Bronson (2008)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Eine verlorene Kreatur im Bannkreis der Brutalität

Er brüllt, wütet, flucht, und dann schlägt er zu, prügelt wie wahnsinnig, wen er erwischen kann – und wird seinerseits von den Gefängniswärtern, die ihn regelmäßig zur Räson bringen, kräftig gezüchtigt. Und zwar nackt, denn wenn dieser Mann sich auf seine selbst heraufbeschworenen Kampf-Konfrontationen vorbereitet, entkleidet er sich geradezu rituell und lässt sich schon einmal von einem Aufseher, den er als Geisel hält, den Rücken eincremen. Michael Peterson (Tom Hardy), der sich in Anlehnung an den berühmten US-amerikanischen Schauspieler Charles „Charlie“ Bronson nennt, bestreitet offensichtlich sein Leben als dauerhafter Insasse im Knast von Abreibung zu Abreibung und gilt als Großbritanniens gewalttätigster Strafgefangener sowie auf Grund seiner Zerstörungswut auch als teuerster. Von den über 35 Jahren, die Charlie nunmehr hinter Gittern zubrachte, saß er 30 in Einzelhaft – eine schier unglaubliche Geschichte, wenn sie nicht auf der tatsächlichen Person Michael Petersons beruhen würde, der aktuell noch immer im britischen Hochsicherheitsgefängnis Wakefield einsitzt.

Als er im Alter von 22 Jahren für eine lächerliche Beute von ein paar Pfund ein Postamt überfällt, wird der bis zu diesem bewaffneten Raub sozial unauffällige Michael Peterson zu sieben Jahren Haft verurteilt, die sich allerdings fortlaufend verlängert. Denn Charles Bronson, wie er sich bald nennt, inszeniert im Knast immer wieder Entführungen und eklatante Gewaltszenarien, so dass er innerhalb von 35 Jahren eine kriminelle Karriere in über 120 Gefängnissen absolvierte, die lediglich von zwei ungefähr dreimonatigen Phasen auf freiem Fuß unterbrochen wurde. Mit Bronson hat der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn einen ungewöhnlichen Spielfilm über diese kuriose Persönlichkeit gedreht, die hier selbst innerhalb einer skurrilen Bühnenshow vor einem – imaginären – Publikum ihre Geschichte erzählt, von grotesken szenischen Darstellungen begleitet.

Mit seiner kontrastiven klassischen Musik, seiner obszönen Sprachlichkeit und seiner ein wenig unwegsamen, mitunter fragmentarisch erscheinenden Dramaturgie stellt Bronson die fiktive Ausformung eines biographischen Stoffes voller Gewalt dar, die auf psychologische Erklärungen und moralische Mahnungen verzichtet. Im Fokus steht der destruktive und schließlich auch künstlerisch-kreative Charakter Charlies in seiner unbarmherzigen wie verlorenen Kreatürlichkeit, der den Zuschauer in einer zwischen Abscheu, Staunen und Unverständnis oszillierenden Ratlosigkeit verharren lässt.

Als der Film im Rahmen des London Film Festivals 2008 seine Premiere feierte, spielte Regisseur Nicolas Winding Refn (Pusher, 1996, Bleeder, 1999, Fear X, 2003) dem Kinopublikum zum Missfallen der Veranstalter eine Audioaufnahme des noch heute inhaftierten Charles Bronson mit Kommentaren zum Filmprojekt vor, die auch unter den Extras der DVD zu finden ist. Vor allem dieses Dokument, doch auch das weitere Bonusmaterial transportiert in eindrucksvoller Weise Sequenzen aus dem abgeschotteten Universum Michael Petersons, das den Film in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt. Wirkt Bronson für sich betrachtet wie eine zynische, schräge Satire über einen trotzigen, unverstandenen und geradezu pathologisch gewalttätigen Außenseiter, so erweitern die Hintergrundinformationen zum Film und Menschen dieses Bild um bedeutsame Komponenten, die den Zuschauer zutiefst nachdenklich zurücklassen.
 

Bronson (2008)

Er brüllt, wütet, flucht, und dann schlägt er zu, prügelt wie wahnsinnig, wen er erwischen kann – und wird seinerseits von den Gefängniswärtern, die ihn regelmäßig zur Räson bringen, kräftig gezüchtigt. Und zwar nackt, denn wenn dieser Mann sich auf seine selbst heraufbeschworenen Kampf-Konfrontationen vorbereitet, entkleidet er sich geradezu rituell und lässt sich schon einmal von einem Aufseher, den er als Geisel hält, den Rücken eincremen.

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