Broadchurch (Staffel 2)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Kontrastiv-kritische Krimikultur

War der Prozess der emotional hochgradig erschütternden Ermittlungen in der ersten Staffel der Krimiserie Broadchurch bereits eine immens anstrengende wie aufregende Angelegenheit, sorgte sein Resultat zusätzlich für abgründigen Aufruhr unter den Protagonisten: Der Mörder des elfjährigen Danny Latimer (Oscar McNamarra) stammt tatsächlich mitten aus der kleinen Gemeinde Broadchurch, ist der Vater von Dannys bestem Freund Tom (Adam Wilson) und der Ehemann von Detective Sergeant Ellie Miller (Olivia Colman), die in distanzierter, doch enger Zusammenarbeit mit ihrem Vorgesetzten Detective Inspector Alec Hardy (David Tennant) den Fall durchlitten und gelöst hat. Dass Joe Miller (Matthew Gravelle) Danny getötet hat und am Ende zwangsläufig geständig ist, stürzt nicht nur die Familien Latimer und Miller, sondern den gesamten Ort in eine ruhelose Krise des Unverständnisses und der Veränderungen, wie die zweite Staffel des schonungslos schaurigen Schauspiels eröffnet: Der Gerichtsprozess gegen Joe Miller beginnt, und zwar mit einer eklatanten Überraschung für alle Beteiligten, die den ohnehin stark strapazierten Figuren einen kräftigen Kick in die wunden Weichteile verpasst.

Erneut ereignet sich in einem kuriosen, voll und bestens besetzten Karussell von Charakteren ein komplexes, kompliziertes und kochendes Beziehungsgeflecht um den Tod eines Kindes, dessen Umstände und Auswirkungen ein ganzes Städtchen zu einem Moloch an Geheimnissen, Gewissensbissen und Konflikten aufbrodeln lassen. Alec Hardy als führender Ermittler kämpft nach wie vor mit seiner allen verschwiegenen Krankheit und wird zugleich anhaltend von einem ungelösten Fall aus seiner Vergangenheit geplagt, bei dem er sich gefährlich weit von den üblichen Vorschriften entfernt hat. Ellie Miller als Frau des Mörders und nunmehr allein erziehende Mutter eines Kleinkindes und des radikal rebellierenden Toms, der gerade lieber demonstrativ bei seiner Tante lebt, erfährt elendig einsame, derbe feindliche Zeiten, zumal die Mutter des Ermordeten, ihre frühere Freundin Beth Latimer (Jodie Whittaker), ihr schwere Vorwürfe anlastet. Auf Seiten des Gesetzes formiert sich zudem mit der älteren, angesehenen Anwältin Jocelyn Knight (Charlotte Rampling) und ihrer einstigen, extrem ehrgeizigen Schülerin Sharon Bishop (Marianne Jean-Baptiste) ein erbittertes Gegnerinnenpaar, das im Grunde mehr als ausreichend eigene Probleme hat und sich vor Gericht einen kühl kalkulierten Krieg liefert. Und bei den Latimers steht neben allem Entsetzen, zwiespältiger Trauer und inneren Zerrissenheiten auch noch Nachwuchs ins Haus …

Wiederum so dicht und drastisch konstruiert wie ausgeführt, bietet auch die zweite Staffel von Broadchurch ungebrochen und unvermindert ein schreckliches Szenario von Schuld und Verstrickungen, das bis in die einfallsreichen, sorgfältig und schlüssig ausgefeilten Details der Dramaturgie und Figurenzeichnung hinein überzeugt und fesselt. Ein Reigen von erregenden Ereignissen und verborgenen Geschichten rankt sich nicht nur um die Hauptpersonen, sondern integriert gelungen auch die weiteren sowie zusätzlich neue Akteure, wobei es eine schmerzlich aufklaffende, kaum erträgliche Menschlichkeit ist, die alle Taten und Verhältnisse mit ihrem Schwefelhauch der Unzulänglichkeit umweht. Das innovative, inspirierte und trefflich klug ausgeklügelte Konzept des Mammut-Projekts Broadchurch – die Dreharbeiten zur dritten Staffel sind für den kommenden Mai geplant – mit seinen Serien-typischen Elementen in geballter außergewöhnlicher Intensi- und Qualität präsentiert auch in der zweiten Runde sonst oft seicht sickernde Seifenopernsequenzen mit einer kraftvollen Inbrunst, die sich mit unmittelbarer Leichtigkeit auf den Zuschauer überträgt. Der Rundumschlag von üppigen, existenziell bedeutsamen Themen und Wendungen in seiner anspruchsvollen Ausprägung und seiner sensiblen bis schlagkräftigen Form ködert auch die Kritik, die in der Regel einer Verbindung von Serientum, Spektakularität und Spannung mit Publikumserfolg per se skeptisch gegenübersteht.

Entlud sich die erste Staffel am Schluss noch in der ersehnten Enthüllung bezüglich des Mörders, mutet es umso schwieriger an, einen angemessenen Ausklang für die zweite zu finden, die zunächst auf einen empfindlichen Eklat für die Bewohner des Küstenstädtchens und ebenso für die Fairness-Fans im Publikum hinauszulaufen scheint. Nichtsdestotrotz ist es dem Drehbuchautor Chris Chibnall mit respektabler Einfühlsamkeit gelungen, ein erträglich versöhnliches Ende zu ersinnen, das einigen der arg gebeutelten Protagonisten gar eine entscheidende eigene Entwicklung mit absolut positiver Tendenz einräumt, innerhalb welcher sie sozusagen über sich selbst hinauswachsen, der traumatisierenden Tiefgründigkeit zum Trotz. Doch Vorsicht: Die dritte Staffel wird zweifellos wieder etliche Gelegenheiten bieten, ihre Figuren in quälende Abgründe blicken und fallen zu lassen, belastet mit ein paar düsteren, drängenden Themen einer morbiden europäischen Gesellschaft im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, das immerhin diese Art von kontrastiver, kritischer Krimikultur kreieren kann.
 

Broadchurch (Staffel 2)

War der Prozess der emotional hochgradig erschütternden Ermittlungen in der ersten Staffel der Krimiserie „Broadchurch“ bereits eine immens anstrengende wie aufregende Angelegenheit, sorgte sein Resultat zusätzlich für abgründigen Aufruhr unter den Protagonisten: Der Mörder des elfjährigen Danny Latimer (Oscar McNamarra) stammt tatsächlich mitten aus der kleinen Gemeinde Broadchurch, ist der Vater von Dannys bestem Freund Tom (Adam Wilson) und der Ehemann von Detective Sergeant Ellie Miller (Olivia Colman), die in distanzierter, doch enger Zusammenarbeit mit ihrem Vorgesetzten Detective Inspector Alec Hardy (David Tennant) den Fall durchlitten und gelöst hat.

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