Café Waldluft

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Über fremdelnde Einheimische und einheimische Fremde

„Einheimische sind das Gegenteil von Fremden“, wusste schon Karl Valentin. Gerade jetzt wird wieder viel über „die Fremden“ und deren „Fremdsein“ gesprochen. „Wer kommt denn da, wer kommt denn da? – Der Negerkönig aus Afrika“ sang man da – bis in die eigene Kindergartenzeit hinein – fröhlich vor sich hin: Einfach so. Sind eben Unterschiede, ganz klar, meinten da die fürsorglichen Erzieherinnen in den frühen 1980ern nur. Heute wird jenes unsäglich rassistische Kinderlied hoffentlich in keiner KITA – oder sonst wo – mehr angestimmt, doch es bringt unweigerlich auf den Punkt, was weite Teile der süddeutschen Landbevölkerung lange von den Nordafrikanern hielten.
Ob jenes Liedchen auch schon zu Karl Valentins Zeiten gesungen wurde, ist nicht bekannt. Doch es leitet zu eben jenen Fragen über, die die Leute damals wie heute umso mehr beschäftigen: Sehen die alle so aus? Was essen sie dann bei uns, wenn sie da sind? Kurzum: Wer sind diese „Neuen“ überhaupt? Und nicht zuletzt: Warum sind sie so, wie sie sind? Fragen anno 2016, aber auch bereits 1940 war das nicht anders – und aus dem Munde jenes Karl Valentins klang das dann so … Ein kleiner Auszug aus dessen Text Lehrstunde:

Professor: Wir haben also in der letzten Unterrichtsstunde über die Filzpantoffel gesprochen und behandeln heute das Hemd. Wer von euch weiß zufällig einen Reim auf „Hemd“?
Valentin: Auf Hemd reimt sich „fremd“.
Professor: Sehr gut! Und wie heißt die Mehrzahl von „fremd“?
Valentin: Die Fremden.
Professor: Jawohl, die Fremden. — Und aus was bestehen die Fremden?
Valentin: Aus „fremd“ und aus „den“.

In Bezug auf Matthias Koßmehls Dokumentarfilm Café Waldluft müsste noch hinzugefügt werden: Sie bestehen zugleich auch aus schrecklichen Kriegstraumata und ergreifenden Fluchtschicksalen. Und sie haben – sapperlot noch a mal – Namen (wie z.B. Jamshid, Imthias, Hard, Juma oder Abdul), (Familien-)Biografien und aktuell dasselbe Schicksal: Sie sitzen wortwörtlich fest im idyllisch gelegenen Café Waldluft. Mitten in der oft surreal bezaubernden Berchtesgadener Bilderbuchlandschaft wirken sie gerade im Blickfeld mancher Einheimischer wie Fremdkörper in diesem vielleicht bayerischsten Flecken Bayerns. Auf eigene Faust sind sie nach Deutschland geflüchtet. In Obhut der warmherzigen Hauswirtin Flora, kurz der „Mama“, lernen sie nun ihre neue Heimat besser kennen. Lektion 1: Arbeiten. Lektion 2: Nicht auffallen. Lektion 3: Warten können. Die letzte ist naturgemäß besonders bitter, wie im Falle Abduls, der seit dem ersten Tag seiner Ankunft unbedingt die restliche Familie nach Deutschland bringen will. Das alles passiert – Ironie der Geschichte – in Reichweite zu Hitlers längst gesprengter Obersalzberg-Festung und Bormanns früherem Alpendomizil. Besonders pikant: Der ehemalige Eigner des Café-Hotel-Komplexes war in den 1930ern selbst vor den Nazis ins amerikanische Exil geflohen … Was die NS-Bonzen wohl zu ihren „neuen Nachbarn“ gesagt hätten? Dazu noch einmal Karl Valentin:

Professor: Sehr gut! — - und was ist ein Fremder?
Valentin: Fleisch, Gemüse, Mehlspeisen — Obst usw.
Professor: Nein! — Nein! — Nicht was er isst, sondern was er tut.
Valentin: Er reist ab!
Professor: Sehr richtig! Er kommt aber auch an — und ist dann ein Fremder. — Bleibt er dann für immer ein Fremder?
Valentin: Nein! — Ein Fremder bleibt nicht immer ein Fremder.
Professor: Wieso?
Valentin: Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.

Dass die Neuankömmlinge sehr wohl sehr schnell Fuß fassen können, zeigt sich gekonnt in der zurückgenommenen, aber präzisen Regie Koßmehls. Der gebürtige Münchner, der selbst in einem Dorf bei Berchtesgaden aufwuchs, hat die Verwandlung des ersten wirklichen Touristen-Hotspots von einst in eine gegenwärtige Asylunterkunft lange mit seinem kleinen Team begleitet: Aufrichtig, ehrlich und ohne auf die Tränendrüse drücken zu wollen. Vielmehr lebt sein handwerklich erstaunlich reifes Langfilmdebüt in erster Linie von den richtigen Momenten des Dabeiseins, von der wahrhaftigen Aufmerksamkeit für seine Protagonisten aus Syrien, Jordanien, Sierra Leone oder Afghanistan. Ermüdende Gänge zu deutschen Amtsstuben inklusive. Überhaupt spielt das Warten an sich eine tragende Rolle in Café Waldluft: Das Warten auf die eigene Familie, das Warten auf den neuen Pass sowie das Warten auf neue Freunde, neue Perspektiven und Arbeitsmöglichkeiten. Hier werden keine überkandidelten Heimat- oder NGO-Film-Klischees gezeigt, sondern echte Menschen.

In Koßmehls Blick wird nämlich genau hingeschaut, mitunter sogar schön („Mogst a bisserl a Wurscht?“), aber niemals beschönigend. Gerade diese Haltung hebt Café Waldluft aus einer Reihe verschiedener Filme zum selben Themenkreis positiv hervor: Natürlich prallen da soziokulturelle Welten (z.B. bayerische Folkore versus muslimische Gläubigkeit) aufeinander. Natürlich äußern sich auch nicht alle Einheimische begeistert darüber, dass das traditionsreiche Haus nun bereits seit mehreren Jahren 35 Männer aufnimmt, anstatt einfach auf die nächsten Touristen-Busse zu warten. „Jetzt ham’s ja scho Sonnenliegen“, granteln nachts die einsamen Stammtischbrüder. Und natürlich sind manche Amtsstubendialoge unfreiwillig komisch, geradezu valentinesk-grotesk: „Kopfverletzung … durch Gewalttat … durch die Taliban“. Ist das so richtig, möchte die bayerisch-resolute Beamtin wissen. „Hast du das alles verstanden?“ – „Ja … äh … natürlich“, grinst der Befragte ebenso verlegen wie unsicher in sich hinein. Und dann schweigt er wieder. So wie es die bayerische Amtsbürokratie eben am liebsten hat.

Doch dann kommen sie wieder, diese berührenden Dokumentarfilmmomente, die sich nicht kreieren lassen, die man zusammen – Regisseur wie Zuschauer – erlebt haben muss: „Wenn du traurig bist … im Herz, dann kannst du nichts so … einfach machen“, meint einer der neuen Bewohner abends in der Trostlosigkeit der Gaststube in gebrochenem Deutsch. „Wolke kommt … wieder weg … wie die Berge“, vergleicht ein Anderer seine eigene Situation mit der von weiteren Geflüchteten. Viele von ihnen wollen schließlich nur eines: nach Hause, was manch bierdimpflige Berchtesgadener dann ebensowenig verstehen können. Hier ist man dann schnell wieder in Valentins Welt der (Un-)Logik angekommen. Oder um es mit Flora zu sagen: „Die Welt is‘ ned verlorn“. Es gibt ja a bloß oane, stimmt!

Professor: Das ist nicht unrichtig. — Und warum fühlt sich ein Fremder nur in der Fremde fremd?
Valentin: Weil jeder Fremde, der sich fremd fühlt, ein Fremder ist, und zwar so lange, bis er sich nicht mehr fremd fühlt — dann ist er kein Fremder mehr.
Professor: Ausgezeichnet! — Wenn aber ein Fremder schon lange in der Fremde ist, ist das dann auch ein Fremder? Oder ist es ein Nichtmehrfremder?
Valentin: Jawohl, das ist ein Nichtmehrfremder, aber es kann diesem Nichtmehrfremden — unbewusst — doch noch einiges fremd sein.

Café Waldluft

„Einheimische sind das Gegenteil von Fremden“, wusste schon Karl Valentin. Gerade jetzt wird wieder viel über „die Fremden“ und deren „Fremdsein“ gesprochen. „Wer kommt denn da, wer kommt denn da? – Der Negerkönig aus Afrika“ sang man da – bis in die eigene Kindergartenzeit hinein – fröhlich vor sich hin: Einfach so. Sind eben Unterschiede, ganz klar, meinten da die fürsorglichen Erzieherinnen in den frühen 1980ern nur.
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