Autistic Disco

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Traut nicht den Augen, nicht den Ohren

Wie Ameisen oder Dschungelkämpfer bewegen sich die Protagonisten von Hans Steinbichlers neuem Film Autistic Disco anfangs durch den Wald, um ihr Ziel, eine Berghütte in den Berchtesgadener Alpen zu erreichen. Dass mit ihnen etwas nicht stimmt, kündigt sich zuerst auf der Tonebene an, denn die Musik, die diesen Bildern unterlegt ist, hat etwas Somnambules und Verstörendes an sich. Immer wieder scheren Töne aus dem langsamen Fluss der Melodie aus und kreischen übersteuert ans oberen Ende der Wahrnehmungsgrenze, schrille Laute, die weh tun und signalisieren, dass das, was sich hier ankündigt, wenig mit unserer herkömmlichen Wahrnehmung zu tun hat. Ein Auftakt, wie er sich auch für einen bedrohlichen Thriller im Stile von Blair Witch Project oder Peter Weirs Picknick am Valentinstag / Picknick at Hanging Rock (Australien 1975) gut machen würde. Zwar nimmt der Film dann einen anderen Verlauf, doch das Unheimliche und Bedrohliche ist in jedem Moment spürbar. Die Monster allerdings, von denen dieser Film berichtet, sind die Monster in uns selbst.
Sieben Patienten einer psychiatrischen Klinik, allesamt junge Leute zwischen 20 und 30, sind für einige Tage in die raue Bergwelt geschickt worden, um sich hier unter Anleitung der Sozialpädagogin oder Ärztin Dörthe (Ditte Schupp) am Leben in einer Gemeinschaft zu versuchen – „Sozialscheiß eben“, wie einer der Patienten abfällig bemerkt. Doch die erhoffte Besserung des Zustandes der Patienten tritt nicht ein – im Gegenteil. In der Abgeschiedenheit der Bergwelt prallen die Gegensätze und Defekte aller Anwesenden (auch Dörthe erweist sich dabei als unfähig, aus ihrer eigenen Gefangenheit zu entkommen) umso heftiger aufeinander und münden schließlich in einer Katastrophe.

„Wer hofft, der stirbt. Wer vertraut, der kriegt eins in die Fresse. Wer nicht verrät, wird selbst verraten. Wer liebt, der steht mit einem Fuß im Grab.“ Dieses Glaubenscredo steht am Anfang des Films und signalisiert ebenso wie die Musik, dass hier mit den „normalen“ Erfahrungsmustern der „Gesunden“ nicht viel anzufangen ist. Oftmals wirkt Autistic Disco wie eine Stilübung oder eine Vorstudie zu einem Film der erst im Entstehen begriffen ist (was er letztlich auch ist, denn das Werk entstand im Rahmen eines Regieseminars am Mozarteum), dann wieder wie ein avantgardistisches Theaterstück, das sich aus der Enge der Bühne befreit hat, um vor der gigantomanischen Kulisse der Berchtesgadener Bergwelt stattzufinden.

Der Regisseur Hans Steinbichler, seine Kamerafrau Bella Halben und die Drehbuchautorin Melanie Rohde machen es dem Zuschauer nicht gerade leicht, unklar sind nicht nur die Namen der Patienten, sondern auch ihre Erkrankungen, ihre Geschichten und das, was sie miteinander verbindet und voneinander trennt. Den rationalen Zugang zu der schwierigen und sperrigen Geschichte erleichtert das nicht gerade, wie man überhaupt einen Film wie diesen eher erspüren und erfahren als begreifen muss.

Umso bemerkenswerter sind die darstellerischen Leistungen der jungen Schauspielschüler vom Salzburger Mozarteum sowie die innovative, oftmals rein assoziativ arbeitende Inszenierungsweise von Steinbichler, die verdeutlicht, dass hier im Schatten anderer Regisseure ein bemerkenswertes Talent voller Mut zu abseitigeren Themen und filmischen Experimenten heranreift.

Autistic Disco ist definitiv kein Film für die breite Masse, aber ein beeindruckendes und verstörendes Kinoabenteuer voller emotionaler Wucht, das noch lange im Kopf nachwirkt. Ein atmosphärisches dichtes, radikal subjektives und verrätseltes Stimmungsbild einer kleinen Gesellschaft von Ausgeschlossenen, die vielleicht – das deutet zumindest das Unbehagen an, das dieser Film in der Magengrube hinterlässt – auch unsere eigene Existenz widerspiegeln. Ein kleiner Film mit großer Wirkung, der viele Frage aufwirft und sich jeder Antwort verweigert.

Autistic Disco

Wie Ameisen oder Dschungelkämpfer bewegen sich die Protagonisten von Hans Steinbichlers neuem Film Autistic Disco anfangs durch den Wald, um ihr Ziel, einer Berghütte in den Berchtesgadener Alpen zu erreichen.
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Meinungen

Snacki · 16.10.2008

Ein Film, der im Gedächtnis bleibt - unbedingt ansehen.