Bipolar - Meine Mama ist anders

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Tristes Thema in humoriger Umsetzung

Als „Ganz-oder-gar-nicht-Mama“ beschreibt die neunjährige Bonnie (Jesse Rinsma) ihre Mutter Lis (Carice van Houten), die den extremen Stimmungswechseln einer so genannten bipolaren Störung ausgeliefert ist – vor allem dann, wenn sie die dagegen verordneten Medikamente verweigert, in dem Empfinden, diese gar nicht zu benötigen. Dass der Alltag der Familie im gemütlichen Häuschen mit Garten dennoch auch größtenteils ohne Engagement der Mutter funktioniert, dafür sorgt die agile und fürsorgliche Großmutter (Leny Breederveld) als Oberhaupt der „Elefantensippe“, die eine geradezu traditionelle Affinität zu den pompösen Dickhäutern aufweist, war doch der verstorbene Großvater einst Wildhüter in Afrika. So wächst die lebhafte Bonnie gut versorgt und wohl behütet in dem Frauenhaushalt auf, durchstreift mit ihrem besten Freund und Klassenkameraden Koos (Tom van Kessel) die Nachbarschaft und weiß durchaus auch die Vorteile der Besonderheit ihrer Mutter zu genießen, die gern feine, verrückte Dinge wie das Zelten bei Regen im Garten mit ihr unternimmt und zuvorderst in manischen Phasen zu einem euphorischen, nicht selten recht ausgeflippten Tatendrang neigt, der ihrer Tochter zwar mitunter peinlich ist, ihr aber auch schon mal enorme Mengen an Speiseeis oder schicken Klamotten beschert.
So dynamisch und fröhlich mit positiver Sicht auf die Schrulligkeiten der Familie Bipolar – Meine Mama ist anders von Martin Koolhoven (Schnitzelparadies, Winter in Wartime) aus dem Jahre 2005 auch startet, hält mit dem plötzlichen Unfalltod der Großmutter doch schleichend die Katastrophe Einzug in das junge Leben Bonnies, trotz ihrer Bemühungen, die Organisation und die Verantwortung im Haus zu übernehmen. In ihrer Trauer kaum getragen, kümmert sich Bonnie angesichts der anhaltenden Trägheit von Lis mit allzu häufiger täglicher Bettpräsenz hinter geschlossenen Vorhängen um das Nötigste im Haushalt, versucht auch, ihre Mutter mit Nahrung und Medikamenten zu versorgen und scheitert doch an der schier undurchdringlichen Mauer der Depression oder der zügellosen, unmäßigen Hektik der Manie, während sie sich sehnlichst einen Gefährten wünscht – wenn schon kein neues Geschwisterchen wie Koos es gerade widerstrebend bekommen hat, dann doch wenigstens einen Elefanten…

Auch unter dem deutschen Kinotitel Übergeschnappt, weltweit als Bonkers bekannt und nun als Bipolar – Meine Mama ist anders hierzulande auf DVD erhältlich, markiert der fünfte Spielfilm des niederländischen Regisseurs Martin Koolhoven erneut die humorige, auch kindgerechte Beschäftigung mit einem im Grunde seriösen bis tristen Thema, wobei die Perspektive der jungen Bonnie zum einen eine geradezu selbstverständliche Leichtigkeit im Umgang mit der Problematik psychisch beeinträchtigter Eltern vermittelt und zum anderen das Abgleiten der Geschichte in einen nüchternen, belehrenden Reflexionsmodus verhindert. Dabei werden die Schwierigkeiten eines Mädchens, mit den Unabwägbarkeiten einer derartigen Alltagssituation zurechtzukommen, keineswegs bagatellieisert oder gar unterschlagen, sondern in der ambivalenten Spannbreite ihrer Ausprägungen, Emotionen und Auswirkungen überwiegend unsentimental präsentiert, mit ausreichend Raum für kleine Nachdenklichkeiten am Rande der mitunter beinahe ins Märchenhafte gleitenden Geschehnisse – ein durchaus wohltuender Effekt angesichts der absolut realistisch entworfenen Bedrohungen einer solchen Familie durch die zuständigen Behörden.

Im Rahmen einiger internationaler Filmfestivals zuvorderst mit dem Schwerpunkt auf Kinder- und Jugendfilmen ausgezeichnet, fand die abenteuerliche Komödie ihrerzeit zwar nicht den Weg in die deutschen Kinos, erschien aber 2009 erstmals auf DVD. Mit dem neuen Titel geht auch eine sichtbare Sensibilisierung und Präzisierung des wachsend sozialpolitisch bedeutsamen Themas einher, dessen schwerwiegende Abgründe durchaus in einigen Sequenzen der Dramaturgie abgebildet werden, ohne das junge Publikum zu erdrücken. Am Ende liegt die potenzielle Lösung der drohenden Katastrophe für die kleine Bonnie mit ihrem großen Herzen für die Eigenart ihrer Mutter nicht etwa in einer nahe liegenden radikalen Veränderung der Charaktere oder ihrer persönlichen Lebensumstände, sondern in einer Öffnung der Protagonisten für unterstützende Personen und Konstellationen im unmittelbaren Umfeld, was sich insgesamt in einer unorthodoxen, behaglichen Win-Win-Situation auflöst, die zwar am glücklichen Schluss gefeiert, aber keineswegs blauäugig zementiert wird. Auf diese Weise kommt Bipolar – Meine Mama ist anders bei näherer Betrachtung als Impulse verströmendes, unkonventionelles Vehikel zur mehrdimensionalen Akzeptanz von Andersartigkeit daher, das seine Toleranzen aus professioneller Perspektive sicherlich überzeichnet, aus menschlicher jedoch angemessen schelmisch ausschöpft.

Bipolar - Meine Mama ist anders

Als „Ganz-oder-gar-nicht-Mama“ beschreibt die neunjährige Bonnie (Jesse Rinsma) ihre Mutter Lis (Carice van Houten), die den extremen Stimmungswechseln einer sogenannten bipolaren Störung ausgeliefert ist – vor allem dann, wenn sie die dagegen verordneten Medikamente verweigert, in dem Empfinden, diese gar nicht zu benötigen.
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