Log Line

Nach den Erfolgen mit „Ein andalusischer Hund“ und „Das goldene Zeitalter“ steht Luis Buñuel auf dem Gipfel des Ruhms und findet doch keine Finanziers für sein neues Filmprojekt, einen Dokumentarfilm. Ein gerade mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichneter Animationsfilm zeigt den schwierigen Entstehungsprozess.

Buñuel - Im Labyrinth der Schildkröten (2018)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eine Art Making-of

„Land ohne Brot“ („Las Hurdes“, 1932), der dritte und erste dokumentarische Film von Luis Buñuel über eine bettelarme Gegend in der Extremadura, steht ein wenig im Schatten seiner beiden weltberühmten Vorgänger „Ein andalusischer Hund“ („Un chien andalou“, 1928) und „Das goldene Zeitalter“ („L’age d’or“, 1930), die beide als Meilensteine des surrealistischen Films Aufnahme in die Geschichtsschreibung des Mediums fanden. Der Film selbst stand unter keinem guten Stern, da der Filmemacher sich zwar binnen kurzer Zeit einen Ruf als veritabler Bürgerschreck eingehandelt hatte, zugleich aber auf Drängen des Vatikan und katholischer Kreise ein Finanzier nach dem anderen eine Zusammenarbeit mit Buñuel ablehnte. Und so war es vor allem einem glücklichen Zufall, dem Lottogewinn des Bildhauers Ramón Acin, zu verdanken, dass „Land ohne Brot“ überhaupt entstehen konnte. Der Witz dabei (überhaupt ist der Film überraschend humorvoll geraten): Kurz zuvor hatte Acín seinem Freund Buñuel genau das bei einem weihnachtlichen Besäufnis in einer Kneipe versprochen.

Salvador Simó nimmt die Idee zu dem Film und die mehr als turbulenten Dreharbeiten als Ausgangspunkt, nicht nur über das Schaffen und den kreativen Entstehungsprozess zu räsonieren, sondern nimmt auch immer wieder Bezug auf Buñuels Leben, seine Prägungen und — wie könnte es auch anders sein bei einem Surrealisten — seine Ängste, Träume und Visionen, in denen er schon mal von seiner Mutter in der Gestalt der Jungfrau Maria kräftig geohrfeigt wird. Die Rückblenden wiederum verdeutlichen seine streng katholische Erziehung und das Verhältnis zu seinem Vater sowie seiner Mutter und zeigen, gegen wen und was er später seine berüchtigten Tabubrüche vor allem richten wird.

Und nicht zuletzt ist der Film auch eine Auseinandersetzung mit der uralten Thematik, wieviel Wahrheit und wieviel Inszenierung in dokumentarischen Werken stecken darf: denn natürlich ist Buñuel gerade als Surrealist nur teilweise an der Wirklichkeit, vor allem aber an der Wirkmächtigkeit von Bildern interessiert. Und so greift er selbst massiv in das Geschehen vor der Kamera ein, kauft Hühner, um das grausame Ritual des Kopfabreißens in Großaufnahme einzufangen (wobei sich das als schwerer als gedacht entpuppt und der Regisseur zudem panische Angst vor Hühnern hat) sowie einen Esel, stellt das Begräbnis eines Kindes nach und verursacht den Tod zweier Ziegen, damit die bettelarmen Dorfbewohner endlich mal wieder Fleisch auf den Tisch bekommen.

Zugleich aber — auch das zeigt der Film schlüssig — beginnt hier eine Wandlung sich Bahn zu brechen, in der der auf Provokation bedachte, aus gutbürgerlichem Hause stammende Buñuel sein Interesse für soziale Belange entdeckt. Und der Film verdeutlicht ebenfalls, mit welcher Härte und manchmal fast Grausamkeit Buñuel gegen sich selbst und gegen andere, seine künstlerischen Visionen vorantrieb — das macht ihn nicht unbedingt zu einem Sympathieträger in diesem Werk über sein Leben und Wirken.

Buñuel — Im Labyrinth der Schildkröten basiert auf einer Graphic Novel von Fermín Solís und ist nicht nur eine Hommage an das Leben und Wirken Buñuels selbst, sondern auch eine Ode an die Freundschaft zwischen ihm und Ramón Acín, der 1936 von den Faschisten im Spanischen Bürgerkrieg ermordet wurde.

Die Animationen selbst atmen den Geist der Vorlage und sind gerade in ihrer Schlichtheit atmosphärisch dicht und eindrucksvoll geraten — zumal Simó es sich nicht nehmen lässt, in die animierten Szenen hinein echtes Filmmaterial von Land ohne Brot einzuarbeiten.

Dem eigentlichen Film Buñuels war übrigens kein Glück beschieden: Weil er die Armut so schonungslos offenlegte, wurde das Werk 1933 direkt von der spanischen Regierung verboten, die Uraufführung erfolgte dann erst drei Jahre später, als im Lande bereits der Bürgerkrieg tobte.

Buñuel - Im Labyrinth der Schildkröten (2018)

Paris im Jahre 1930: Nach dem Skandal um L’age d’or ist Luis Buñuel, als er den Vorschlag erhält, einen Dokumentarfilm in den bitterarmen Region von Las Hurdes in Spanien zu drehen. Sein Freund Ramón Acín kauft ein Lotterielos und verspricht dem Filmemacher, dass er im Falle eines Gewinnes ihn bei seinem kommenden Film finanziell unterstützen wird. Als der Glücksfall eintritt, wird dies für Buñuel zu einer einschneidenden Erfahrung, denn die Armut, der er begegnet, bewegt ihn zutiefst. 

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Martin Zopick · 02.10.2021

Bio-Doku-Surrealo.
Eine Kombination aus dokumentarischen Aufnahmen von Bunuels Film Land ohne Brot (Las Hurdes, 1933) und eigens dazu gemachter Animationspassagen. Ein großer Teil beschreibt die Schwierigkeiten, diesen Film über die Menschen in der Extremadura zu drehen. Es gibt finanzielle Probleme, menschliches Leid der armen Leute der Gegend und viele Hinweise auf Bunuels surrealistische Albträume. Ebenso häufig wird ein Streiflicht auf die Vater – Sohn Problematik geworfen. Das sind die besten Stellen des ansonsten meist etwas zähen Film. Da sind die Elefanten auf haushohen Stelzen noch echte Hingucker. Die meist staksigen Bewegungen der Figuren vertiefen den V-Effekt. Immer wieder wird im Gespräch auf Dali hingewiesen, was auf die Dauer etwas ermüdet, da es immer nur darum geht, wer der authentischste der beiden ist. Und die Frage bleibt unbeantwortet. All diese Dinge vergrößern die Distanz zum Publikum.
Bunuel Enthusiasten können diesen Film durchaus genießen, denn sie sehen über die Mängel hinweg. Regisseur Salvador Simó hat einfach zu viel in den Film hineingepackt: Biographisches und Berufliches angereichert mit einer Dokumentation.