Borderland Blues

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Grenzbegehungen

Dass unsere gesamte Welt offensichtlich in geographisch-juristisch genau differenzierte Territorien eingeteilt ist, produziert artifizielle Grenzen, Grenzgebiete und Grenzgänger. Strikte Gesetze und Ausschlusskriterien regeln den Zugang zu den einzelnen nationalen Gebieten, was wiederum rege illegalisierte Bewegungen an Grenzen nach sich zieht. Eine besonders brisante Grenzregion – markiert und scheinbar gesichert durch einen bereits über eintausend Kilometer langen, permanent erweiterten Zaun – erstreckt sich über 3144 Kilometer zwischen Mexiko und den USA in der Wüste von Arizona. Auch hier leben Menschen, deren Alltag permanent und umfangreich durch die speziellen politischen und soziokulturellen Bedingungen ihres prekären Lebensraums geprägt ist.
Die Dokumentarfilmerin Gudrun Gruber und ihr Team haben die Bewohner_innen dieser Region sowie ihre Stimmungen und Positionen porträtiert: Borderland Blues berührt damit angesichts der globalen Verunsicherung um Migration und die damit einhergehenden Existenzängste ein ebenso wichtiges wie schwelendes Thema unserer Zeit, das einmal mehr die gewaltige moralische Frage nach den humanitären Haltungen und Handlungen von Einzelnen, Gruppen und Gesellschaften aufwirft.

Wie verschieden der Grenzbereich und seine knallharten Implikationen von den Menschen seiner Umgebung empfunden werden, illustriert der Dokumentarfilm in Form von gemeinsamen Grenzbegehungen mit diversen Protagonist_innen der weitläufigen, extrem unterschiedlichen Nachbarschaft. Die Native American Aktivistin Ofelia Rivas berichtet ebenso von ihrer Daseinsrealität mit dem Zaun durch ihren Hof wie ortsansässige Farmer, selbsternannte paramilitärisch orientierte „Grenzschützer“, eine Menschenrechtsvertreterin, ferner Grenzwachen, ein Tierarzt und stylische Cowboys einer kleinen Ortschaft, in der das offene Tragen von Waffen eine Selbstverständlichkeit darstellt. Damit entsteht die lebendige Skizze eines Ausnahmezustands, der hier längst Routine ist und die Wüstenwirklichkeit mit Ungeheuerlichkeiten wie Drogen, Schmuggel, der Jagd auf verdächtige Passanten und ungeahndeten Morden pflastert. Schier unglaublich erscheinen diese banalen bis brutalen Geschichten, die von der bedrückenden, allzu gern verdrängten Realität eines Grenzraums zeugen, der durch die Drohung des neu gewählten US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump, dort eine Mauer zu errichten, enorm an Brisanz gewonnen hat.

Wenn Paige Corich-Kleim als Engagierte der Nichtregierungsorganisation No more Deaths Wasser und Lebensmittel in der Wüste deponiert, um heimliche Grenzüberquerer von Mexiko in die USA zu unterstützen, die mitunter tagelang durch die karge Region irren, um Wenigen auf diese Weise möglicherweise das Leben zu retten, kann es durchaus passieren, dass diese von Mitgliedern der Arizona Border Recon geplündert werden, deren Interessen sich offenkundig direkt gegenteilig ausnehmen, trotz mitleidiger Momente. Zwischen diesen extremen Positionen klafft die deutlich durchscheinende Ambivalenz einiger Anwohner, die zwischen Verständnis für das sichtbare Elend und ihrem Sicherheitsbedürfnis oszillieren, auch angesichts etlicher durch diese Grenzsituation zu beklagende Todesopfer. Diese Darstellung bildet auf ebenso unmittelbare wie drastische Weise ein grundsätzliches Dilemma ab, das durch den internationalen politischen Diskurs darüber geschürt wird und letztlich langfristig jeden einzelnen darüber reflektierenden Menschen dazu auffordert, Stellung zu beziehen.

Der Blues im Titel des Films schlägt sich in zweifacher Hinsicht nieder: Einerseits durch die stimmige, zurückhaltende und melancholische Musik des österreichischen Filmkomponisten Dominik Giesriegl, andererseits durch die tiefschürfende Tristesse, die sich als durchdringende Atmosphäre zwischen den Kulissen und Geschichten ausbreitet, sozusagen durch die dampfenden Ritzen des alltäglichen Lebensraums der Grenzbewohner_innen. Für Regisseurin Gudrun Gruber bedarf es diesbezüglich keiner gesonderten Kommentare, drückt doch bereits ihr breit angelegtes Spektrum an ausgewählten Szenen ihr Bemühen um Authentizität, Vielfalt und Fairness aus. Die Selektion und Darstellungsmacht, die sie hierbei einsetzt, ist immerhin trefflich dafür geeignet, auch ein skeptisches Publikum zum Nachdenken zu verführen.

Borderland Blues

Dass unsere gesamte Welt offensichtlich in geographisch-juristisch genau differenzierte Territorien eingeteilt ist, produziert artifizielle Grenzen, Grenzgebiete und Grenzgänger. Strikte Gesetze und Ausschlusskriterien regeln den Zugang zu den einzelnen nationalen Gebieten, was wiederum rege illegalisierte Bewegungen an Grenzen nach sich zieht.
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