Brief einer Unbekannten

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Leidenschaft, die Leiden schafft

Einen Filmpreis für Nachwuchstalente innerhalb eines jährlich stattfindenden Festivals hat seine Geburtsstadt Saarbrücken nach ihm benannt, was seinen Namen auch innerhalb der modernen deutschen Filmwelten präsent erhält: Der deutsch-französische Theater-, Opern- und Filmregisseur Max Ophüls (1902-1957) gilt als präziser Betrachter vor allem weiblicher Befindlichkeiten, wovon die markanten Heldinnen seiner Filme zeugen. Aus seiner Schaffensperiode in den USA während der 1940er Jahre, nachdem er dort Zuflucht vor dem nationalsozialistischen Terror fand, stammt neben drei weiteren Filmen auch das tragische Drama Brief einer Unbekannten, dessen Geschichte sich an die gleichnamige Novelle des österreichischen Schriftstellers Stefan Zweig anlehnt.
Als der einst erfolgreiche, in eine Sinnkrise geratene Konzertpianist Stefan Brand (Louis Jourdan) eines Nachts nach einer Geselligkeit mit Freunden in seine Wohnung zurückkehrt, plant er eine spontane Reise, um einem Duell zu entgehen, zu dem ihn der eifersüchtige Baron Johann Stauffer (Marcel Journet) herausgefordert hat, mit dessen Gattin Lisa (Joan Fontaine) der chramante Musiker und Frauenverführer geflirtet hat. Doch dann überreicht ihm sein Hausdiener einen Brief, der für ihn eingetroffen ist, und diese Lektüre erschüttert Stefan mit schicksalshafter Wucht in den Grundfesten seines oberflächlichen Daseins. Beginnend mit den Worten „Wenn du diesen Brief liest, bin ich vielleicht schon tot“ ergeht sich eben jene Lisa, die Stefan nur für eine begehrenswerte Schönheit hält, der er kürzlich begegnet ist, in einer ganz persönlichen, pathetischen Lebensbeichte, innerhalb welcher letztlich der windige Pianist selbst scheinbar die Hauptrolle spielt …

In rückblickender Erzählform beschwört Max Ophüls die bürgerliche Gesellschaft Wiens um die Wende zum 20. Jahrhundert herauf, als die damals 15jährige Lisa mit dem Einzug Stefan Brands in eine Nachbarwohnung erste Liebeskeimungen erfährt, die sie fortan als mächtige, unerfüllte, unbedingte und unausgesprochene Leidenschaft begleiten und ihr Schicksal bestimmen werden. Später kommt es zu einer kurzen Affäre zwischen den beiden, aus der Lisas Sohn Stefan (Leo B. Pessin) hervorgeht, an die sich der Pianist allerdings nicht einmal mehr erinnert, als er Lisa schließlich nach einigen Jahren wiederbegegnet, nicht ahnend, dass er Vater ist. Während die heimliche Liebe zum Leitfaden ihres Lebens wird, schöpft Lisa daraus die Kraft für alle unkonventionellen Entscheidungen, deren Konsequenzen sie als Widmung an den unwissenden, unzuverlässigen Geliebten duldsam erträgt.

Wie vielschichtig und prägnant sich dieser Frauencharakter auch in der optischen Gestaltung von Brief einer Unbekannten niederschlägt, analysiert mit ansprechendem Scharfsinn der Filmhistoriker Tag Gallagher in einem Videoessay, das als Extra auf der DVD enthalten ist. Überwiegend dunkel und schattenreich erscheinen die bewegten und bewegenden Bilder der Kamera Franz Planers, begleitet von den Off-Kommentaren der tragischen Heldin, die ihre Geschichte aus der eigenen idealistischen Sicht präsentiert, die sich vor allem aus ihrem lebhaften Innenleben nährt, mit dem sie auch bei entsprechenden Gelegenheiten kaum in Beziehung zu Stefan tritt. Es ist wie so häufig bei Filmen von Max Ophüls: Was als leichtgängige Erzählung daherkommt, erweist sich bei näherer Betrachtung als schwerer Stoff – ein Gegensatz, der meisterhaft innerhalb der filigranen Visualität zum Ausdruck kommt. Das ist eigen- sowie tiefsinnige Filmkunst, die ihre Geheimnisse nicht unbedingt auf den ersten Blick preisgibt, auch wenn sie atmosphärisch unmittelbar überzeugt.

Brief einer Unbekannten

Einen Filmpreis für Nachwuchstalente innerhalb eines jährlich stattfindenden Festivals hat seine Geburtsstadt Saarbrücken nach ihm benannt, was seinen Namen auch innerhalb der modernen deutschen Filmwelten präsent erhält: Der deutsch-französische Theater-, Opern- und Filmregisseur Max Ophüls (1902-1957) gilt als präziser Betrachter vor allem weiblicher Befindlichkeiten, wovon die markanten Heldinnen seiner Filme zeugen.
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