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Irgendwo auf einem herrschaftlichen Anwesen im Baltikum treffen ein flüchtiger russischer Baron, der gar keiner ist, und eine nach Blut dürstende Adelige aufeinander und geraten in einen Strudel gegenseitiger Abhängigkeiten, während das werktätige Volk auf dem Felde sich der Marx-Lektüre hingibt.

Blutsauger (2021)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Biss zum Ende des Kapitalismus

Julian Radlmaier ist eine/r der Hauptprotagonist*innen einer neuen Denk- und Stilrichtug des jungen deutschen Films, die sich vielleicht am ehesten als Diskurs-Pop-Kino beschreiben ließe. Verspielt, betont artifiziell und politisch hellwach, aber ohne jeglichen belehrenden Duktus, der dem deutschen Kino sonst so gerne anhaftet, verhandeln Regisseur*innen wie Radlmaier, Susanne Heinrich (Das melancholische Mädchen“), Max Linz (Ich will mich nicht künstlich aufregen“, Weitermachen Sansoucci“) und Tatjana Turanskyj (Orientierungslosigkeit ist kein Verbrechen“) die conditio humanae unserer Gegenwart und machen aus exisztenziellen Fragen schrille Komödien und wüste Satiren, bei denen man oft nicht weiß, ob man lachen soll oder nicht viel eher nachdenken über die prägnanten Einzeiler, die einem da von der Leinwand herab um die Ohren gehauen werden.

Wir schreiben das Jahr 1928. Irgendwo an der Ostsee, in einem nicht näher benannten baltischen Staat, fristet die gelangweilte adelige und steinreiche Erbin Octavia Flambo-Jansen (Lilith Stangenberg) ein tristes Dasein. Von aller Welt außer ihrem getreuen Diener – Verzeihung „persönlichen Assistenten“ – Jakob (Alexander Herbst) verlassen, nährt sie sich des Nächtens von dessen Blut. Doch das traute kapitalistische Herrschaftsverhältnis wird jäh durch einen Besucher gestört, der sich als geflohener russischer Baron Ljowushka (Alexandre Koberidze, Regisseur des sehr sehenswerten Was sehen wir, wenn wir in den Himmel schauen?) ausgibt, in Wirklichkeit aber ein Hochstapler und Schauspieler ist. Dieser, ein echter Proletarier aus dem Kreis der wackeren Werktätigen, sollte in Eisensteins Monumentalwerk Oktober eigentlich die Rolle Leo Trotzkis übernehmen. Doch als dieser in Ungnade fällt, wird die Rolle aus dem Film geschnitten und damit sind die Träume vom Leinwandruhm jäh zerplatzt. Also bleibt ihm nichts anderes als die Flucht und der Versuch, ins gelobte Filmland Hollywood zu gelangen, um dort sein Glück zu finden. Allerdings fehlt ihm dafür leider das Geld und zudem lauern überall Marx lesende Bauern und Vampire, die wie eine Plage chinesischer Flöhe (so die offizielle Lesart der Behörden) ihr Unwesen treiben. Und, wie Ljowushka zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, gehört auch die angebetete Ocatvia zu den Blutsauger*innen.

Julian Radlmaiers Blutsauger, der bei der Online-Berlinale 2021 in der Encounters-Reihe zu sehen war und der hoffentlich bald in die deutschen Kinos kommt (einen Verleih gibt es schon, daran liegt es nicht), schert sich einen Teufel um Genrezuweisungen und historische Details, sondern fiert vielmehr fröhliche Urstände des Witzigen wie des Ernsthaften, mischt munter Stile und Epochen (bezahlt wird mit aller Selbstverständlichkeit mit Euro – im Jahr 1928), Zitate und Filmgeschichte(n), verulkt den K-Gruppen-Sprech früherer wilder studentischer Zeiten, lässt den filmischen Übervater Sergej Eisenstein als Popanz herumstolzieren, haut Seitenhiebe auf die Corona-Pandemie heraus („chinesische Flöhe“), reiht ungeheuer Kluges lustvoll an ziemlich Banales, so dass einem manchmal fast ein wenig schwindelig wird.

Gewiss, Blutsauger überspannt den Bogen auch an der einen oder anderen Stelle, haut dem Publikum mitunter zu viele Kapriolen und Pirouetten um die Ohren, kann bisweilen auch mit seiner bewusst gewählten Künstlichkeit und Cleverness auch ein wenig nerven und verbirgt unter der glasklaren Oberfläche und den teilweise tableauartigen Bildern so manche Stolperfalle. Dennoch wirkt dieser Film frischer, frecher und gewagter als fast alles, was sonst so im deutschen Kino und von Förderungs Gnaden über die Leinwand flimmert.

Und irgendwann merkt man es: Es ist der süße Duft von Freiheit und Anarchie, von Ausgelassenheit und Spieltrieb, von Wut gegen die bestehenden Verhältnisse und Verkrustungen und der gleichzeitigen Einsicht, wie schwer sich etwas gegen diesen Status quo ausrichten lässt. Wir sind Vampire – allesamt. Und vielleicht liegt letzten Endes das Geheimnis darin, dass man den Einen oder die Andere findet, von der oder dem man sich das Blut gerne aussaugen lässt. Denn dass genau das geschieht, daran besteht kein Zweifel.

Blutsauger (2021)

In Julian Radlmaiers „antifaschistischer Vampirkomödie“ geht es um einen sowjetischen Schauspieler in den 1920er-Jahren, der nach Hollywood möchte und sich auf seinem Weg in eine Gräfin verliebt. Doch die entpuppt sich leider die sich aber als Vampirin.

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