Best of Rainer Werner Fassbinder

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Ich will doch nur, dass ihr mich seht

„Ich möchte für das Kino sein, was Shakespeare fürs Theater, Marx für die Politik und Freud für die Psychologie war: Jemand, nach dem nichts mehr ist wie zuvor.“ Rainer Werner Fassbinder war schon 1977 kein Mann von großer Bescheidenheit. In lediglich 16 Jahren schuf er in einem unvergleichbaren Schaffensrausch ein bis heute höchst imposantes Werk, das alleine 44 Filme umfasst und nicht nur in Cineastenkreisen seither von Generation zu Generation neu- bzw. wiederentdeckt wird.
Auch 35 Jahre nach seinem plötzlichen Ableben hat dieses größte, wenn auch schlampige Genie des westdeutschen Nachkriegskinos überhaupt nichts an Relevanz und Lebendigkeit eingebüßt. Seit Jahren laufen schließlich schon Retrospektiven und Wanderausstellungen im In- und Ausland mit bemerkenswertem Publikumserfolg. Zugleich erscheint quasi jährlich mindestens ein neues, oft genug wegweisendes, filmwissenschaftliches Buch über das „Münchner Wunderkindl“, das – in der Kunst wie im Leben – anschmiegsam wie eine Katze sein konnte – und im nächsten Moment böse zuschnappend wie ein Alligator. Irm Hermann, Margit Carstensen oder Ingrid Caven können ein Lied davon singen – oder auch zwei, was im Prinzip auch für Hanna Schygulla – Fassbinders ewige „Vorstadt-Marilyn“ – gilt.

Im Bonusmaterial dieser neuen, zehnteiligen Arthaus-DVD-Edition Best of Fassbinder erinnert sie sich in Annekatrin Hendels ambivalenter Portraitstudie Fassbinder wie folgt an ihren großen Lehrmeister: „Der hatte etwas Verletzliches und etwas Raubtierhaftes zugleich“. Das ist im Kern sicherlich richtig – und so neu oder grundehrlich dann doch auch wieder nicht. Schließlich pflegt jede der hier genannten Fassbinder-Heroinen bis in die Gegenwart hinein ihre so ganz eigene Weltsicht, nicht selten eine verklärte, wenn es um „ihren Rainer“ geht. Also um den Mann, der einst rasch ihre verborgenen Talente entdeckt, geradezu herausgekitzelt hatte – und mancher von ihnen sogar mehrere Jahre eine internationale Karriere ermöglichte. Doch da war ihr Lehrmeister selbst längst schon tot – mit gerade einmal 37 Jahren.

Alles andere als tot ist hingegen der gigantomanische Kinokosmos Fassbinderscher Prägung, wie eine Neusichtung von zehn seiner hoch innovativen Filmkunstwerke zeigt, die in den vergangenen Jahren sukzessive von der Fassbinder Foundation in Berlin digitalisiert bzw. zum Teil auch grundlegend restauriert worden sind und nun als Grundlage für diese Home-Entertainment-Werkausgabe gedient haben. Natürlich kann eine Neuedition wie diese alleine schon numerisch lediglich einführen in die hoch manieristischen RWF-Bilderwelten. Und aus kuratorischer Sicht wird man darin als Fassbinderianer naturgemäß einige Titel (wie beispielsweise Götter der Pest, Liebe ist kälter als der Tod, Satansbraten oder Die dritte Generation) vermissen.

Doch selbstverständlich sind hier (fast) alle Fassbinder-Aushängeschilder enthalten, wobei gerade Martha, Lola und Die Ehe der Maria Braun mit sehr viel Liebe digital restauriert wurden: So hell, klar und perfekt waren sie bisher noch nie zu erleben. Das gilt nicht minder für Welt am Draht und Fontane Effi Briest, die beide schlichtweg blendend aussehen und im Gegensatz zu früheren Ausgaben auch mit deutlich verbesserter Tonqualität punkten können, was speziell im letztgenannten Fassbinder-Meilenstein einen einzigartigen Zauber entfaltet: Besonders Ulli Lommel (als Major Crampas) und Karlheinz Böhm (als Geheimrat Wüllersdorf) sorgen dafür, dass man an dieser Stelle nicht bloß Zeuge einer raffiniert-gewagten Literaturverfilmung wird, sondern förmlich eintauchen kann in ein Meer aus Silben, Blicken und Literatur-Zitaten, das absolut begeistert – und auch nach beinahe 44 Jahren keineswegs antiquiert wirkt.

Hier ist es wieder: Fassbinders genialisches, immerzu paradoxes Thesenkino. Klar formuliert, präzise im Tonfall und hochanalytisch im Duktus des radikalen Autorenfilmers der frühen 1970er Jahre, der obendrein niemals Angst vor zu viel Stilisierung hatte und es im selben Zuge verstand, melodramatische Momente filmisch exzessiv auszukosten. „Seine Filme befreien den Kopf“, notierte Rainer Werner Fassbinder (1945-1982) einmal so passend im Hinblick auf Douglas Sirk, den er zeitlebens verehrte.

Dasselbe gilt auch noch 2017, wenn man sich einen weiteren Fassbinder-Klassiker wie Angst essen Seele auf von Neuem ansieht, dessen Filmtitel inzwischen längst in den Alltagswortschatz eingegangen ist. Dazu gibt es in dieser Arthaus-Edition allerhand Bonusmaterial (wie z.B. einige interessante Interviews mit Michael Ballhaus und Xaver Schwarzenberger, die beide hinter der Kamera entscheidend Fassbinders Look prägten), das zwar nicht gänzlich neu, jedoch für Fassbinder-Neulinge absolut wertvoll sein wird.

In all dem pocht es posthum noch einmal ganz heftig: Das „Herz des Neuen deutschen Films“, wie Wolfram Schütte einstmals Fassbinder völlig zurecht in seinem großartigen Nachruf genannt hatte. Daran hat sich bis heute nichts geändert, denn seine Filme schulen die Sinne wie den Verstand. Denn als bedeutendster Seismograph innerdeutscher Befindlichkeiten wie als außerordentlicher Tabuzertrümmerer bleibt er wirklich einzigartig – oder in den Worten des Regie-Berserkers: „Gegenüber dem Publikum sollte man nie gefällig sein, sondern immer herausfordernd.“

Best of Rainer Werner Fassbinder

„Ich möchte für das Kino sein, was Shakespeare fürs Theater, Marx für die Politik und Freud für die Psychologie war: Jemand, nach dem nichts mehr ist wie zuvor.“ Rainer Werner Fassbinder war schon 1977 kein Mann von großer Bescheidenheit. In lediglich 16 Jahren schuf er in einem unvergleichbaren Schaffensrausch ein bis heute höchst imposantes Werk, das alleine 44 Filme umfasst und nicht nur in Cineastenkreisen seither von Generation zu Generation neu- bzw. wiederentdeckt wird.
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