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Kann Lolita die Welt retten? Assassination Nation schreit: Ja! Doch überzeugt das auch postpubertäre Zuschauer*innen?

Assassination Nation (2018)

Eine Filmkritik von Lucia Wiedergrün

#Revolution

Wenn der amerikanische Präsident selber keinen Zweifel mehr an seinen rassistischen und frauenverachtenden Grundeinstellungen zulässt, dann ist der diskursive Raum für die Enthüllung der Zwischentöne und der subtilen Alltagsxenophobien begrenzt. Die Möglichkeiten der Satire, die versteckte Doppelmoral sichtbar zu machen, hinken der Realität hinterher. Diese steht längst in ihrer ganzen banalen Blödheit im Rampenlicht und wird über das kalte Licht der Push-Benachrichtigungen 24/7 über die Smartphones auf der ganzen Welt verteilt und vervielfältigt. Derartig polemische Zeiten erfordern polemische Filme — und diesem Anspruch stellt sich nun Sam Levinsons „Assassination Nation“.

So spielt der Film konsequenterweise auch in Salem, jener Stadt, die durch ihre Hexenprozesse in die Annalen der Popkultur eingegangen ist. Das fragile Kleinstadtgefüge gerät völlig aus den Fugen, als ein großflächiger Leak die privaten Chats, Fotos und Suchverläufe der Bewohner*innen offenlegt. Die vier Freundinnen Lily (Odessa Young), Bex (Harif Nef), Sarah (Suki Waterhouse) und Em (Abra) finden sich im Zentrum der im Nachbeben dieser Ereignisse ausbrechenden Gewalt wieder. Als Nachgeborene der digitalen Wende, aufgewachsen mit den goldenen Versprechen des Internets, trifft sie der Sadismus nach dem Zusammenbruch jedweder Privatsphäre völlig unvermittelt. Grund für die daraufhin einsetzende Menschenjagd ist, was auch schon die historischen Hexenjagden genährt hat – die Angst vor der weiblichen Sexualität.

Assassination Nation ist in seinem Storytelling dabei ungefähr so subtil wie Internetpornographie, die Botschaft aber selbstredend eine andere: Mädchen seid bereit, wenn ihr nicht für eure Rechte kämpft, tut es auch sonst niemand. Diese Botschaft ist klar, sinnvoll und im Falle von Assassination Nation auch sehr bunt und wirklich unterhaltsam. Doch entlässt der Film sein Publikum auch etwas leer aus dem Kino. Schön ist Assassination Nation, so schön wie die Instagram-Accounts seiner Hauptdarstellerinnen. Bei aller Kritik an der grausamen Oberflächlichkeit der sozialen Medien bleibt der Film doch auch jede Sekunde deren Werbeästhetik treu. Blut ja, aber eben nur, solange es zum Outfit passt.

Die Trias aus class, race und gender wird hier auf ihren letzten Punkt reduziert. Assassination Nation ist ein Film über eine sehr begrenzte Gruppe Mädchen, der sich im besten Fall an eine etwas größere Gruppe Mädchen wendet. Frauen gibt es quasi nicht in dem Film. Das große Plädoyer am Ende, in dem die Hauptfigur die vierte Wand bricht und sich über das Interface des Computers direkt an ihre Zuschauer*innen wendet, kann daher leider auch nicht die Kraft und Wut entwickeln, die der ansonsten energetische Film aufzubauen versucht. Die Botschaft der Vereinigung bleibt so etwas halbherzig im Raum stehen. Das ist schade, schließlich ist es der Film selber, der in seinen ersten Minuten, durch eine Reihe von Trigger-Warnungen verspricht, über die Grenzen der gesellschaftlichen Akzeptanz hinauszugehen, im Rahmen der gewählten Konsensästhetik ist das allerdings schwierig.

Assissination Nation erzählt damit ungefähr so tiefgreifend von den Notwendigkeiten einer anderen Welt, wie ein H&M T-Shirt mit dem Aufdruck Feminismus und er bleibt konstant jener Werbeästhetik treu, die den Sinn hinter dem T-Shirt erst hervorgebracht hat. Aber genau aus dieser simplen Partystimmung zieht Assassination Nation auch Energie, die sich auf das Publikum überträgt und Spaß macht. Der Instagram-Feminismus wird die Welt nicht retten, das wird hier noch mal deutlich und dennoch: irgendwo muss man ja anfangen und wenn nur ein junges Mädchen aus dem Film geht und in Zukunft beim Sex einfordert, mehr zu sein als nur zufällig anwesend, dann hat der Film schon mehr erreicht als viele andere Filme in diesem ach so polemischen Jahr.

Assassination Nation (2018)

Wie der Rest der Welt leben auch die Schülerin Lily und ihre Freunde in jenem Gespinst aus Textnachrichten, Selfies, Posts bei Social Media Netzwerken und Chats, das unser (westliches) Dasein mittlerweile prägt. Doch als ein anonymer Hacker damit beginnt, intimste Details aus dem Privatleben der Bürger der Kleinstadt zu veröffentlichen, bricht das nackte Chaos aus — und plötzlich geht für Lily und ihre Freunde ums nackte überleben. 

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