Bertolt Brecht Edition

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Fiktion und Dokumentation

Vor zwei Jahren wiederholte sich der Todestag Bertolt Brechts zum 50. Mal, und zahlreiche Veranstaltungen, Dokumentationen und Diskussionen zu diesem Anlass verdeutlichten, wie umstritten dieser deutsche Dichter nach wie vor ist. Seine Werke wurden in fünfzig Sprachen übersetzt und seine Theaterstücke gehören noch heute zu den meistgespielten auf deutschen Bühnen, und einige prägnante Aussprüche aus seinem lyrischen und dramatischen Schaffen, das 48 Stücke und rund 2500 Gedichte umfasst, stellen mittlerweile berühmte und häufig bemühte Zitate dar – man denke nur an „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ aus der legendären Dreigroschenoper. Die nun etwas verspätet anlässlich seines 110. Geburtstags in diesem Februar erscheinende Bertolt Brecht Edition nähert sich dem politischen Menschen und Künstler aus zwei sehr unterschiedlichen Richtungen: Sie enthält zum einen den Spielfilm Abschied – Brechts letzter Sommer von Jan Schütte aus dem Jahre 2000 und zum anderen die Dokumentation Brecht – Die Kunst zu leben von Joachim Lang, die 2006 anlässlich des 50. Todestages erschien.
Ist die Landschaft auch eine Idylle, so ist die Stimmung im Sommerhaus der Familie Brecht in Buckow doch überschattet von mehr oder weniger offen ausgesprochenen Unstimmigkeiten zwischen den Anwesenden, der engen Beobachtung und Kontrolle durch die Staatssicherheit und nicht zuletzt von der fortschreitenden Krankheit des Dichters, der wenige Tage nach diesem Aufenthalt am 14. August 1956 in Berlin sterben wird. Wie der Titel bereits verlauten lässt, beschäftigt sich Abschied – Brechts letzter Sommer mit den späten Augenblicken im Leben Bertolt Brechts (Josef Bierbichler), die er in Begleitung eines intimen Frauenkreises verbringt: Seiner Gattin Helene Weigel (Monica Bleibtreu), seiner Tochter Barbara (Birgit Minichmayr) sowie seiner langjährigen Mitarbeiterinnen und einstigen Geliebten Ruth Berlau (Margit Rogall) und Elisabeth Hauptmann (Elfriede Irrall). Die fünfte im nicht ganz freiwilligen Bunde um den charismatischen Mann ist die junge Schauspielerin Käthe Reichel (Jeanette Hail), mit der Brecht offen eine Affäre unterhält. Brecht erscheint als ein müder, doch unermüdlich arbeitender Künstler mit milder Grantigkeit, umsorgt und umschwärmt von seinen Frauen, der seine Rührung zu verbergen sucht, als ihn eine Schar von Jungpionieren aus der Gegend mit der Rezitation seines berühmten Gedichts „Erinnerung an die Marie A.“ verabschiedet. Sehr auf die vielschichtige Atmosphäre fokussiert, mit einem ganz hervorragenden Ensemble und mit etlichen feinen Verweisen auf die Biographie und das Werk Brechts gelang Jan Schütte eine filmische Interpretation der letzten Tage des großen Dichters, die auf sehr intensive Weise und eng orientiert an seiner Biographie einiges über das Lebensgefühl in seinem Kreis jener Zeiten vermittelt.

„Der Lachende hat die furchtbare Nachricht nur noch nicht empfangen“ hören wir Brecht selbst aus seinem Gedicht „An die Nachgeborenen“ pessimistisch rezitieren, das in den 1930er Jahren im Exil enstand, nachdem der kritische Lyriker und Dramatiker vor den Nationalsozialisten fliehen musste. Die Dokumentation Brecht – Die Kunst zu leben wartet mit reichlich wenig bekanntem Material über den Künstler auf, lässt noch lebende Verwandte und Bekannte zu Wort kommen und präsentiert einiges an Texten – eine Kombination, die sehr dynamisch inszeniert wurde und deren Fülle dennoch nicht verbirgt, dass auch sie mit ihrer Auswahl eine von vielen Interpretationen darstellt, die um die kontrovers diskutierten Fragen zu Brechts Biographie und Haltung kursieren, allerdings eine sehr lebendig und gut gestaltete. Regisseur Joachim Lang versteht sich offensichtlich als Aufklärer der weit verbreiteten Vorurteile über Brecht – eine Haltung, die mitunter recht missionarisch erscheint und der Dokumentation einen Hauch von glühendem Dogmatismus verleiht, der zwar deutlicher und selbstbewusster hätte ausgewiesen werden können, aber letztlich bei wahren Verehrern nicht ungewöhnlich und verzeihlich ist.

Der Stummfilm Mysterien eines Frieseursalons mit Karl Valentin, der unter den Extras der Edition zu finden ist, stellt eine frühe Regiearbeit Brechts gemeinsam mit Erich Engel aus dem Jahre 1923 dar, als sich Berthold noch mit h und d am Ende schrieb. Wann er die mittlerweile etablierte Schreibweise seines Vornamens einführte und andere interessante Details seines Lebens lassen sich der Bertolt Brecht Edition entnehmen, die sich anschaulich und unterhaltsam mit dem ungefälligen Künstler auseinander setzt, dessen kontroverse Rezeptionsgeschichte eine eigene Dokumentation benötigen würde.

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Vor zwei Jahren wiederholte sich der Todestag Bertolt Brechts zum 50. Mal, und zahlreiche Veranstaltungen, Dokumentationen und Diskussionen zu diesem Anlass verdeutlichten, wie umstritten dieser deutsche Dichter nach wie vor ist.
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