Beyond the Hill

Eine Filmkritik von Martin Gobbin

Wie man sich einen Feind baut

„Vielleicht macht einen dieser Ort wilder“, heißt es einmal in Tepenin ardi — Beyond the Hill. Der Ort ist ein urwüchsiges Tal mitten in der südanatolischen Felsenlandschaft, abgeschnitten von der Zivilisation. Die Kommunikation funktioniert hier noch über Rufe, deren Widerhall von den Felswänden abprallt. In dieser Wildnis leben drei Generationen einer Familie und beackern ihre unergiebigen Felder. Es ist eine sehr traditionelle Gemeinschaft: Zu sehen sind fast nur die Männer, die Frauen bleiben im Haus und dienen. Als Dank bekommen sie Sätze wie „Sei still!“ oder „Du machst deine Arbeit fertig, ich gehe ins Bett“ zu hören.
Die Familie ist von den Felsen eingeschlossen wie von den Mauern einer Burg. Als die Männer auf den umliegenden Bergrücken einzelne Fremde entdecken, entwickeln sie daher rasch eine Burgmentalität. Was von außen kommt, ist automatisch eine Bedrohung. Das eigene Territorium muss gegen diese angebliche Gefahr mit allen Mitteln verteidigt werden. Ob es die „Nomaden“, wie das hitzköpfige Familienoberhaupt Faik (Tamer Levent) die Fremden nennt, überhaupt gibt, bleibt während des gesamten Films ungewiss. Von einer so banalen Frage wie der Existenz oder Nicht-Existenz der Fremden lassen sich Faik und seine Nachkommen jedoch nicht abbringen, die Feinde zu bekämpfen, seien sie nun real oder eingebildet.

Beyond the Hill ist eine kluge Studie über spezifisch männliches Territorialverhalten, die Konstruktion von Feinden und den dadurch künstlich erzeugten inneren Zusammenhalt einer an sich brüchigen Gemeinschaft. Der unterschätzte Horrorfilm The Village von M. Night Shyamalan hatte diese Produktion von Angst in Bezug auf die USA nach dem 11. September als politische Parabel interpretiert. Die brillante griechische Groteske Dogtooth wiederum hatte die Erschaffung eines im Außen lauernden fiktiven Monstrums auf die Erziehungsmethoden überängstlicher Eltern übertragen, trotz dieses Fokus‘ auf das Private aber gleichzeitig Verweise auf politische Mechanismen in Staaten wie Nordkorea oder Iran eingewoben.

Das spezielle Interesse von Beyond the Hill richtet sich nun auf die Frage, wie Maskulinitäts-Konzepte zur Burgmentalität und letztlich zu Aggressionen führen. Die Basis dafür liegt letztlich im animalischen Territorialverhalten, wie es Männer auch heute noch in unbewusster Form zeigen, wenn sie auf dem Gehweg andere Männer anrempeln, statt Platz zu machen, oder wenn sie ihr Revier durch betrunkenes Grölen oder auf-den-Boden-spucken markieren, was nicht zufällig dem Röhren von Hirschen oder dem Urinieren männlicher Hunde ähnelt. Faik verteidigt sein Territorium mit dem Gewehr – einer phallisch anmutenden Waffe, die ihre Kugeln ejakuliert und das anvisierte Opfer durch Penetration unterwirft.

Dabei kommt die reale Gefahr in Emin Alpers Regie-Debüt gar nicht von außen, sondern von innen. Der junge Caner (Furkan Berk Kıran) tötet den Hund seines Neffen Sulu (Sercan Gümüş) – dieser rächt sich, indem er auf Caners Vater Nusret (Reha Özcan) schießt – der wiederum vergreift sich an Sulus Mutter (Banu Fotocan) – und Sulus Vater Mehmet (Mehmet Özgür) lässt seine unterdrückte Wut an Pflanzen aus. Die „Nomaden“ dienen nur als Projektionsfläche für die inneren Konflikte – als Blitzableiter, an denen sich aufgestaute Aggressionen entladen können. Am Ende dieser Gewaltspirale stehen letztlich einige ebenso schuld- wie wehrlose Tiere, die die menschliche Niedertracht ausbaden müssen.

Emin Alper inszeniert dieses Lehrstück äußerst geschickt. Indem er die Gewalt fast ausschließlich off-screen geschehen lässt, versetzt er den Zuschauer in eine Position des ständigen Ahnens-aber-nicht-Wissens. Der Film spielt mit den Vermutungen des Publikums, das aus dem Plot eine logische Story zu konstruieren versucht und dabei mitunter Fehlschlüsse produziert.

Was real ist und was die Figuren (oder die Zuschauer) imaginieren, ist nicht immer eindeutig entscheidbar. Gerade diese Ungewissheit zieht den Zuschauer in den Film hinein, da er das Puzzle selbstständig komplettieren muss, dazu aber mangels hinreichender Informationen gar nicht in der Lage ist. So könnten die Totalen und die ungewöhnlichen Riss-Schwenks die subjektive Perspektive der Fremden sein – oder einfach der Blick des allwissenden, objektiven Erzählers.

Zudem ist Beyond the Hill ein Paradebeispiel für effektiven Musikeinsatz. Der Film verzichtet 90 Minuten lang vollständig auf musikalische Untermalung – umso stärker ist dann die Wirkung, als zu den Schlussbildern ein Militärmarsch als ironischer Kommentar erklingt. Im Hollywoodkino werden die Bilder zuweilen mit Musik zugekleistert, bis man den Soundtrack kaum noch wahrnimmt, gerade weil er omnipräsent ist. Alper hingegen übt sich lange Zeit in musikalischer Enthaltsamkeit – und wie jeder weiß, der schon einmal gefastet hat, nimmt man Sinneseindrücke wesentlich intensiver wahr, wenn man sie eine Zeit lang entbehrt hat.

Beyond the Hill

“Vielleicht macht einen dieser Ort wilder”, heißt es einmal in „Tepenin ardi — Beyond the Hill“. Der Ort ist ein urwüchsiges Tal mitten in der südanatolischen Felsenlandschaft, abgeschnitten von der Zivilisation. Die Kommunikation funktioniert hier noch über Rufe, deren Widerhall von den Felswänden abprallt. In dieser Wildnis leben drei Generationen einer Familie und beackern ihre unergiebigen Felder. Es ist eine sehr traditionelle Gemeinschaft: Zu sehen sind fast nur die Männer, die Frauen bleiben im Haus und dienen.
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Meinungen

JB · 05.10.2012

Der Film ist Caligari-Preisträger (Preis des Verbandes Kommunale Filmarbeit und Film-Dienst) auf der Berlinale 2012