Capital - Wir sind alle Millionäre

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Ich wär’ so gerne Millionär ...

Was kann man tun, um Millionär zu werden? Hart arbeiten wäre eine naheliegende Option, man kann aber auch blind und sinnlos Lotto spielen, wie es wöchentlich millionenfach getan wird. Dann könnte man außerdem natürlich noch eine reiche, möglichst alte Frau heiraten… Oder gleich Popstar werden, was beides wohl eher unrealistisch und bestimmt nicht jedermanns Sache ist. Und eine Bank zu überfallen wäre in der Tat auch nicht gerade sinnvoll … Tja, und sich einfach etwas zusammenleihen? Da müssten die engsten Freunde aber finanziell schon ziemlich potent sein… Oder man kann einfach in der richtigen Straße wohnen, zum Beispiel in der eher unscheinbaren Pepys Road im Londoner Süden.
Hier liegen die fetten Pfundscheine quasi auf dem Pflastersteig, nur sehen tut man sie noch nicht. In der britischen Großkapitale London, einem der mächtigsten Finanzzentren der Welt, hat frühzeitig schon ein radikaler Gentrifizierungsprozess begonnen. Aus früheren “Glasscherbenvierteln“, wie man das beispielsweise in München nennt, werden urplötzlich sündhaft teure Spekulationsobjekte im weiterhin stark aufgeheizten Immobilienmarkt. Wo heute noch pakistanische Familienclans neben alleinstehenden englischen Witwen wohnen, werden bald in naher Zukunft und mit hoher Wahrscheinlichkeit vermögende Großstadtbürger einziehen. Wenn sich bis dahin nicht gleich global agierende Immobilienkonzerne die ganze Straße unter den Nagel gerissen haben: So läuft das in England – und zunehmend auch in vielen europäischen Nachbarländern, inklusive Deutschland: München, Berlin oder Frankfurt am Main können einige Klagelieder von dieser harten Finanzpraxis singen …

Genau vor diesem Hintergrund spielt Euros Lyns überaus originelle Mini-Serie Capital – Wir sind alle Millionäre, entstanden im Auftrag der BBC, die nach ihrer Fernsehausstrahlung auf arte nun auch als Blu-ray erschienen ist. Basierend auf dem populären Gesellschaftsroman Kapital von John Lanchester, bietet das dreiteilige Serienformat, das im vergangenen Herbst zurecht mit dem Emmy Award in der Kategorie „Best TV-Movie/Mini-Series“ prämiert wurde, von der ersten Sekunde an ebenso kurzweilige wie gewichtige Fernsehunterhaltung, da es den beiden Serienmasterminds Peter Bowker (Romanadaption) und Regisseur Euros Lyn (u.a. Doctor Who und Black Mirror) immer wieder gelingt, zu überraschen, offen Gesellschaftskritik zu üben oder schlichtweg zum weiteren Nachdenken anzuregen. Denn die Kernthemen Geld, Reichtum, Finanzkrise, Schulden, Geheimnisse und Gentrifizierung werden hier dramaturgisch nicht wahllos in einen Topf geworfen, sondern minütlich enger miteinander verzahnt, bis am Ende ein ganzes Gesellschaftspanoptikum zur britischen Gegenwartsgeschichte entstanden ist.

Da gibt es beispielsweise den erfolgreichen Banker Roger Yount (brillant: Toby Jones), auf den ein Tagebucheintrag des Straßennamengebers Samuel Pepys vom 10. März 1666 wie die Faust aufs Auge passt: „Die meisten Männer, die es in der Welt zu etwas bringen, vergessen das Vergnügen während der Zeit, in der sie ihr Vermögen machen. Sie warten, bis sie es geschafft haben, und dann ist es zu spät, sich daran zu erfreuen.“ Obwohl er finanziell bereits enorm viel erreicht hat, giert er weiterhin nach einem fetten Jahresbonus, den seine chronisch unzufriedene Ehefrau (hinreißend: Rachael Striling) dann am liebsten sofort wieder gegen Luxusartikel oder weitere Umbaumaßnahmen in ihrem Haus eintauscht. Innerlich aufgerieben, manchmal momentweise antriebslos und überwiegend mit seiner Vaterrolle fremdelnd, läuft er wie der Hamster im (Banker-)Käfig weiter: Immer weiter… Roger Yount ist trotz Maßanzügen, SUV-Geländewagen, einer adretten Frau und zwei Kindern im Prinzip ein tragikomischer Clown, wie ein Gefangener seiner eigenen Ansprüche.

Wie alle anderen Bewohner jener Straße findet er eines Tages eine Art Bekennerschreiben in seinem Briefkasten: „Wir wollen, was ihr habt“ steht auf einer ansonsten losen Karte geschrieben. Wer steckt dahinter? Und ist das Ganze bloß ein merkwürdiger Spaß – oder doch eine ernsthafte Bedrohung? Im Anschluss geraten unter anderem die Söhne einer ansässigen pakistanischen Familie, die den Straßenkiosk mitbetreiben, ins Visier der Ermittler. Ebenso die junge nigerianische Politesse Quentina (Wunmi Mosako), die wirklich jeden Tag Auto für Auto – und damit auch Haus für Haus – abgeht… Oder war dies am Ende die seltsame Rache des schlitzohrigen „Ich-mache-alles“-Handwerkers Bogdan (Radoslaw Kaim), dem die Frauenherzen in der Pepys Road reihenweise zufliegen – ebenso wie die rauen Sprüche seines Arbeitskollegen oder mancher Nachbarn?

Insgeheim sind alle Anwohner dieser kleinen Straße Getriebene, denn jede(r) von ihnen hat seine Geheimnisse – und naturgemäß auch etwas zu verlieren. Trotzdem wollen alle natürlich zu den zukünftigem Glücksrittern gehören. Dank fein gesponnener Seriencharaktere, einer Reihe wirklich überraschender Twists und einem teilweise wunderbar abwechslungsreichen Spiel seiner Protagonisten gehören die drei rasant geschnittenen Episoden von Capital – Wir sind alle Millionäre schon jetzt zu den besten Serienmomenten des Jahres: Denn eine derart kluge Mixtur aus Entertainment und Anspruch bekommen eben nach wie vor nur die Briten hin. Kurzum: In diese drei Serienstunden darf der Zuschauer getrost investieren, Boni inbegriffen.

Capital - Wir sind alle Millionäre

Was kann man tun, um Millionär zu werden? Hart arbeiten wäre eine naheliegende Option, man kann aber auch blind und sinnlos Lotto spielen, wie es wöchentlich millionenfach getan wird. Dann könnte man außerdem natürlich noch eine reiche, möglichst alte Frau heiraten… Oder gleich Popstar werden, was beides wohl eher unrealistisch und bestimmt nicht jedermanns Sache ist.
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