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Barry Jenkins verfilmt einen Roman von James Baldwin – die Erwartungen an seinen Nachfolgefilm sind nach Moonlight hoch. Kann er sie erfüllen?

Beale Street (2018)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Liebe und Wut

Fraglos sind die Erwartungen groß, wenn Barry Jenkins nach seinem gefeierten, sensationellen Moonlight als nächsten Film James Baldwins großartigen Roman Beale Street Blues adaptiert gerade bei dtv in Rahmen der Werkausgabe in deutscher Übersetzung von Miriam Mandelkow erschienen. Tatsächlich ist „Beale Street“ formal weniger auffällig als „Moonlight“, aber alles andere als konventionell.

James Baldwins Roman Beale Street Blues eröffnet mit einer Vorbemerkung, die auch in Barry Jenkins‘ Adaption am Anfang steht: „Die Beale Street ist eine Straße in New Orleans, wo mein Vater, wo Louis Armstrong und der Jazz geboren wurde. Jeder in Amerika geborene Schwarze ist in der Beale Street, ist im Schwarzenviertel irgendeiner amerikanischen Stadt geboren (…). Die Beale Street ist unser Erbe.“ 

Erzählt wird die Geschichte von Tish Rivers (KiKi Layne) und Fonny Hunt (Stephan James). Ein junges Paar, sie lieben einander und kennen sich schon seit Kindheitstagen. Im Grunde genommen erwarten sie nicht viel vom Leben: Sie suchen eine gemeinsame Wohnung, Tish arbeitet in einem Kaufhaus, Fonny macht beeindruckende Skulpturen aus Holz. Doch dann wird Fonny von der Puerto Ricanerin Victoria Rogers (Emily Rios) beschuldigt, sie vergewaltigt zu haben und kommt ins Gefängnis. Fonny war noch nicht einmal in der Nähe des Tatorts, sondern am anderen Ende der Stadt – dennoch identifiziert ihn die Frau bei der Gegenüberstellung. 

Zu keiner Zeit steht außer Frage, dass Fonny unschuldig ist oder Victoria tatsächlich vergewaltigt wurde. Doch sie wurde von einem Polizisten genötigt, die falsche Person zu identifizieren. Die Verbrechen, die Fonny und Victoria angetan werden, werden hier nicht gegeneinander ausgespielt: Sie markieren in aller Deutlichkeit, dass es in dem US-amerikanischen Justizsystem nicht darum geht, die Wahrheit herauszufinden oder für Gerechtigkeit zu sorgen. Es setzt den Rassismus fort, den Tish bei ihrer Arbeit an einem Parfümstand in einem Warenhaus erfährt – oder dem sie mit Fonny bei der Suche nach einer Wohnung begegnet. Es ist der Rassismus, der Fonnys alten Freund Daniel (Brian Tyree Henry) zu einer zu langen Haftstrafe gebracht hat. Rassismus, der in den USA tief im System eingeschrieben ist. 

Derweil setzen Tishs und Fonnys Familien alles daran, Fonnys Unschuld zu beweisen: Tishs Schwester Ernestine (Teyonah Parris) hat einen Anwalt (Finn Wittrock) besorgt und hält den Kontakt zu ihm, ihre Eltern Joseph (Colman Domingo) und Sharon (Regina King) unterstützen die schwangere Tish und versuchen Geld aufzutreiben, damit sie die Frau, die mittlerweile in ihrer Heimat Puerto Rico ist, besuchen und überzeugen können ihre Aussage zu widerrufen. Dabei hilft ihnen Fonnys Vater Frank, während Fonnys Mutter (Aunjanue Ellis) betet. Das ist alles, was sie schon immer getan hat.

Doch trotz dieser Bemühungen um Gerechtigkeit ist Beale Street kein Justizthriller, kein Kriminaldrama, sondern ein zutiefst berührender Liebesfilm, in dem die Wut über die Ungerechtigkeit, über systemischen Rassismus und ein Justizsystem, das von Rassismus über alle Maßen geprägt ist, durch die Zärtlichkeit und Sanftheit der Inszenierung nur noch verstärkt wird. Dieser Film ist durchzogen von einer Liebe, die alle zusammen und am Leben hält: Fonny und Tish lieben einander, Frank sagt selbst, dass er niemanden mehr liebt als Fonny, mehrfach wird Tish von ihrer Schwester und ihren Eltern umarmt. Es ist die Liebe, die ihnen keinen Schutz bietet, aber durch die sie in diesem rassistischen System überleben und kämpfen.

Narrativ wechselt die Erzählung zwischen verschiedenen Zeitebenen hin und her, dadurch wird die Entwicklung der Beziehung zwischen Tish und Fonny deutlich – die beginnende Verliebtheit, die zunehmende Intimität zwischen ihnen – und zugleich der Versuch, Fonny aus dem Gefängnis zu holen, bevor Tishs Baby geboren wird. Es ist ein nahezu träumerischer nichtlinearer Rhythmus, der hier entsteht – und es geht nicht darum, die Handlung voranzubringen, sondern in die Charaktere, in ihre Leben einzutauchen. Immersion ganz ohne 3D.  Stilistisch ist in beiden Ebenen die Zärtlichkeit der Bilder bemerkenswert und je vertrauter Tish und Fonny werden, desto stärker drückt die Traurigkeit in Fonnys unmöglichem Kampf – und desto deutlicher tritt zutage, wie eng, wie untrennbar das Politische und Private miteinander verbunden sind. 

Mehrfach hat Barry Jenkins in Interviews davon gesprochen, wie viel ihm dieser Roman von James Baldwin bedeutet – und vielleicht lastet diese Liebe bisweilen ein wenig zu schwer auf einigen Zeilen, gerade in Tishs Erzählkommentar aus dem Off. Herausragend ist indes die Musik von Nicholas Britell, in dem jeder Ton sitzt und schmerzt. Dazu die bemerkenswerte Kameraarbeit von James Laxton: Die Bilder dieses Films sind wunderschön, sorgsam kadriert – und niemals überstilisiert. Wenn Tish und Fonny durch einen herbstlichen Park spazieren, wird durch das Zusammenspiel von Score und Bildern die Schönheit dieses Augenblicks deutlich – und zugleich durchzieht schon diese Sequenz eine Ahnung der Flüchtigkeit dieses Moments.

Beale Street (2018)

Als ihr Mann fälschlicherweise eines Verbrechens bezichtigt wird, das er nicht begangen wird, kämpft dessen schwangere Frau darum, seine Unschuld zu beweisen. 

Basierend auf einem Roman von James Baldwin.

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