Calling Hedy Lamarr

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Femme scandaleuse, Hollywood-Star und Erfinderin – Die unglaubliche Geschichte einer außergewöhnlichen Frau

Mehr als 30 Filme, der Titel „schönste Frau der Welt“, sechs Ehen, drei Kinder und eine Bahn brechende Erfindung – das sind die Zahlen und Fakten, aus denen der Mythos um die Hollywood-Diva Hedy Lamarr entstand. Die Schauspielerin, die unter dem Namen Hedwig Eva Maria Kiesler am 9. November 1913 als Tochter eines jüdischen Bankiers und einer Pianistin geboren wurde, gehört zu den rätselhaftesten und vielschichtigsten Darstellerinnen der Traumfabrik und war zu ihrer großen Zeit drauf und dran, Stars wie Greta Garbo den Rang abzulaufen. Der Regisseur Georg Misch hat sich in seinem Film Calling Hedy Lamarr gemeinsam mit Anthony Loder, Lamarrs 60-jährigem Sohn auf Spurensuche nach der Frau hinter den tausend Facetten begeben, eine Recherche, die auch ganz persönliche Gründe hat. Denn noch immer ist es dem Sohn nicht gelungen, seinen Frieden mit der im Jahre 2000 verarmten Mutter zu schließen. Und so erzählt der Film nicht nur die bewegende Geschichte einer Filmlegende, sondern auch vom schwierigen Leben im Schatten eines kapriziösen Stars.
Wie bei kaum einem anderen Star ist die Geschichte Lamarrs ein beständiger Kampf zwischen Lüge und Wahrheit, Inszenierung, Legende und der drögen, oft bitteren Realität. Der erste Skandal um den Nacktauftritt in Ekstase / Symphonie der Liebe, der ihr die Tore von Hollywood weit öffnete, der verheißungsvolle Beginn ihrer Karriere in der Traumfabrik, die diversen Ehen und schmutzigen Scheidungskriege, Gerüchte um exzessiven Medikamentenmissbrauch, der langsame Abstieg, die Ladendiebstähle, der schwere Rückzug ins Private und der Tod in Armut und weitgehender Vergessenheit – dies alles spart Misch keineswegs aus. Auch die Erfindung des „frequency-hopping“, die auf ein Patent von Hedy Lamarr und ihrem Ehemann, dem Komponisten George Antheil zurückgeht, brachte der Diva keinen finanziellen Erfolg und erst eine sehr späte Würdigung. Das komplexe Verfahren, ursprünglich zur Synchronisation von mechanischen Klavieren entwickelt und dann zur Störsicherheit beim Einsatz von ferngelenkten Torpedos umfunktioniert, wurde zunächst als zu aufwändig abgelehnt und dann erst nach Ablauf des Patents im großen Stil kommerziell ausgebeutet, so dass die Erfinderin in bitterer Armut starb – sic transit gloria mundi. Immerhin aber ist Hedy Lamarrs Geburtstag am 9. November in Deutschland, Österreich und der Schweiz neben anderen denkwürdigen Ereignissen auch der offizielle Tag der Erfinder.

Das Telefon, an dessen Weiterentwicklung zum Handy Hedy Lamarr maßgeblichen Anteil hatte, bildet die zentrale Metapher des Films und verhalf ihm auch zu seinem anspielungsreichen Titel. In den letzten Jahren ihres Lebens verließ die durch zahlreiche Schönheitsoperationen verunstaltete Diva kaum mehr das Haus und verkehrte mit ihrer Umwelt nur noch telefonisch. Und in diesem Zusammenhang mutet es geradezu tragikomisch an, dass Lamarrs Sohn Anthony Loder sich heute als Verkäufer von Telefonen verdingt. Kein Wunder also, wenn vieles, was wir über die Schauspielerin erfahren, sich in Telefonaten äußert. Das wirkt zwar mitunter ein wenig inszeniert, doch es fügt sich bestens in diese mäandernde, vielschichtig geschnittene Dokumentation, die es wagt, nicht alle Fäden der Erzählung am Ende aufzulösen, sondern manches im Offenen und Ungefähren zu belassen.

Vielleicht hat Georg Misch ja einfach ein wenig Pech, dass sein Film, der 2005 auf dem Festival von Locarno zu sehen war, zu spät in die Kinos kommt. Denn mit Hedy Lamarr – Secrets of a Hollywood Diva war vor kurzem bereits ein anderer Film über die Hollywood-Schauspielerin mit den ungewöhnlichen Talenten auf den Leinwänden zu sehen. Doch selbst wer jenes erstes Werk über die ehemals „schönste Frau der Welt“ bereits gesehen hat, dem sei ein Besuch von Mischs gewitzt inszeniertem Film wärmstens ans Herz gelegt – zumal der Film niemals Gefahr läuft, ein Abfeiern eines einstmals großen Filmstars zu werden.

Die Antwort auf die Frage aber, wer Hedwig Eva Maria Kiesler alias Hedy Lamarr denn nun wirklich war – sie wird sich am Ende des Films ebenso verflüchtigen und in Luft auflösen, wie die Asche der Aktrice, die in ihrer schlussendlichen Heimkehr im Wienerwald zerstreut wird. Ein Ende, wie es selbst Hollywood und Bob Dylan nicht schöner, metaphernreicher und enigmatischer hätten schreiben können – „the answer, my friend, is blowing in the wind…“

Calling Hedy Lamarr

Mehr als 30 Filme, der Titel „schönste Frau der Welt“, sechs Ehen, drei Kinder und eine Bahn brechende Erfindung – das sind die Zahlen und Fakten, aus denen der Mythos um die Hollywood-Diva Hedy Lamarr entstand.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen