Beasts of the Southern Wild

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Die Wildgewordenen

Schon beim Filmfestival in Cannes, wo Benh Zeitlins Debüt Beasts of the Southern Wild in der Reihe Un certain regard zu sehen war, eilte diesem Film ein enormer Ruf voraus – kein Wunder, hatte es das Debüt doch vier Monate zuvor geschafft, den Hauptpreis des Sundance Filmfestivals zu gewinnen. An der Croisette setzte sich dann dieser Siegeszug nahtlos fort: In Cannes gewann der Film nicht nur die Camera d’or für das beste Debüt, sondern auch den FIPRESCI-Preis der Nebenreihe sowie den Prix Regards Jeune. Seitdem ist Beasts of the Southern Wild bei etlichen Festivals rund um den Globus angetreten und man hat den Eindruck, dass diese Festivaltournee mehr und mehr zu einem Triumphzug geriet. Denn wo der Film auch zu sehen war, kamen zu den zahlreichen weiteren Auszeichnungen wahre Lobeshymnen der Filmkritiker hinzu. Fast scheint es so, als habe Benh Zeitlin mit seinem Werk über den Untergang einer kleinen Welt einen Nerv getroffen, der kaum eine andere Reaktion zuließ als Begeisterung, Überwältigung, Kapitulation vor der schieren Wucht der Bilder und vor einer kleinen, gerade mal acht Jahre alten Hauptdarstellerin, der die Herzen der Zuschauer nur so zuflogen. Nun startet nach langer Wartezeit der Film in den deutschen Kinos und man darf, nein muss gespannt sein, ob sich der Publikumsliebling etlicher Festivals auch als (zumindest kleiner) Kassenmagnet erweist.
Es ist ein räudiges Paradies, eine raue Welt, in der die gerade mal sechs Jahre alte Hushpuppy (Quvenzhané Wallis) aufwächst. „Bathtub“ (Badewanne) nennt die verschworene Gemeinschaft, die hier haust, das Sumpfgebiet im Süden Louisianas. Zwischen urwaldartigem Bewuchs und einer Unmenge an Zivilisationsmüll hat sich hier eine Gemeinschaft von Aussteigern und Gestrandeten versammelt, die den Glauben an den „American Dream“ längst verloren haben und die sich stattdessen gegenseitig unterstützen und helfen – ein Gegenmodell zur stark individualisierten US-amerikanischen Gesellschaft, der jede Solidarität abhanden gekommen scheint. Dennoch: Der Mikrokosmos, den Benh Zeitlin hier beschreibt, ist kein schöngefärbtes Ideal, keine Utopie einer schönen neuen Welt, in der materieller Besitz nichts mehr zählt, sondern ein einfaches Leben im Einklang der Natur. Dazu sind diese Männer und Frauen zu hart, die Entbehrungen zu deutlich spürbar und die Bedrohungen zu schrecklich. Für das kleine Mädchen aber ist es „der schönste Platz der Welt“.

Dieser Platz in all seiner Schönheit und Schrecklichkeit ist ein bedrohtes Areal: Hinter der Mauer, dem Betonwall, den die Bewohner der Badewanne als Grenze verstehen, lauert die Zivilisation mit all ihren zweifelhaften Errungenschaften. Von draußen auf dem Meer droht die Vernichtung durch einen schrecklichen Sturm (die Parallelen zu dem verheerenden Hurrikan Katrina sind unübersehbar) und – weiter entfernt, aber dennoch bedrohlich – bringt das Abschmelzen der Polkappen und das Ansteigen des Meeresspiegels die Badewanne zum Überlaufen. Und selbst das garstige Familienidyll mit dem alleinerziehenden und saufenden Vater (Dwight Henry) erweist sich mit der Zeit als fragiles Gebilde, denn Wink ist todkrank und hat nicht mehr lange zu leben, weswegen er seine Tochter auf die Härten des Lebens vorzubereiten versucht. Als die Naturgewalten dann losbrechen, sucht eine Handvoll Bewohner von „Bathtub“ das Heil auf einem Floss, das gleich einer Miniaturausgabe der Arche Noah das Überleben sichern soll. Durch den Sturm aber sind nicht nur die Elemente entfesselt, sondern auch rätselhafte, urzeitliche Monster, die plötzlich die zerstörte Landschaft bevölkern…

Die Erfolgsgeschichte von Beasts of the Southern Wild ist ein kleines Wunder, denn wann gab es in den letzten Jahren im Blockbuster-hörigen US-Kino einen unabhängig produzierten Film, der trotz der geradezu lächerlichen Summe von zwei Millionen Dollar und mit einer Schar völlig unbekannter Laiendarsteller ein solch gewaltiges Echo in den Medien und beim Publikum fand? Noch erstaunlicher und wunderbarer wird dieser Erfolg vor allem deshalb, weil der Film nach einem Theaterstück von Lucy Alibar sich gängigen Formeln und Zuordnungen verschließt, vieles im Ungefähren lässt und so ungeniert die Weltsicht eines kleinen Mädchens zelebriert, dass er oftmals (auch dank der bisweilen etwas altklugen Kommentare der Ich-Erzählerin Hushpuppy) an den Rand des schweren Kitschverdachts gerät. Dennoch gelingt der Balanceakt zwischen Untergangsszenario und Gesellschaftsparabel, zwischen schwerem Sozialdrama und durchgeknalltem, archaischem Märchen, dessen Phantastik bisweilen an den „magischen Realismus“ erinnert, den man vor allem aus dem lateinamerikanischen Film kennt. Vor allem aber ist Beasts of the Southern Wild der Film der mittlerweile neunjährigen Quvenzhané Wallis – sie trägt diesen Film fast im Alleingang und ist neben vielem anderen, was Benh Zeitlin in teilweise flirrend-schöne Bilder gießt, das eigentliche Wunder.

Wer allerdings die Wahl zwischen den verschiedenen Fassungen des Films hat und nicht unbedingt Wert auf eine deutsche Synchronisation des Filmes legt, der sollte unbedingt in eine OmU- oder Originalfassung gehen. Die deutsche Stimme von Hushpuppy ist zu niedlich geraten und gibt dem zentralen Charakter des Filmes eine Wendung ins Trivial-Süßliche, die nicht so recht passen mag.

(Joachim Kurz)
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Zwischen ganz viel aalglattem, sauberem Kino in Cannes tummelt sich hier und da auch gern etwas Schmutziges. So wie das kleine Biest Hushpuppy (Quvenzhané Wallis), ein Mädchen, das bei ihrem Vater (Dwight Henry) aufwächst und vor allem eins lernt: wild und unabhängig zu sein. Die beiden bewohnen eine Gemeinschaft an einem sumpfigen Flussarm irgendwo im Süden der USA zusammen mit anderen Aussteigern, Hippies oder wie auch immer man diese Menschen nennen mag, die sich nicht in die übliche Gesellschaft eingliedern wollen. „Bathtub“ heißt ihr Ort, wahrscheinlich weil er schon halb überflutet ist und man gerade auf den großen Sturm wartet. Und der wird kommen, das weiß auch Hushpuppy und mit ihm kommt das Ende der Welt.

Benh Zeitlins erster Langfilm ist zwei Filme in einem. Einerseits ist er Erzählkino, das sich zwischen Fiktion und Dokumentation bewegt. Die Darsteller sind tatsächliche Bewohner des kleinen Bayous in Louisiana, sie spielen sich selbst in ihrer Umgebung voller Armut und Naturkatastrophen. Die Anleihen an die Hurricane Katrina Katastrophe sind unübersehbar. Der andere Film verzerrt das Dokudrama zu einer fantasmatischen Endzeitmythologie, einem wilden Mix aus Mad Max, Wo die wilden Kerle wohnen und einer guten Prise magischem Realismus à la Gabriel García Márquez.

Genau an diesem Punkt spalteten sich auch die Geister des Publikums, denn Beasts of the Southern Wild lässt keine Distanz zu. Die Geschichte treibt einen ins Geschehen, die Bilder sind geradezu hypnotisch, die Körper schwitzen und stinken, der Sumpfschlamm klebt an den Knöcheln, die Stimme Hushpuppys definiert die Welt und die ist eben subjektiv. Überhaupt trägt die Hauptdarstellerin das Werk auf ihren schmalen Schultern. Ein Blick, ein Schmollen — so ist das eben mit Kindern, besonders mit den süßen, ihre Welt ist ihnen die wichtigste und ihr Wille geschehe, zur Not auch mit Manipulation. Genau hier trennt sich Zeitlins Film vom Dokudrama und zwar so eindeutig und radikal, dass man akzeptieren muss, dass die Welt so ist, wie Hushpuppy sie sieht, sonst hat man keinen Spaß an diesem Film. Das sollte allerdings ein Leichtes sein, zu faszinierend ist die dystopisch-magische Kinderwelt. Dabei verhandelt das Mädchen mit geradezu philosophischer Einsicht (Terrence Malick lässt grüßen) die großen Fragen um Leben, Tod und den Platz des Menschen in der Natur.

Visuell sprüht der Film nur so von ausdrucksvollen Bildkompositionen, die mit einer 16mm Handkamera gedreht wurden und vor allem die satte und manchmal bedrohliche Natur ins rechte Licht rücken. So sensibel wie er sich seinen Protagonisten nähert, so passioniert lässt Zeitlin die sie umgebende Flora und Fauna in sein Werk einfließen. Die Plastizität und Lebendigkeit erinnert an den Urwald Apichatpong Weerasethakuls in Tropical Malady. Es gitscht und schmatzt, die Krabben und Fische — man kann sie fast riechen. Und der Mensch, das wird eindeutig klar, ist nicht der Herr über die Sache, sondern nur ein kleiner Teil. Oder um es mit Hushpuppys Worten zu sagen: „I see that I am a little piece of a big, big universe.“

Beasts of the Southern Wild

Schon beim Filmfestival in Cannes, wo Benh Zeitlins Debüt „Beasts of the Southern Wild“ in der Reihe „Un certain regard“ zu sehen war, eilte diesem Film ein enormer Ruf voraus – kein Wunder, hatte es das Debüt doch vier Monate zuvor geschafft, den Hauptpreis des Sundance Filmfestivals zu gewinnen. An der Croisette setzte sich dann dieser Siegeszug nahtlos fort: In Cannes gewann der Film nicht nur die „Camera d’or“ für das beste Debüt, sondern auch den FIPRESCI-Preis der Nebenreihe sowie den „Prix Regards Jeune“. Seitdem ist „Beasts of the Southern Wild“ bei etlichen Festivals rund um den Globus angetreten und man hat den Eindruck, dass diese Festivaltournee mehr und mehr zu einem Triumphzug geriet.
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Meinungen

wiganek-hp · 04.01.2013

Mich hat der Film ratlos zurück gelassen und ich konnte in den Gesichtern der anderen Zuschauer sehen, dass ich damit nicht alleine war. Die Euphorie, die diesem Film vorauseilt, kann ich nicht teilen. Zu weit gehen hier die Bilder des Elends und der Armut und der Soundtrack, der Optimismus suggeriert, auseinander. Die krude Lebensphilosophie, die Individualismus bis zur Verelendung verherrlicht, macht sogar ärgerlich. Das passt zu einer Gesellschaft, die eine staatliche Krankenversicherung schon als Eingriff in die Privatsphäre des Einzelnen versteht. Die kleine Hauptdarstellerin ist furios, doch auch ihr Spiel kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dem Film die Mitte fehlt. Das trägt zusätzlich zur Ratlosigkeit des Zuschauers bei.

abhijay · 03.09.2012

der beste film des jahres. wird bei den oscars massig abräumen, da bin ich mir sicher. intelligent, hochemotional und packend. story, animationen, schauspieler, musik - da stimmt alles.