Boogie Nights (1997)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Jahre, in denen der Porno seine Unschuld verlor

Was waren das noch für Zeiten Ende der Siebziger: Die Disco-Welle steckte gerade in ihren Anfängen, die sexuelle Revolution und die Zeit vor dem HIV-Virus sorgten dafür, dass Männlein und Weiblein anscheinend immer und überall zur Paarung bereit waren und dementsprechend feierte auch das Porno-Business fröhliche Urstände. Von dieser wilden und verrückten Zeit erzählt Boogie Nights, eine ebenso beschwingte wie erhellende und beiläufig auch tragische Zeitreise in die Lebenslüge eine Pornofamilie.

Diese besteht aus dem Pornofilmproduzenten Jack Horner (Burt Reynolds), dem Pater familias, Amber Waves(Juliane Moore) als Mutter und dem Rollergirl (Heather Graham) als deren versauter Tochter. Fehlt nur noch ein Sohnemann, um das frivole Trio zu vervollständigen, doch denn findet Horner ganz unvermutet in einer Kneipe, wo der siebzehnjährige Eddie Adams (Mark Wahlberg) als Tellerwäscher sein Taschengeld aufbessert. Adams Talent für Jacks Filmchen ist offensichtlich, denn was der brave Junge in der knallengen Jeans trägt, ist allem Anschein nach mehr als beachtlich und dazu angetan, „es“ ganz groß rauszubringen. Die Welt, die Adams, der sich fortan Dirk Diggler nennen wird, ist ein Gegenentwurf zur spießigen und miefigen Enge von Eddies Elternhaus. Hier herrscht Toleranz, Freundlichkeit, Offenheit und vor allem eine geradezu spielerischer Umgang mit Sexualität. Schnell wird Dirk zum Star, und rund um ihn und Jack Horner versammelt eine Schar von Freunden, Bewunderern und Verehrern. Zunächst deutet sich nur ganz beiläufig an, dass Dirks Ersatzfamilie brüchig und ein äußerst fragiles Gebilde ist. Da ist beispielsweise Amber, die zwar die Mutterrolle innerhalb der Pornofamilie mit Verve ausspielt, die aber ihr eigenes Kind nicht mehr sehen darf. Oder der onkelhafte Geldgeber und Strippenzieher The Colonel (Robert Ridgely), der sich eines Tages als knallharter Pädophiler entpuppt. Oder der Kameramann Little Bill (William H. Macy), der die sexuellen Demütigungen seiner Frau nicht mehr erträgt und der ausgerechnet an Silvester zuerst diese und ihren Liebhaber und anschließend sich selbst ins Jenseits befördert. Doch das ist erst der Anfang vom unaufhaltsamen Abstieg Dirks, der schließlich zum Opfer seines Images und seiner durchaus auch künstlerischen Ambitionen wird…

Mit Boogie Nights, den Paul Thomas Anderson im zarten Alter von 26 Jahren realisierte, avancierte der Jungfilmer zu einer der großen und eigenständigen Regiehoffnungen Hollyoods, einen Anspruch, den er mit Magnolia voll und ganz, mit Punch Drunk Love allerdings nur teilweise einlösen konnte, zumindest was den Zuspruch an den Kinokassen anbelangte. In Boogie Nights allerdings präsentiert sich Anderson in bestechender Frühform, sein Sittengemälde über Aufstieg und Fall eines Pornostars atmet in jeder Szene den Geist der Siebziger und frühen Achtziger und ist ebenso desillusionierend wie beschwingt. Vor allem Mark Wahlberg als tumber, aber netter Hengst mit entsprechendem Gemächt und Philipp Seymour Hoffman als gehemmter Scotty bieten eine großartige Performance, vor allem Wahlberg sah man selten in einem Film so überzeugend, während Hoffmann hier bereits andeutet, dass er einer der großen kommenden Charakterdarsteller Hollywoods ist. Schmunzeln lässt einen auch der Auftritt des Ladykiller Burt Reynolds, der hier endlich die Altersrolle bekam, die er sich redlich verdient hatte, drohte doch der Ruhm seines Brusthaares bereits im Ozean des Vergessens zu verschwinden. Ein nahezu perfekter Film, der verdammt viel enthüllt und es doch nicht nötig hat, trotz des Schmuddelthemas, allzu sehr auf nackte Tatsachen zu setzen. Dirk Digglers legendären Prügel bekommt der Zuschauer erst ganz zum Schluss in einer schüchternen, zutiefst anrührenden Szene gezeigt, in der sich im Nachhinein das ganze Drama und die Verletzlichkeit des Protagonisten offenbaren.

Stilsicher und voller Andeutungen auf Filme wie Saturday Night Fever sowie ein geschicktes Balancieren mit den Images seiner Schauspieler ist Boogie Nights ein gar nicht Ausflug in die Vergangenheit, der sich lediglich niedlich gibt, in Wahrheit aber hundsgemeine Twists und Wendungen bereit hält, die dafür sorgen, dass man diesen Film nicht so schnell vergisst. Für mich ist der Filme auch nach neun Jahren immer noch eines der wichtigsten Werke der späten Neunziger. Wer ihn damals verpasst hat, sollte dieses Versäumnis jetzt schleunigst nachholen, zumal die zusätzliche DVD reichlich sehenswertes Zusatzmaterial enthält.
 

Boogie Nights (1997)

Was waren das noch für Zeiten Ende der Siebziger: Die Disco-Welle steckte gerade in ihren Anfängen, die sexuelle Revolution und die Zeit vor dem HIV-Virus sorgten dafür, dass Männlein und Weiblein anscheinend immer und überall zur Paarung bereit waren.

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