Auf der anderen Seite (Cannes 2009)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Auf die Liebe folgt der Tod

Aus deutscher Sicht war der gestrige Tag des Wettbewerbs ein besonders spannender, denn mit Fatih Akins neuem Film Auf der anderen Seite / The Edge of Heaven ging ein vorab heiß gehandelter Beitrag ins Rennen um die Goldene Palme. Akins neuer Film ist der zweite Teil einer Trilogie mit dem Titel „Liebe, Tod und Teufel“, deren erster Teil Gegen die Wand bereits 2004 auf der Berlinale für Furore gesorgt hatte. In Auf der anderen Seite / The Edge of Heaven geht es nun um das Thema Tod, und so ist es kein Wunder, dass der Erzählduktus im Vergleich zu dem hoch emotionalen Drama Gegen die Wand sehr viel ruhiger und nachdenklicher daher kommt.

In Auf der anderen Seite / The Edge of Heaven geht es um den aus der Türkei stammenden Germanistikprofessor Nejat (Baki Davrak), der sich um seinen in Bremen lebenden, verwitweten Vater Ali (Tuncel Kurtiz) kümmert. Der hat das Alleinsein satt und bittet die Prostituierte Yeter (Nursel Köse), bei ihm einzuziehen. Eines Nachts kommt es zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung, als der betrunkene Ali sich Yeter nähern will und diese ihn zurückweist. Der alte Mann gerät außer sich und schlägt die Frau, die unglücklich fällt und an den Folgen des Sturzes stirbt. Ali wird festgenommen, verurteilt und später in die Türkei abgeschoben. Nejat fühlt sich verantwortlich und macht sich in Istanbul auf die Suche nach Yeters Tochter Ayten (Nurgül Yeşilçay), die zu einer politischen Widerstandsgruppe gehört. Um den Nachstellungen der türkischen Polizei zu entgehen, flüchtet Ayten nach Deutschland und verliebt sich dort in die politisch aktive Studentin Lotte (Patrycia Ziolkowska), die bei ihrer Mutter Susanne (Hanna Schygulla) lebt. Als Ayten in die Türkei abgeschoben wird, folgt Lotte ihrer Freundin, um sie zu unterstützen. Abermals kommt es zu einem tragischen Unglück…

Sechs Menschen, deren Schicksale sich überlappen, kreuzen und zwischen der Türkei und Deutschland miteinander verweben – solch eine Plotkonstruktion kann leicht überladen und statisch wirken, doch allem Anschein nach ist Fatih Akin dieser schwierigen Aufgabenstellung bestens gewachsen: „[..] Akin versteht nicht nur, eine Geschichte mitreißend zu erzählen, er hat auch ein gutes Gefühl dafür, wie sich Menschen selbst in Ausnahmesituationen einfach normal menschlich verhalten können. Der positive Wärmestrom, der von dem Film ausgeht, muss keine Abwehrreflexe auslösen, man kann das Leben auch mal von dieser Seite zeigen“, so schreibt Thomas Neuhauser auf www.arte-tv.com. Auch der Standard aus Wien lobt den Film und bescheinigt ihm eine deutliche Belebung des Wettbewerbs. Andreas Borcholte bei Spiegel Online verweist gar auf die Ähnlichkeiten mit Rainer Werner Fassbinder, an die sich Hanna Schygulla erinnert fühlt und meint, dass ein Gewinn der Goldenen Palme durchaus möglich und Fatih „Fassbinder“ Akin auch zu gönnen sei.

Auch in der englischsprachigen Presse erntete Auf der anderen Seite / The Edge of Heaven breite Zustimmung, mit Ausnahme von Screen International, wo Peter Brunette vor allem die Schwäche des Drehbuchs beklagt: “There are more plot points in evidence here that in five Hollywood scripts put together, and way too many improbable coincidences as well.”
Deutlich positiver äußerten sich Derek Kelly in Variety und Ray Bennett vom Hollywood Reporter, die den Film in beinahe allen Aspekten loben und als äußert gelungen und mit internationalem Potenzial ausgestattet erachten.

Was in allen Besprechungen deutlich zum Ausdruck kommt ist die Feststellung, dass Fatih Akins neuer Film ganz anders geworden ist, als man das nach Gegen die Wand erwarten konnte – deutlich ruhiger, sehr nachdenklich. Doch vielleicht ist ja gerade das das wirklich Schöne an Auf der anderen Seite / The Edge of Heaven – dass der gerade mal 33 Jahre alte Regisseur sich einerseits treu bleibt in seinen Themen, die seine Persönlichkeit widerspiegeln, und dass er andererseits verschiedene Tonarten beherrscht und es versteht, aus jedem Film ein vollkommen eigenständiges und doch typisches Kunstwerk zu formen. Darin besteht die große Meisterschaft Akins, und sie macht ihn zu einem der bedeutendsten jungen europäischen Filmemacher.
 

Auf der anderen Seite (Cannes 2009)

Aus deutscher Sicht war der gestrige Tag des Wettbewerbs ein besonders spannender, denn mit Fatih Akins neuem Film Auf der anderen Seite / The Edge of Heaven ging ein vorab heiß gehandelter Beitrag ins Rennen um die Goldene Palme.

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Meinungen

Uro · 21.02.2008

Genau das ist doch gerade das Tolle an Film, Leute: Immer wieder was Neues ausprobieren, sich nicht wiederholen. Sowohl visuell als auch narrativ. Letztendlich sind die Erwartungen von jedem einzelnen so dermaßen unterschiedlich, dass man vergißt, einen Film geguckt zu haben. Jeder Film hat was Eigenes. Mag sein, dass manche den hier weniger gemocht haben als Gegen die Wand, aber das heißt nicht, dass der Film schlecht war, denn das war er auf keinen Fall! Ich empfehle ihn weiter!

gerd lindlar · 18.11.2007

"auf der anderen seite" ist ein zu konstruierter film, der auch hintergründe, v.a. politischer natur, zu wenig ausleuchtet.

Dea · 18.11.2007

der film bewegt durch seine stille

354skank · 26.10.2007

Käme dieser Film aus Hollywoodproduktion ins deutsche Kino, lautete die Kritik: "Die Amis können nur platt". Jede Plattheit isoliert betrachtet mag hinzunehmen sein, aber hier überfährt der Autor und Regisseur im voll beladenen 30-Tonner-Platitüden-Liner die Peinlichkeitsgrenze mit Hochgeschwindigkeit. Schrecklich.

Nils Steinmetz · 22.10.2007

Also...
Alle Meinungen sind per definitionem immer subjektiv und haben demnach trotz ihrer Inhalte Bestand. Aber - Kino ist Kino und Film ist Film, und da darf dann auch mal was konstruiert sein, ist schließlich jeder Film, logisch; und wenn eine Figur stirbt und das WIE nicht entscheidend für die weitere Handlung ist, ist es doch Banane, ob und wie und überhaupt: Kurze Szene - Tod - und weiter im eigentlichen Programm, nämlich den Umgang mit demselben und dessen Folgen...
Und Vergleiche mit Gegen die Wand: Also, da hat Hr. Akin ja noch andere Filme gemacht und jeder mit individueller Ausrichtung und Hochachtung meinerseits übrigens, und was soll denn dieser Vergleich? Ein Mann, ein Film und nunmehr immer dasselbe? Und Kreativität und so? Egal??? -
Und noch was - Selim Özdogan, lesen! Wirklich, wirklich, wirklich und sowas von LESEN! Gruß. Ciao.

Julie28 · 15.10.2007

Es stimmt, dass der Film durch die verschiedenen Erzählstränge der 6 Hauptfiguren meist keine wirkliche Nähe zu den Protagonisten zulässt. Dennoch ist die Geschichte sehr gut durchdacht und im letzten Drittel laufen die einzelnen Stränge logisch zusammen. Anders als bei einigen Episodenfilmen, bei denen sich manche Geschichte, wenn überhaupt nur sehr eigenartig auflöst. Dieser Film soll auch kein zweiter "Gegen die Wand" werden - damit würde man Akins Kreativität Unrecht tun.
Es finden sich viele Motive wieder, Beisp:Lotte geht die Strasse entlang und grüßt die Männer die vor einem Cafe sitzen. Ihre Mutter tut dies ebenfalls nach Lottes Tod als sie nach Istanbul gereist ist. Dies deutet schon an, dass sie die Perspektive ihrer Tochter in Bezug auf Ayten-gegen die sie anfangs etwas hatte-übernimmt. Durch das lesen von Lottes Tagebüchern versteht sie deren Sicht und hilft Ayten schließlich.

Der Film bewegt und wirkt noch einige Zeit nach und ist nicht wie eine Hollywoodkomödie sofort vergessen - das macht ihn zu einem guten Film!

malachit · 14.10.2007

hab ihn gestern abend in einem bonner kino gesehen,trotz nackenschmerzen in der ersten reihe fühlte ich mich 2 stunden lang sehr gut unterhalten.nahe authentische charaktere mitten aus dem leben, eine emotional bewegende geschichte in ruhigen bildern. kurzum ein gereiftes werk, zu gut um es nur einmal zu sehen.

· 08.10.2007

vorab bin ein großer fan von gegen die wand.da erwartet man aber nicht ein solche konstruktion als fortsetzung. furchtbar. überzeichnet. hannah mal die drogen weg nehmen. den ein oder anderen satz mal widerholen lassen. ne geschichte mal zu ende erzählen. oder notfalls einfach mal ne döner bude übernehmen oder einen fahradladen in china. und nochmal nachdenken bevor das teufelswerk kommt. der war leider wirklich gegen die ... und sind wir nicht alle missverstandene emigranten kinder in einer viel zu globaliesierten welt.die chancen auf den konstrukt oscar sind großartig;-)

Matthias Wagner · 06.10.2007

Wir waren enttäuscht. Der Plot trägt nicht, die Handlung ist oft unplausibel. Der Vater schlägt Yeter, und sie ist tot! Die Personen lassen wunderschöne Statements ab, die wie aus dem Poesiealbum klingen: "Sie sind der traurigste Mensch hier"-Ach wie schön hat er das gesagt. Deshalb kommt man den Personen emotional nicht nahe. Am stimmungsvollsten noch die Landschaftsaufnahmen.
Akin bliebt weit zurück hinter der radikalen Power von "Gegen die Wand". Er scheint dem Thema Tod nicht gewachsen. Schade!