Carriers

Eine Filmkritik von Florian Koch

Keine Zeit für Nächstenliebe

Trailer sollen im besten Fall Aufmerksamkeit erregen, die Grundprämisse eines Films erläutern und bloß nicht zuviel verraten. Leider ist die vielleicht wichtigste und schwierigste Form der Filmwerbung in den letzten Jahren auf den Hund gekommen. Ein weiteres erschütterndes Beispiel für diese These bietet der Horrorthriller Carriers. Der Trailer suggeriert einen brutalen Schocker im Stile von 28 Days Later oder Dawn Of The Dead.
Mit dieser Erwartungshaltung im Gepäck fieberten tausende Zuschauer der Weltpremiere auf dem Fantasy Filmfest entgegen. Nach der Vorführung zeigten sich die Gruselfans bitter enttäuscht. Ihren Frust schrieben sie sich in zahlreichen Online-Foren von der Seele. Aber der angeblich „schlechteste Eröffnungsfilm ever“ hat dieses vernichtende Urteil nicht verdient.

Carriers wurde Opfer einer falschen Marketingkampagne – in Form eines völlig in die Irre führenden Trailers. Dem jungen spanischen Brüderpaar Alex und David Pastor lag nichts ferner als in ihrem Regiedebüt eine vordergründige Splatterschlachtplatte aufzutischen. Vielmehr wollten sie sich mit den Fragen menschlichen Verhaltens in Extremsituationen beschäftigen.

In ihrem Endzeitszenario gehen die Pastors von der Prämisse aus, dass die ganze Menschheit von einem tödlichen Virus befallen wurde. Der Erreger ist hoch ansteckend, überträgt sich durch die Luft und führt beim Infizierten innerhalb weniger Stunden zum Exitus. Ein Heilmittel gibt es nicht. In dieser schrecklichen Lage suchen die wenigen Überlebenden ihr Heil in der Flucht. So auch der aufbrausende Brian (Chris Pine), seine redselige Freundin Bobby (Piper Pirabo), Brians jüngerer, intelligenter Bruder Danny (Lou Taylor Pucci) und dessen zurückhaltende Schulkameradin Kate (Emily VanCamp). Die vier kennen nur ein Ziel: Mit dem Auto durch einen staubigen Wüstenhighway zu donnern, um an der Küste in völliger Abgeschiedenheit auszuharren. Auf dem Weg dorthin haben sie jedoch eine Autopanne. Als sie auf Frank (Christopher Meloni) und seinen fahrtüchtigen Minivan treffen, scheint die Gruppe noch einmal Glück im Unglück zu haben. Bis sie herausfinden, dass Franks Tochter Jodie (Kiernan Shipka) infiziert ist. Nach etlichen Diskussionen beschließen sie, im Einverständnis mit Frank, die beiden Aussätzigen in ihrem Kofferraum hermetisch abzuriegeln. Für die misstrauische Zweckgemeinschaft nimmt eine gefährliche Fahrt ins Nirgendwo ihren Lauf.

Welche Verhaltensweisen nehmen Menschen an, wenn sie von ihrem sicheren Tod erfahren? Haben Beziehungen in diesen (Un)Zeiten überhaupt noch eine Bedeutung? Und wer ist sich am Ende selbst der Nächste? Auf diese gesellschaftlich relevanten Fragen nach Moral und Wertvorstellungen finden Alex und David Pastor in Carriers verstörende Antworten. Ob Freundinnen, die einfach auf der Straße ausgesetzt werden oder Ärzte, die in ihrer Verzweiflung tödliche Experimente an Kindern vornehmen: Die Weltsicht der Regisseure und Drehbuchautoren ist eine extrem düstere und nihilistische. Es verwundert daher nicht, dass der kommerziell nur schwer vermittelbare Carriers jahrelang auf der Produktionshalde herumlag. Erst nach dem Durchbruch von Chris Pine mit der Hauptrolle als Captain Kirk in Star Trek und der aufkommenden Hysterie um die Schweinegrippe wurde der zynische Schocker auf die Kinozuschauer losgelassen.

Was an Carriers gefällt, ist die Kompromisslosigkeit und Stringenz, mit denen die Pastors ihre Figuren zeichnen. Für alle Protagonisten gilt das bereits in der Millenium-Serie abgewandelte Bibelzitat: „Fürchte deinen Nächsten wie dich selbst“. Die Unberechenbarkeit der weitgehend unsympathischen Stereotypen-Charaktere – besonders Macho Brian tut sich mit unsäglich dummen Sprüchen negativ hervor – macht den wendungsreichen Endzeitfilm, der ein wenig die Atmosphäre von Kathryn Bigelows Near Dark atmet, so spannend.

Leider fehlt es den Pastors an einer dramaturgischen Zuspitzung ihres Szenarios. Episodenhaft wird eine wahre Horrorereigniskette erzählt; echte Höhepunkte und eine klare Klimax sucht man vergebens. Auch zahlreiche Déjà-vu-Effekte stellen sich ein, wenn unverfroren 28 Days Later oder Der Omega Mann zitiert wird. Positiv ins Gewicht fallen – trotz niedrigem Budget – die karge, effektive Ausstattung und die gleißende Ästhetik. Auf klischeebeladene Nachtaufnahmen mit peitschendem Regen verzichten die Pastors dankenswerterweise. Das helle Sonnenlicht, die Hitze, der Staub, die Einöde und der quälende Durst der Protagonisten illustrieren kongenial die niederschmetternde, aufgeladene Stimmung der Negativutopie.

Auch wenn die Pastors mit ihrer Mixtur aus Roadmovie, Charakterdrama und Thriller nicht durchgehend die Konsequenz einer Vision wie The Quiet Earth erreichen, stellen sie in Carriers spannende, sozial-gesellschaftliche Fragen, die im derzeitigen Horror-Remake-Einerlei ihresgleichen suchen.

Carriers

Trailer sollen im besten Fall Aufmerksamkeit erregen, die Grundprämisse eines Films erläutern und bloß nicht zuviel verraten. Leider ist die vielleicht wichtigste und schwierigste Form der Filmwerbung in den letzten Jahren auf den Hund gekommen. Ein weiteres erschütterndes Beispiel für diese These bietet der Horrorthriller „Carriers“. Der Trailer suggeriert einen brutalen Schocker im Stile von „28 Days Later“ oder „Dawn Of The Dead“.
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