Berlin - Stettin

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eine Erinnerungsreise

Am Anfang dieses Films stehen Kindheitserinnerungen: An Orte von damals, an Murmeln und andere Spiele. Wie zum Beispiel jenes, die dem neuen Film von Volker Koepp den Titel gab. „Berlin – Stettin“ nannte sich das Hüpfspiel, das der 1944 in Stettin geborene Regisseur in den 1950er Jahren in Berlin-Karlshorst mit seinen Freunden spielte. Erst viel später wurde ihm klar, dass gerade diese beiden Städte für ihn ganz persönlich enorm viel bedeuten – aus der einen war seine Familie geflohen, die andere war ihm Heimat geworden. Mit seinem Kameramann Thomas Plenert hat sich Volker Koepp, einer der großen deutschen Dokumentarfilmer (Memelland, Pommerland, Schattenland – Reise nach Masuren, Kurische Nehrung), aufgemacht, um Orte von damals aufzusuchen. Es wurde eine Reise durch sein Leben daraus – mit vielen Begegnungen, die sein Leben und sein filmisches Schaffen geprägt haben.
Trotz seiner Erinnerungsarbeit ist Berlin – Stettin kein larmoyanter Film geworden, sondern ein Essay über persönlich erfahrene Geschichte, über Glücksmomente und die vielen großen und kleinen Tragödien des Lebens, die einfach so passieren. Ganz nebenbei erwähnt eine Augenzeugin, was der Mutter des Regisseurs nach Kriegsende durch russische Soldaten widerfuhr: „Die arme Frau Koepp hat es in dieser Nacht einige Male erwischt.“ Das geschieht so beiläufig, dass der Zuschauer in Szenen wie diesen und anderen schwer schlucken muss, während der Regisseur seine „sentimental journey“ fortsetzt.

Es sind nicht nur Stationen seines Lebens, die Koepp in seinem Film aufsucht, sondern auch Wegmarken seines Schaffens, wenn er ehemalige Protagonisten früherer Filme wieder aufsucht und sich mit ihnen darüber unterhält, was seitdem passiert ist. Auch hier erfährt man eher beiläufig, welche Spuren das Leben, die große Politik, die gesellschaftlichen Veränderungen bei den Menschen hinterlassen haben. Bei allem Ernst hat Koepp nach wie vor ein großes Talent dafür, mit seinem Gegenüber ins Gespräch zu kommen – und bisweilen auch die Komik der Ereignisse hervorzuheben, so dass mancher Dialog in Gelächter endet. Oder mit Sätzen wie „So ist das Leben, schön ist es trotzdem“, mit dem eine der früheren Porträtierten aus Koepps Dokumentation über Textilarbeiterinnen in Wittstock das beschreibt, was ihr nach der Wende widerfahren ist.

Manchmal ist Koepps Reise durch die Vergangenheit ein wenig lang geraten. Zudem schweift der Regisseur gerne einmal ab, nimmt auf seinem Weg durch die Zeit viele Umwege in Kauf, die dem Zuschauer einiges an Geduld abverlangen. Insgesamt aber ist diese sehr persönliche gehaltene Art der Geschichtsaufarbeitung eine wohltuende Abwechslung gegenüber der Weise, wie Geschichte uns heutzutage im Fernsehen verkauft wird – als Megaevent mit bedrohlich dräuenden Off-Sprechern und dramatisierten Szenen, die Authentizität lediglich vorspielen. In Berlin – Stettin hingegen bekommen wir eine Ahnung davon, wie es für die Menschen wirklich war, welche Spuren die große Geschichte in den kleinen Geschichten der Menschen hinterlassen hat.

Berlin – Stettin von Volker Koepp feierte als Eröffnungsfilm des 52. DOK Leipzig seine Weltpremiere. Der Film startet am 28. Januar 2010 in den deutschen Kinos.

Berlin - Stettin

Am Anfang dieses Films stehen Kindheitserinnerungen: An Orte von damals, an Murmeln und andere Spiele. Wie zum Beispiel jenes, die dem neuen Film von Volker Koepp den Titel gab. „Berlin – Stettin“ nannte sich das Hüpfspiel, das der 1944 in Stettin geborene Regisseur in den Fünfzigerjahren in Berlin-Karlshorst mit seinen Freunden spielte. Erst viel später wurde ihm klar, dass gerade diese beiden Städte für ihn ganz persönlich enorm viel bedeuten – aus dem einen war seine Familie geflohen, der andere war ihm Heimat geworden.
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Meinungen

nachgebloggt · 11.09.2012

Ich finde diese Idee der Doku schon auf eine Art und Weise klasse und sicherlich hochinteressant für Menschen aus der Region, ich komme aus dem hohen Norden und konnte nicht so sehr viel damit Anfangen ehrlich gesagt, dennoch fand ich die geschichtlichen Aspekte interessant.

susar · 22.01.2010

Wieder so großartig,
weiter so!

5 Sterne!
S.

Sabine Selbmann · 02.11.2009

So kann Geschichte und Gegenwart erlebbar gemacht werden- mal nachdenklich, sensibel, mal humorvoll- das Leben, die Menschen sprechen (durch Koepp) für sich - und dazu noch die wundervollen Landschaftsaufnahmen- dieser Film bleibt in Erinnerung!