Atmen

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Freigang mit Hindernissen

Wenn sich erfahrene Schauspieler im Regiefach tummeln, dann geht das nicht immer gut. Man denke nur an Jodie Fosters missglückten Film Der Biber. Ganz anders der Österreicher Karl Markovics, der unter anderem durch seine Hauptrolle in Die Fälscher in Erinnerung sein dürfte. Sein Debüt als Regisseur ist ein großer Wurf: das ergreifende Porträt eines jungen Straftäters, erzählt in betörend strengen Bildkompositionen.
Markovics’ Geschichte handelt von dem 19-Jährigen Roman (Thomas Schubert), der in seinem Leben kaum etwas anderes als Heim- und Gefängnismauern gesehen hat. Nun könnte er den Rest seiner Haftstrafe erlassen bekommen. Vorausgesetzt allerdings, er findet als Freigänger einen Job, in dem er es länger als einen Tag aushält. Schon mehrfach hat der in sich gekehrte junge Mann hingeschmissen, sein Bewährungshelfer ist mittlerweile entsprechend genervt. Da soll ausgerechnet die Arbeit als Leichenbestatter den erhofften Durchbruch bringen.

Zurück ins Leben durch die Konfrontation mit dem Tod – das ist natürlich ein allzu aufdringlicher Hintersinn, wenn man ihn derart in Worten formuliert. Umso höher ist Markovics’ Kunst zu werten, die solche Gedanken auf die Zeit nach dem Kinobesuch verschiebt. Der Film als solcher nimmt derart gefangen, dass seine Anspielungen und Bezüge als notwendige Zutaten einer ganz eigenständigen Erzählhaltung erscheinen: ruhige, konzentrierte Einstellungen, genau kalkuliert, aber keineswegs unterkühlt, wortkarg und dadurch umso beredter, sparsam und gerade deswegen von großer Wirkung.

Karl Markovics erzeugt Spannung durch Wechsel in Atmosphäre und Tempo. Die realistische Schilderung einer stickigen Realität unterbricht er durch Szenen, in denen sich der Blick weitet und die Seele Luft holen kann. Den unterdrückten Emotionen, die seinem Protagonisten das Überleben sichern, stellt er hochemotionale Durchbrüche gegenüber. Hervorzuheben ist dabei der gezielte und sparsame Einsatz der kammerspielartigen Musik. Weil nicht alles mit einer emotionalisierenden Soße übergossen wird, kristallisieren sich die wirklich bewegenden Momente umso schärfer heraus.

Eines der Glanzstücke in Atmen ist die Beziehung zwischen Roman und seinem Arbeitskollegen Rudolf (Georg Friedrich). Der beargwöhnt den Neuling zunächst mehr als skeptisch. Aber irgendwann ändert sich das Verhältnis. Es tauchen Vatergefühle auf oder zumindest so etwas wie das Bedürfnis nach einem jüngeren Bruder. Die Szenen, in denen das deutlich wird, dürften wohl lange im Gedächtnis bleiben. In einer von ihnen wäscht der sonst so grobe Rudolf eine tote alte Frau, ganz liebevoll und zärtlich, so als würde er zugleich einen neuen Ton gegenüber seinem Schützling anschlagen, der ihm dabei ehrfurchtsvoll zuschaut und den er mit kleinen, ihn nicht überfordernden Hilfstätigkeiten in das Geschehen einbezieht.

Natürlich ist Romans Geschichte eine traurige. Und natürlich vollzieht sich unter der Oberfläche eine Befreiung, ein Durchatmen. Dass diese Wandlung keine plötzliche Kehrtwende nimmt, sondern zu schmerzhaften Konfrontationen führt, zeugt von dem Realismus, der diesen Film von der ersten bis zur letzten Minute durchdringt. Der ist neben der soghaften Ästhetik seine zweite ganz große Stärke.

Atmen

Wenn sich erfahrene Schauspieler im Regiefach tummeln, dann geht das nicht immer gut. Man denke nur an Jodie Fosters missglückten Film „Der Biber“. Ganz anders der Österreicher Karl Markovics, der unter anderem durch seine Hauptrolle in „Die Fälscher“ in Erinnerung sein dürfte. Sein Debüt als Regisseur ist ein großer Wurf: das ergreifende Porträt eines jungen Straftäters, erzählt in betörend strengen Bildkompositionen.
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Meinungen

Ulrike Pahlke · 15.01.2012

unglaublicher Film, eine vollkommene Komposition. Ich hätte ihn am liebsten sofort noch einmal gesehen!

Stefan · 06.01.2012

Sehr guter Film. Die Wandlung des Protagonisten wird einfühlsam erzählt im zunächst sehr rauhen Bestatter- Gewerbe. Man identifiziert sich mit Roman, der sich immer weiter öffnet, in seiner Vergangenheit nach Klärung sucht, familiär und persönlich. Die Konfrontation mit dem Tod verändert den Menschen führt zu einer Reflektion seiner Tat. Der Film ist kein seichtes Unterhaltungsprogramm, aber ein sehr einfühlsamer, nachdenklicher und künstlerisch wertvoller Film. Man muss sich auch als Zuschauer zunächst der Figur öffnen, um den Veränderungsprozess von Roman intensiver wahrzunehmen. Muss man gesehen haben.

homeaffairs · 11.12.2011

Danke für dieses Highlight zum Jahresende. Für mich der beste Film des auslaufenden Kinojahres. Markovics gelingt es durch die perfekte Symbiose aus intelligenter Erzählweise, gekonnter Kameraarbeit, unaufdringlicher aber dennoch kraftvoller Musik und dem Stab aus ehrlichen Akteuren zu überzeugen und sich somit in die Riege der großen österreichischen Sozialdrama-Erzähler einzureihen. Haneke, Seidl, Markovics.
Eine großartige Darstellung des Kausalitätsprinzips und ein fantastisches Regiedebut. Ich freue mich schon auf den zweiten Streich!

Jörg · 08.12.2011

Wunderbarer Film. Langsame, einfache Bilder werden zu einer komplexen, vielschichtigen Geschichte verwoben. Der Film ist spannend und berührend und sehr zu empfehlen.