Buongiorno, Notte – Der Fall Aldo Moro

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Versuch einer italienischen Geschichtsstunde

Betrachtet man die politisch bewegten siebziger Jahre in Deutschland und Italien, so ist es neben vielen Unterschieden vor allem eine Gemeinsamkeit, die die beiden Staaten miteinander verbindet: Sowohl hier wie dort ist diese Epoche geprägt von einer zunehmenden Militanz bei der politischen Auseinandersetzung, einer Verhärtung der Front zwischen Staat und extremistischen, außerparlamentarischen Kräften – und zumeist kamen diese Kräfte aus dem Bereich des Linksextremismus. War es in Deutschland die Rote Armee Fraktion (RAF), die dem Staat den bewaffneten Kampf angesagt hatte, so standen in Italien die Brigate Rosse, die Roten Brigaden, für linksextremen Terror gegen Vertreter des Staates, der Justiz oder der Wirtschaft. Doch es gibt noch weitere Parallelen in der Entwicklung der beiden linksextremen terroristischen Vereinigungen: Sowohl die RAF als auch die Roten Brigaden zielten – zumindest in ihren Anfängen – darauf ab, durch Anschläge ein Klima der Verunsicherung in dem jeweiligen Staat zu schaffen und „das Proletariat“ zum Aufbegehren gegen den als repressiv empfundenen Staat zu bewegen. Doch spätestens ab Ende der siebziger Jahre zeigte sich, dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit Welten lagen und dass die Botschaft der Kämpfer weder auf Verständnis noch auf Gehör stieß – im Gegenteil. Es waren vor allem die Entführungen und die Morde an Hans-Martin Schleyer im Jahre 1977 und Aldo Moro im Jahre 1978, die verdeutlichten, wie wenig Unterstützung es aus der Bevölkerung selbst für die Terroristen gab.
In seinem Film Buongiorno, Notte – Der Fall Aldo Moro seziert der Regisseur Marco Bellocchio die bis heute rätselhaften Vorgänge und Geschehnisse rund um die Entführung des italienischen Christdemokraten, der wegen seiner angestrebten Zusammenarbeit mit der Kommunistischen Partei Italiens auch bei einigen seiner Parteigenossen umstritten war. So halten sich bis heute hartnäckige Gerüchte, dass bei der Entführung nicht nur die Brigate Rosse, sondern auch Parteifreunde wie Giulio Andreotti, die rechtsgerichtete Geheimloge Propaganda Due, die NATO-Einheit GLADIO, die Mafia und die CIA die Finger im Spiel gehabt hätten. Allerdings beteiligt sich Bellocchio nicht an den wilden Spekulationen um die Hintergründe, sondern vertraut auf die bekannten Fakten und baut vor allem auf die Konflikte zwischen Moro und seinen Entführern.

Im Mittelpunkt des Films steht Chiara (Maya Sansa), eine junge Bibliothekarin der Brigate Rosse, in deren von ihr angemieteter guter Stube Aldo Moro (Roberto Herlitzka) 55 Tage lang festgehalten wird. Je länger die Entführung dauert und je mehr sich abzeichnet, dass die italienische Regierung nicht gewillt ist, auf die Forderungen der Terroristen einzugehen, desto mehr gerät die junge Frau ins Grübeln, doch den sinnlosen Tod Aldo Moros kann auch sie nicht verhindern. Immer wieder blitzen aber Handlungssplitter auf, die andeuten, dass ein anderer Verlauf der Geschichte möglich gewesen wäre. Basierend auf dem Bericht „Der Gefangene“ von Anna Laura Braghetti, deren Funktion bei der realen Entführung Moros die Figur Chiaras nachgezeichnet ist, geht Bellocchio in seinem Film sehr ungenau und mitunter seltsam verschwommen mit den realen Ereignissen um: Da wird Aldo Moro zu einer sanften, manchmal gar visionären Vaterfigur hochstilisiert, und Chiara balanciert als grübelnde Terroristin und gefallene Sünderin ständig am Rande des Nervenzusammenbruchs, was bei allem Interesse für das Zwischenmenschliche und Zwischenmenschelnde doch recht schnell ermüdet. Kein Wort indes fällt über die politischen Intrigen im Hintergrund, stattdessen wird das Politische in den Rang des Privaten herabgewürdigt und gerät immer mehr zum psychoanalytischen Lehrstück, das stellenweise vor Plattitüden und Klischees nur so strotzt. So originell diese Herangehensweise auch sein mag und so sehr ambitioniert sie als erster Schritt bei der Auseinandersetzung mit der italienischen Geschichte auch ist, das Kammerspielartige und die Reduzierung klammert Ursachen, Hintergründe und Motive der Geschehnisse vollkommen aus und banalisiert den Fall Aldo Moro zu einem „Familiendrama“, an dessen Ende sich der (reale) Tod und die (imaginierte) Befreiung Moros durch Chiara unversöhnlich gegenüberstehen.

Wären nicht die beeindruckenden Leistungen der Schauspieler, allen voran von Roberto Herlitzka, der der Gestalt Aldo Moros eine beeindruckende Präsenz verleiht, müsste Buongionro, Notte – Der Fall Aldo Moro als gänzlich misslungener Versuch einer Aufarbeitung gelten. Der Film bleibt jedenfalls bis zum Ende unentschlossen und kann sich zwischen Märchenstunde, gefühlsduseligem Psychodrama und Doku-Fiction nicht entscheiden.

Buongiorno, Notte – Der Fall Aldo Moro

Betrachtet man die politisch bewegten siebziger Jahre in Deutschland und Italien, so ist es neben vielen Unterschieden vor allem eine Gemeinsamkeit, die die beiden Staaten miteinander verbindet:
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