Au voleur - A Real Life

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Auf der Flucht

Es gibt Filme (und das sind nicht wenige), bei denen ahnt man bereits nach den ersten fünf Minuten, welchen Verlauf sie nehmen werden, welche Wendungen sie enthalten und wie sie enden werden. Sarah Leonors Au voleur – A Real Life gehört definitiv nicht zu dieser Kategorie. Der Film, bei dem Gerard Depardieus Sohn Guillaume in einer seiner letzten Kinorolle zu sehen ist (der Schauspieler verstarb vor mehr als zwei Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung im Alter von 37 Jahren), lebt von seinem ruhigen und spröden Tonfall und von einer unerwarteten Wendung, die allerdings letztendlich nur die logische Konsequenz einer sehr mutigen und radikalen Erzählhaltung der Regisseurin darstellt.
„Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, / der sich im allerkleinsten Kreise dreht, / ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, / in der betäubt ein großer Wille steht.“ Mit diesen (weltberühmten und im Film auf Deutsch gesprochenen) Sätzen aus Rainer Maria Rilkes Gedicht Der Panther beginnt der Film und setzt zugleich das Thema, um das es hier geht – um Gefängnisse jeglicher Art und die Möglichkeiten der Flucht daraus. Als sich der Kleinganove Bruno (Guillaume Depardieu) und die Lehrerin Isabelle (Florence Loiret Caille) begegne, wurde sie gerade von einem Auto angefahren und liegt ohnmächtig auf der Straße. Bruno will ihr helfen – und gleichzeitig nebenbei die hilflose Frau um ihre Uhr erleichtern. Was aber daran scheitert, dass Isabelle im richtigen (bzw. falschen Momente) wieder erwacht. Später werden sie sich in einer Bar wieder begegnen – beginnen eine leidenschaftliche Beziehung miteinander. Als die Polizei Bruno wegen eines Autodiebstahls verhaften will, brennen die beiden miteinander durch und betreten für kurze Zeit eine Welt, in der alles Schwere hinter ihnen liegt. Doch das Glück im Dschungel der Natur ist nur von kurzer Dauer.

In Au voleur (was auf Deutsch soviel wie „Haltet den Dieb!“ bedeutet) wird ebenso wenig gesprochen wie erklärt. Die Hintergründe der Charaktere sind lediglich angedeutet, Erklärungen für ihr Verhalten sucht man vergebens, psychologische Deutungen scheinen Sarah Leonor herzlich wenig zu interessieren. Das macht den Film nicht unbedingt zu leicht konsumierbarer Kinokost, bei der man sich bedenkenlos treiben lassen kann, weil man die Geschichte sowieso schon vorausahnt. Andererseits: Vielleicht ist es ja am besten, es als Zuschauer den Liebenden auf Zeit nachzumachen, die auf einem Boot ohne Ziel und Erwartungen unterwegs sind und deren atemloses Leben auf der Flucht urplötzlich einem beinahe schon paradiesischen Zustand des Friedens und der Ruhe weicht.

Wie der Panther in Rilkes Gedicht kann man in der Welt hinter den Stäben verharren oder einen kurzen Augenblick der Freiheit wagen, wie dies die beiden Protagonisten in Sarah Leonors Film tun. Selbst wenn sie am Ende aus der Natur wieder in die Zivilisation zurückkehren müssen und ihre Geschichte damit ein Ende nimmt: Sie haben es immerhin gewagt und wurden durch einige intensive und unvergessliche Momente belohnt. Ähnlich dürfte es wohl auch dem Kinozuschauer ergehen, wenn er diesen Film verlässt. Die unerwartete Begegnung mit der leisen, spröden und zärtlichen Naturpoesie Sarah Leonors konnte man am Anfang des Films nicht unbedingt vorhersehen. Dank zweier anrührender Hauptdarsteller und der intensiven Atmosphäre dieses ebenso verwirrenden wie überraschenden Films ist man den verschlungenen Wegen von Bruno und Isabelle aber gerne gefolgt, auch wenn der Film mehr wie eine Skizze, eine Vorstufe zu einem anderen wirkt, den es erst noch zu realisieren gilt. Au voleur – A Real Life ist wie ein Versprechen, von dem man nicht genau weiß, ob es jemals eingelöst werden wird. Der Tod Guillaume Depardieus macht die Erfüllung dieses Versprechens eher unwahrscheinlich.

Au voleur - A Real Life

Es gibt Filme (und das sind nicht wenige), bei denen ahnt man bereits nach den ersten fünf Minuten, welchen Verlauf sie nehmen werden, welche Wendungen sie enthalten und wie sie enden werden. Sarah Leonors „Au voleur – A Real Life“ gehört definitiv nicht zu dieser Kategorie.
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