Betty Blue - 37,2 Grad am Morgen (1986)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Wiedersehen mit einer "Handgranate auf zwei Beinen"

So wie es einen Soundtrack des Lebens gibt, ein Sammelsurium all der wichtigen Songs, die einen an markanten (Wende-)Punkten des eigenen Lebens begleitet, getröstet und zum Lachen oder Weinen gebracht haben, gilt Selbiges auch — zumal für den Film- und Kinoliebhaber — bei Filmen. Und dabei kommt man nicht umhin festzustellen, dass besonders die Zeit der Jugend und des frühen Erwachsenendaseins in puncto Soundtrack und Filmographie des Lebens offensichtlich eine prägende, wenn nicht sogar die prägendste Zeit gewesen sein muss. Das mag einerseits daran liegen, dass man damals noch nicht so viel gesehen hatte, dass die eigene Festplatte noch nicht so zugemüllt war von der Bilderflut, die sich im Laufe eines Cineastenlebens so ansammelt. Und dann gibt es freilich noch die verfluchte Sache mit den Hormonen, die im Verlauf der Adoleszenz kaum geordnet, sondern eher als (sehr) freie Radikale mit Hang zum chaotischen Durcheinanderwuseln auftreten.

Womit wir dann auch recht folgerichtig schnell bei Betty Blue — 37,2 Grad am Morgen aus dem Jahre 1986 landen, Jean-Jacques Beineix‘ Verfilmung des Romans von Philippe Djian, der das Publikum überwiegend begeisterte und die Kritik spaltete. Oberflächlichkeit wurde dem Film immer wieder attestiert, ein fast schon exploitatives Interesse an schönen Bildern und großen Gefühlen, die allerdings oft nur als reine Kulisse behandelt würden, so konstatierte ein Teil der Rezensenten von damals. Das mag man zwar durchaus so sehen können, andererseits ist da…

…Béatrice Dalle. Himmelnochmal, was für eine Frau! Gleich zu Beginn macht der Film recht explizit deutlich, dass vornehme Zurückhaltung nicht unbedingt seine Sache ist. Rund zehn Minuten geht die einleitende Sexszene, zu der die Mona Lisa huldvoll auf die beiden Liebenden herablächelt: Zorg (Jean-Hugues Anglade) und Betty (Béatrice Dalle) heißt das junge Paar, das sich hier hingebungsvoll und lasziv dem Liebesspiel widmet. Er ist Hausmeister in einem abgerockten Feriendorf im Süden Frankreichs, ein abgehalfterter Schriftsteller, der längst alle Träume von literarischem Ruhm über Bord geworfen hat. Die bringt erst Betty wieder zum Vorschein, als sie ein altes Manuskript von ihm entdeckt, es liest und daraufhin beschließt, dass ihr Liebhaber ein ziemliches literarisches Genie sein muss. Soweit könnte also alles gut sein, doch Bettys Impulsivität und ihr Temperament geraten immer mehr außer Kontrolle; aus der leidenschaftlichen Liebe wird im wahrsten Sinne eine amour fou, an deren Ende Zorg vor einer schweren Entscheidung steht.

Nun ist der Film in einem schönen und aufwendig ausgestatteten Mediabook neu erschienen, das hinsichtlich Bild- und Tonqualität sowie Bonusmaterial eigentlich kaum noch Wünsche offen lässt: Gleich drei Scheiben beinhaltet die Veröffentlichung von Capelight Pictures: Den Director’s Cut gibt es sowohl auf DVD wie auch auf Blu-ray, während die originale Kinofassung ebenfalls als HD-Silberling daherkommt. Beigepackt sind zudem ein lesenswertes Booklet und außerdem noch jede Menge Bonusmaterial wie ein Making-of, ein Kurzfilm von Jean-Jacques Beineix sowie eine Dokumentation (37,2 am Morgen — 20 Jahre später) und Screen-Tests mit Béatrice Dalle.

Es zählt zu den Merkwürdigkeiten der jüngeren französischen Filmgeschichte, dass Jean-Jacques Beineix‘ Karriere zu Beginn der 2000er Jahre jäh abbrach. Immerhin hatte er mit Diva und Betty Blue zwei der erfolgreichsten und stilbildendsten Filme der 1980er Jahre realisiert — allerdings danach auch einige bemerkenswerte Flops hingelegt. Im Dreigespann des Cinéma du look, das neben ihm noch aus Leos Carax und Luc Besson bestand, ist er derjenige, der auf der Strecke blieb. Eigentlich ungerecht — selbst wenn man nicht umhin kann zu konstatieren, dass zumindest Diva der zeitliche Abstand nicht unbedingt gut getan hat.

Auch Jean-Hugues Anglades und Béatrice Dalles Karrieren waren nach Betty Blue wider Erwarten keineswegs so glatt verlaufen wie erhofft und erwartet. Anglades ist zwar recht regelmäßig auf der Leinwand und im Fernsehen zu sehen, doch beschränken sich seine Rollen vor allem auf supporting acts. Und Béatrice Dalle, die nach Betty Blue zumindest zeitweise als legitime Nachfolgerin Brigitte Bardots galt, machte zeitweise mehr durch Skandale von sich reden, die ihr Bezeichnungen wie „Handgranate auf zwei Beinen“ einbrachten, als durch ihre Filmauftritte. Und so schwebt über dem Film nicht allein aufgrund seiner Geschichte und der Erinnerungen, die sich mit ihm verbinden, eine nicht zu übersehende Wolke aus Melancholie, Sehnsucht und Wehmut. Und die erinnert nicht von ungefähr an die Euphorie jener Jahre, als das eigene Leben und die Vita von Jean-Jacques Beineix, Jean-Hugues Anglades und Béatrice Dalle im Rausch flirrender Bilder voller Erotik, Emotion und Wahnsinn einem verheißungsvollen Sommer entgegentaumelten. Es kam anders. Aber schön, dass sich das alte Gefühl beim Betrachten von Betty Blue immer noch zuverlässig einzustellen vermag…
 

Betty Blue - 37,2 Grad am Morgen (1986)

So wie es einen Soundtrack des Lebens gibt, ein Sammelsurium all der wichtigen Songs, die einen an markanten (Wende-)Punkten des eigenen Lebens begleitet, getröstet und zum Lachen oder Weinen gebracht haben, gilt Selbiges auch — zumal für den Film- und Kinoliebhaber — bei Filmen.

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