Carlos - Der Schakal

Eine Filmkritik von Florian Koch

Innenansichten eines Berufsterroristen

Stocksauer soll er sein, dieser Ilich Ramírez Sánchez. Auf den Regisseur, auf den Hauptdarsteller und überhaupt auf den ganzen Film. So vulgär wie Olivier Assayas sein Leben dargestellt hätte – das wäre doch eine unglaubliche Anmaßung und würde mit Sicherheit noch Konsequenzen nach sich ziehen.
Diese mit Wut im Bauch hinausposaunten Statements geisterten in den letzten Wochen durch sämtliche internationalen Gazetten. Wer sich jetzt fragt, wer oder was sich hinter dem Namen Ilich Ramírez Sánchez überhaupt verbirgt, steht nicht alleine da. Denn die breite Öffentlichkeit kennt diesen Mann eigentlich nur als „Carlos“ – häufig noch mit dem bedrohlichen Zusatz: „Der Schakal“ versehen. Lange Zeit zählte der selbsternannte erste „professionelle Revolutionär“ zu den meist gesuchten Verbrechern auf der ganzen Welt. Sánchez wird für den Tod von mindestens acht Menschen verantwortlich gemacht, andere Quellen sprechen von mindestens 83 Opfern. Welche Zahl auch immer der Wahrheit entspricht; unbestritten ist, dass sein Terrornetzwerk bis zu seiner Verhaftung im Jahre 1994 für Angst und Schrecken sorgte und ein erstaunliches mediales Echo auslöste.

Es mag verwundern, dass das Leben von Carlos bisher noch nicht adäquat filmisch umgesetzt wurde. Denn die beiden nach der Vorlage von Frederick Forsyth entstandenen „Schakal“-Adaptionen streiften zwar Auszüge aus seiner Biografie, nahmen sich aber zu viele Freiheiten, um als ernsthafte Auseinandersetzungen mit der Figur durchzugehen. Ganz ähnlich verhält es sich mit Christian Duguays unterschätztem Thriller The Assignment – Der Auftrag. Jetzt wagt mit Olivier Assayas ein renommierter französischer Regisseur das Unmögliche, sich einem Menschen, von dem vor allem ein populäres Phantombild und viele diffuse Erzählungen existieren, anzunähern. Und der Filmemacher macht im Grunde das einzig richtige, er verkürzt das Leben von Carlos nicht wie Uli Edels Der Baader Meinhof Komplex auf ein gehetztes Abspulen von Ereignissen, sondern arbeitet in über fünfeinhalb Stunden detailliert eine facettenreiche Persönlichkeit heraus, die in sich stimmig bleibt.

Eigentlich war Carlos in dieser Version auch „nur“ als Fernseh-Dreiteiler geplant – in Frankreich erzielte man bei der Erstausstrahlung erstaunlich schwache Quoten – aber eine überaus erfolgreiche Weltpremiere in Cannes brachte die Produzenten zum Umdenken. Leider entschied man sich auch dafür, neben der mit einer Pause präsentierten Langversion, eine um über zwei Stunden gekürzte Fassung in die Kinos zu bringen, die Regisseur Olivier Assayas immerhin persönlich am Schneidepult bewerkstelligte.

Sicherlich schockiert die Lauflänge von über fünf Stunden auf den ersten Blick, sie ist dramaturgisch aber vollauf gerechtfertigt. Nie wirkt Carlos überlang oder überambitioniert. Der Monumentaldreh in zehn Ländern (darunter auch in Deutschland) – ein 92-tägiger Kraftakt mit Hunderten von hervorragenden internationalen Schauspielern – hat sich vollauf gelohnt. Assayas gelingt mit Carlos ein schillerndes, stilistisch ganz auf Authentizität setzendes Gangsterepos der Marke Public Enemy No.1 Mordinstinkt/Todestrieb.

Dabei spielt die Kindheit des „Schakals“ im Film überhaupt keine Rolle. Assayas kommt gleich zur Sache. Dieser Ilich Ramírez Sánchez (Édgar Ramírez) übernimmt nicht nur optisch den Stil des kubanischen Guerillaführers Che Guevara, er hat auch seine Angriffslust und seinen Kampfgeist für sich gepachtet. Nur sind seine Ziele viel diffuser. Der westliche Imperialismus ist sein Feind, genauso wie der Kapitalismus. Anfangs verdingt Carlos sich noch für die Volksfront zur Befreiung Palästinas. Doch bald schon setzt er sich mit einer eigenen Anhängerschaft als blutgieriger Terrorsöldner ab. Mit gezielten Anschlägen will der kaltblütige Venezolaner politische Nadelstiche setzen. Doch die „Piekser“ verschafften dem geltungssüchtigen jungen Mann nicht das nötige Gehör. Deshalb plant Carlos 1975 minutiös den Angriff auf das OPEC-Hauptquartier in Wien. Im Zuge dieser Attacke werden drei Personen getötet. Mit einem Flugzeug und 42 Geiseln kann er gerade noch nach Algier fliehen. Zähe Verhandlungen später muss Carlos türmen, seinen Jägern aber kann er gerade so entwischen. Von nun an ist er ein Medienstar, überall gesucht, überall gefürchtet. Schließlich baut Carlos seine antiisraelische „Organization of the Armed Arab Struggle – Arm of the Arab Revolution“ (OAAS) in den Aden auf. Seine kaltblütigen Gefolgsleute stammen aus Syrien, Libanon oder aus Deutschland.

Von nun an ist Carlos ein Rastloser. Immer auf der Suche nach einer „Heimat“, falls der Begriff für ihn überhaupt eine Bedeutung hat, und nach neuen, möglichst gut bezahlten, Terroraufträgen. Das anfängliche Hochgefühl, medial endlich als gefürchteter Kämpfer für die (un)gerechte Sache wahrgenommen zu werden, verbindet sich mit der panischen Angst davor, irgendwann einmal gefasst zu werden.

Plötzlich platzen Deals mit Verbrechersyndikaten immer häufiger, Carlos wird bald nur noch als unerwünschter Promi-Terrorist wahrgenommen. Darüber hinaus ergibt er sich dem Hedonismus: Carlos flüchtet von einer Affäre in die Nächste, betrügt seine Frau Magdalena Kopp (Nora von Waldstätten), die er zuvor auch noch seinem engsten Mitstreiter Johannes Weinrich (Alexander Scheer) ausgespannt hat. Sauforgien bestimmen jetzt zunehmend den Alltag des einstigen Top-Verbrechers. Zunehmend verdrängt Carlos, dass dieser ausufernde Lebensstil ihn zu einem leichten Ziel für eine Verhaftung werden lässt.

Die Essenz seines mitreißenden Films packt Assayas in eine bereits vieldiskutierte brillante Szene: Man sieht Carlos, wie er dampfend aus der Dusche steigt und splitternackt vor einem Spiegel stehen bleibt. Gebannt starrt er sich selbst an, lüstern greift er an sein Geschlecht. Schnell wird dem Zuschauer damit klar, dass das Ego des „Schakals“ weit größer ist als seine politischen Ideen. Er ist ein Genießer – von Gewalt, Aufmerksamkeit und Frauen. Assayas, dessen exzellentes und differenziertes Drehbuch auf Zeugenaussagen, Gerichtsprotokollen und Polizeiakten basiert zeigt Carlos unverblümt als Erotomanen. Die Frauen in seiner Umgebung fühlen sich von seiner bedrohlich-virilen Ausstrahlung gleichzeitig abgeschreckt und angezogen. Gerade die erste Sexszene mit Magdalena Kopp brodelt vor sadomasochistischen Aggressionen. Es ist ein gefährliches Spiel zweier von sich selbst berauschter Zyniker, in der Leidenschaft und Gewalt verschmelzen.

Assayas legt die Schwächen von Carlos schonungslos offen, zeigt aber auch seine Verführerqualitäten. Dennoch bleibt es bewundernswert, dass es dem Regisseur gelingt, immer eine gewisse Distanz zu seiner Figur herzustellen. Nie erliegt er der allseits bekannten Faszination des Bösen. Einen Teil dazu trägt sicher die realistische, nüchterne und streng chronologische Erzählweise bei. Assayas verlangt vom Zuschauer höchste Konzentration, denn die Schauplätze, Namen und Sprachen wechseln im Minutentakt. Doch die filmische Geschichtsstunde – immer auch ein genaues Stimmungsbild der 70er und 80er Jahre – ist niemals dröge oder verwirrend. Das liegt sicherlich an der handwerklichen Perfektion; in Carlos stimmt vom feinfühligen Schnitt bis zur sparsamen Ausleuchtung alles und selbstverliebte Genre-Mätzchen wie Zeitlupen und Splitscreen hat Assayas einfach nicht nötig. Aber auch die glaubwürdigen Dialoge, die präzise Ereignisschilderung (allein die OPEC-Episode dauert fast 90 Minuten) und natürlich die exzellenten Darsteller tragen viel zum Gelingen des Riesenprojekts bei.

Der wenig bekannte Édgar Ramírez (8 Blickwinkel), genau wie Carlos in Caracas geboren, liefert in der schwierigen Hauptrolle eine wahre Glanzleistung ab. Er wechselt ohne Brüche fließend die Sprache, isst sich Method Actor gemäß im Laufe des Films eine richtige Wampe an und wirkt stets hoch konzentriert und fokussiert. Doch auch die vielen Nebendarsteller (es gibt rund 120 Sprechrollen) können überzeugen, besonders die katzenhaft-blaße Nora von Waldstätten liefert als Magdalena Kopp eine faszinierende Performance ab. Sie ist es auch, die am Ende die Einzige ist, die Carlos Paroli bieten kann.

Viele Regisseure wären daran gescheitert, das Leben des berüchtigten Carlos auf die Leinwand zu bringen. Olivier Assayas gelingt es aber, die politischen Verwicklungen (samt Stasi-Referenzen) mit den persönlichen so geschickt zu verknüpfen, dass der Film sowohl auf der intellektuellen als auf der emotionalen Ebene bis zum bewegenden Schluss restlos funktioniert.

Carlos - Der Schakal

Stocksauer soll er sein, dieser Ilich Ramírez Sánchez. Auf den Regisseur, auf den Hauptdarsteller und überhaupt auf den ganzen Film. So vulgär wie Olivier Assayas sein Leben dargestellt hätte – das wäre doch eine unglaubliche Anmaßung und würde mit Sicherheit noch Konsequenzen nach sich ziehen.
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Meinungen

Alfred Wegener · 28.11.2010

Ein rundum gelungener, grandioser Film, der in beiden Versionen volle Aufmerksamkeit verlangt, dafür aber auch vor dem Einnicken schützt.
Mit der Langversion hat man ein wirklich schlüssiges Werk vor sich, wobei man den Eindruck bei der Kurzversion hat, daß man dem Normalo nicht allzuviel Hintergründiges zumuten will. DA bleibt schon die eine oder andere Frage offen oder unbeachtet.

Ein MUSS für weltpolitisch Interessierte, die noch etwas lernen wollen in Sachen "Treiben hinter den Kulissen der Geheimdienste".
Auch schauspielerisch - Spitzenklasse!

Marcus · 28.11.2010

Der Schakal ist schon ein besonderer Film unserer Tage.
Es ist mutig einen so langen Film im Kino zu zeigen.
Ich habe die 5 Stunden Version gesehen und fand den Film sehr gut gemacht.
Die Charakteräre haben Zeit sich zu entfalten und das tut dem Film gut.
Toll ist auch die gute Kameraarbeit die einen mit ins geschehen nimmt.
Fazit. Wer keine Angst hat vor langen Filmen und auch das Gehirn eingeschaltet lassen will, kommt um den Film dieses Jahr nicht herum.

Marcus

henno · 27.11.2010

alles sehr ansehnlich, alles nie langweilig. aber carlos fehlt die substanz, fehlt ein eigenes anliegen, ein eigener blick, eine eigene meinung. nur geschehnisse unreflektierend aneinanderzureihen ist für 5 einhalb stunden möglichkeiten eindeutig zu wenig.

Wilhelm Dietl · 25.11.2010

Der Film ist technisch sehr gut gemacht und absolut sehenswert. Natürlich sollte man sich nur die Langfassung anschauen, denn dann fallen viele Verständnisfragen weg. Es hat wohl dramaturgische Gründe, dass verschiedene Handlungsabläufe verkürzt oder verändert dargestellt wurden. Diese künstlerische Freiheiten merkt aber nur einer, der "dabei" war oder die Akten gelesen hat. Nur die Sache mit Andropow und Sadat verstehe ich nicht. Das ist, nach meiner Auslegung, pure Fiction und hat so nie stattgefunden. Dabei hätte der Stoff keine Anreicherung durch frei erfundene Facts nötig. Mit udn um Carlos passiert doch genug. Hinweis an Florian Koch von Kino-Zeit: Die Carlos-Gang kann nicht "gerade noch" nach Algier "fliehen". Das war Teil der Planung. Die Österreicher hatten keine Wahl. Zu plastisch sahen Sie vor sich, wie die Olympia-Geiselnahme in München geendet hatte. Carlos war seinen Jägern immer weit voraus. Bis er im Sudan lebte, hatten sie keine echte Chance, ihn zu kriegen. Seine Organisation war nicht explizit antiisraelisch. Für diese These reicht der Pariser Fehlschuß auf die El-Al-Maschine nicht. Carlos war ein Söldner, ein Auftragskiller. Keiner seiner Aufträge richtete sich je gegen Israel. Assayas hat leider in manchen Aspekten sehr einseitigen Quellen vertraut und Insider, die ihn kontaktierten, nicht hören wollen. Dann wäre alles noch authentischer geworden. Ich weiß, wovon ich schreibe.

Ruth Luschnat · 13.11.2010

wie lange wollt ihr der Schakal zeigen, wenn ihr das schon wißt, wäre es toll, wenn ihr mir Bescheid geben könnt.ich möche ihn gerne in eurem Kinosehen und muss planen...

zuala.luschnat@gmx.net

danke !

Ruth