen O-Ton zwar konkret zwei kleine Kinder, die in einer kurzen, sehr sperrigen Szene ihres insgesamt nicht minder sperrigen Films schlichtweg im Wald unterwegs sind: Zum Spielen, um sich zu verstecken, Moos auszureißen oder Bäume zu betrachten. 

Was das nun wieder mit dem Casanova-Mythos, männlichen wie weiblichen Verführungsritualen, ornithologischen Facherkenntnissen zur weiblichen Dominanz der Finken-Weibchen, einem Mönch, einem Museumsbesuch in der Hamburger Kunsthalle oder einer sich an Hypnose berauschenden Domina zu tun hat, sei an dieser Stelle einfach mal dahingestellt … 

Doch das alles, und noch viel mehr kommt nun mal tatsächlich vor in jenen 67 zwischen Kontemplation, Slapstick und Kulturwissenschaftsdiskus mäandernden Filmminuten, die wahrhaftig in keine Berlinale-Sektion passen – und vielleicht gerade auch deshalb erst recht im Forum und dazu in der alten Akademie der Künste im Hansaviertel gezeigt wurden, wo bereits in der Vergangenheit schon oft genug Film, Experiment und Diskurs – mal besser, mal sinnloser – im Rahmen eines A-Festivals zueinander gefunden haben. 

Ob die Rechnung im Falle von Luise Donschens extravagantem Langfilmdebüt Casanovagen aufgegangen ist? Sei’s drum, im Prinzip interessierte das im hier anwesenden Berlinale-Publikum auch gar keinen, das war sofort spürbar. Denn die Filmemacherin hat nicht nur Film in Hamburg und Belgrad studiert, sondern auch Ethnologie und Germanistik, was diesem wirklich schwer einzuordnenden Filmwerk auch gleich von Beginn an anzusehen ist: Ein bisschen Droste-Hülshoff-Lyrik hier, ein wenig Naturromantik da. Und Über allen Gipfeln ist ruh’, reichlich sogar, um genau zu sein. Kaum etwas passiert hier, das Gros aller Kameraeinstellungen ergötzt sich in erster Linie an sich selbst, ohne eine echte innere Montage zum Filmtitel herzustellen. 

Dabei beginnt ihr Spiel als Filmautorin mit dem Casanova-Mythos – wenig überraschend – in dessen Geburtsstadt Venedig, in Reichweite der weltberühmten Campanile die San Marco. Ein bewusst geschlechtsloser, rosagefiederter Straßenkünstler steckt im venezianischen Karneval hinter einer kleinen Maske mit exaltiertem Federschmuck und lässt sich zum gefühlt hundertsten Mal mit einer Schar von Touristen fotografieren, die sich nacheinander vor das Kameraobjektiv schieben und bereits hier den Blick auf etwas möglicherweise Wesentliches offenkundig versperren.

Und so wird die offen künstlerisch versierte Bildgestaltung von Helena Wittmann, die bereits bei Philipp Hartmanns essayistischem Indie-DOK-Hit Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe für die Kadrierung zuständig war, bereits in der ersten Einstellung des Films sichtbar – und damit auch seine thematische wie ästhetische Marschrichtung: Wem diese auf wenigen 16mm-Rollen gedrehten, zum Teil regelrecht erstarrten Bilder hier schon auf die Nerven gehen, hat klar verloren und wird bei Casanovagen auch in den kommenden 60 Minuten nicht mehr glücklich werden. 

Wer sich dagegen auf das wunderbar körnige, mit Unschärfen und gekonnten Anschnitten spielende Material einlassen kann, wird später größtenteils beschwingt – wenn auch mit deutlich mehr Fragen als Assoziationen – den Kinosaal verlassen, weil sich dasselbe Verfahren sowohl in einer grandiosen Disko-Szene mit einer unvergesslichen Tanzeinlage zu Kate Bushs magischer Debütsingle Wuthering Heights (1978), die eben gerade auch für ihr extravagantes Ausdruckstanz-Video bekannt ist, wiederholt. 

Und später sogar nochmal in einer losen Reihung von Altarräumen, Kirchenprozessionen, Museums- und Naturaufnahmen, die eigentlich faktisch alle gar nichts erzählen und gerade auf diese Weise dem interessierten Betrachter allerlei Interpretationsfährten auslegen, um damit später irgendwie noch ein skurriles Kurzinterview mit dem schauspielerischen Verwandlungskünstler John Malkovich dramaturgisch unter einen Hut zu bringen. 

Außerdem wäre da noch diese seltsam anmutende Hausdomina, die stolz auf einem fast stummen Kunden herumturnt, und natürlich der zentrale Balztanz der Finken aus Ornithologen-Perspektive, was im O-Ton bisweilen so grotesk, so überdreht wirkt, dass sogar noch Peter Greenaway und Werner Herzog – zwei der schrägsten Vögel des Weltkinos, die sich beide schon oft genug als Hobby-Ornithologen geoutet haben – ihre Freude daran hätten. 

Denn wo steckt da der Sinn? Genau, es gibt ihn wohl gar nicht: An keiner konkreten Stelle, wenn man ganz ehrlich ist. Aber für einen kleinen, billigen und absolut hybriden Dokumentarfilm, der immerhin in fünf Jahren Produktionszeit entstanden ist und sich nach Aussage seiner Regisseurin anfangs lediglich um „balzende Finken-Pärchen“ und das „Changieren zwischen den Geschlechtern“ drehen sollte, steckt dann am Ende doch ziemlich viel drin. Gut so, weiter so: im Menschen-Zoo.

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