Brassed Off

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Der Eisernen Lady den Marsch geblasen

Im britischen Städtchen Grimley gehört für eine spezielle Truppe von Bergarbeitern der örtlichen Zeche ein besonderer Termin zu den rituellen Gepflogenheiten ihres Alltags: Die Probe der Bergmannskapelle, die vor rund einem Jahrhundert in Grimley gegründet wurde und vom amtierenden Dirigenten Danny (Pete Postlethwaite) mit strengem Pathos und ebensolcher Hand geleitet wird. Im Zuge der Politik Margaret Thatchers ist es jedoch übel um die Zukunft der Zechen des Landes, ihrer Arbeiter und deren Familien bestellt, so dass die Vorboten dieser drohenden sozialen Katastrophe für viele der Einwohner Grimleys das Thema Nummer eins in der Kleinstadt liefern – und nicht selten auch unter den Mitgliedern des Blasorchesters. Demoralisiert und in der durch Streiks und andere politischen Unruhen aufgeheizten Stimmung auf jeden Penny angewiesen gibt es Männer unter den Bläsern, die sich aus dem traditionellen Kreis der Kapelle zurückziehen wollen, auch wenn sie die zweifellos rabiate Reaktion des Dirigenten fürchten.
Doch bevor die unumgängliche Konfrontation zweier Austrittswilliger mit Danny so richtig in Fahrt kommt, erscheint unvermittelt die aparte junge Gloria (Tara Fitzgerald) mit ihrem Flügelhorn bei der Probe der Musiker. In Grimley aufgewachsen und mittlerweile erfolgreich nach London verzogen hat Gloria das Instrument von ihrem verstorbenen Vater geerbt, der früher mit Danny befreundet war. Nachdem sie die Truppe mit einer Kostprobe von ihren musikalischen Fähigkeiten überzeugt hat, wird sie aufgenommen und belebt die Stimmung und Moral in der Männerkapelle ganz erheblich. Doch der brisante Umstand, dass Gloria nicht etwa zufällig nach Grimley zurückgekehrt ist, sondern weil sie ein Rentabilitätsgutachten über die örtliche Zeche erstellen soll, das – vermeintlich – entscheidend für das weitere Schicksal derselben werden könnte, bleibt auch ihren Kapellenkollegen nicht lange verborgen. Damit sinkt die Beliebtheit der talentierten Flügelhornbläserin schlagartig, und selbst der junge Andy (Ewan McGregor), den Gloria von früher kennt und mit dem sie nun eine Liebesaffäre begonnen hat, distanziert sich von ihr.

Als der gesundheitlich stark angegriffene Danny, dessen Ehrgeiz darin besteht, ein einziges Mal mit seinem Orchester den nationalen Wettbewerb der Blaskapellen zu gewinnen, zusammenbricht und als treibende Kraft ausfällt, zeigt Gloria jedoch, dass sie nicht nur auf Seiten der Bergarbeiter kämpft, sondern wie sehr ihr auch Danny und die Kapelle am Herzen liegen. Denn dass sie mit ihrem Bericht lediglich eine politische Alibifunktion ohne Relevanz erfüllen sollte, hat sie selbst nicht geahnt, und so organisiert sie die notwendigen finanziellen Mittel für die Fahrt der Bläser zum Finale des Wettbewerbs nach London in die Royal Albert Hall. Und dort gestaltet sich der letzte Auftritt der Blaskapelle dann völlig anders als erwartet, denn mit einem Mal taucht der kranke Dirigent doch noch bei der Veranstaltung auf …

Vor dem ernsthaften sozialpolitischen Hintergrund der massiven Zechenschließungen im Großbritannien der 1980er Jahre entwirft Regisseur Mark Herman (Little Voice / Die Stimme ihres Lebens, 1998, The Boy in the Striped Pyjamas / Der Junge im gestreiften Pyjama, 2008) mit diesem engagierten, atmosphärischen Film aus dem Jahre 1996 einen ebenso humorvollen wie kritischen Abgesang auf den erbittert geführten Arbeitskampf der Bergleute. Brassed Off wagt es, mit seinem ganz hervorragend aufspielenden Ensemble ein galgenhumoriges Plädoyer für Widerstandsgeist und Lebensfreude zu halten, dass der für Tausende von Bergarbeitern desolaten wirtschaftlichen Entwicklung mit einer würdigen Haltung trotzt, die in Zeiten des unaufhaltsamen Werteverlusts eine kleine Orientierung bietet.

Der vielfach ausgezeichnete Film, der unter anderem einen César sowie den Deutschen Filmpreis gewann, verzichtet weder auf eine derbe Verunglimpfung der unverblümt namentlich genannten Person Margaret Thatchers, noch auf den hier wohl unvermeidlichen, schlüpfrigen Blasewitz. Dabei steht die warmherzige Zeichnung der markanten Figuren im Vordergrund, die sich angesichts ihrer existentiellen Krise dafür entscheiden, zumindest mit Pauken und Trompeten – so lautet auch der deutsche Zusatz zum Titel – und einem flammenden Pamphlet in Form der Abschlussrede des Dirigenten Danny trotzig unterzugehen, wenn der Abstieg schon unvermeidlich ist.

Brassed Off erscheint auch als Einzel-DVD erhältlich im Rahmen der Arthaus Collection British Cinema, die mit kuriosen Kostbarkeiten wie My Beautiful Laundrette / Mein wunderbarer Waschsalon von Stephen Frears, Drowning by Numbers / Verschwörung der Frauen von Peter Greenaway und Naked / Nackt von Mike Leigh auch sieben DVD-Premieren präsentiert. Das ist großartiges britisches Kino in seiner ganz eigenen ungezähmten Art, das den desolaten sozialen Phänomenen der Gesellschaft mit respektablem, drastischem Individualismus und zärtlichem bis bitter-bösem Humor begegnet.

Brassed Off

Im britischen Städtchen Grimley gehört für eine spezielle Truppe von Bergarbeitern der örtlichen Zeche ein besonderer Termin zu den rituellen Gepflogenheiten ihres Alltags: Die Probe der Bergmannskapelle, die vor rund einem Jahrhundert in Grimley gegründet wurde und vom amtierenden Dirigenten Danny (Pete Postlethwaite) mit strengem Pathos und ebensolcher Hand geleitet wird.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Martin Zopick · 03.10.2020

Eine der bewegendsten working-class comedies. Ihr Reiz liegt in der Tatsache, dass sie vor einem ersten Hintergrund spielt: Zechenschließung. Und die Kumpels spielen in einer Blaskapelle der Grube und wollen den großen Landeswettbewerb gewinnen.
Natürlich sorgt auch eine Lovestory für zusätzliche Spannung. Die Liebenden (Ewan McGregor und Tara Fitzgerald) gehören nämlich den beiden verfeindeten Teilen des bipolaren Weltbildes der Arbeiter an: „wir da unten, die da oben“. Beim nächtlichen Ständchen für den erkrankten Dirigenten Pete Postlethwaite kann man schon mal zum Taschentuch greifen.
Die Musikbeispiele gipfeln natürlich in Englands heimlicher Nationalhymne von Edward Elgar „Pomp and Circumstance“ Und wenn dann am Ende der Dirigent mit der abschließenden Rede noch eine Überraschung parat hat, freut man sich mit den Akteuren und kann das Taschentuch getrost wieder weglegen. Zeitlos genial!