Arteholic

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Auf Kunst-Tour mit Udo Kier

Ist ja immer so ein Ding mit E und U. Vor allem in Deutschland. Dieser Gedanke des Tiefsinnigen und des Tiefliegenden, des Hochgeistigen und Hohlgeistigen, der in vielen Köpfen noch immer herumspukt. Die Kunst, ja, die Kunst! Und dann darunter, weit darunter, all das andere, mit dem sich die Leute, uah: vergnügen.
Jetzt ist das mit Udo Kier so: Wenn er in einem Film auftaucht, dann hat das immer, immer, Trash-Appeal. Weil er immer er selbst ist, sich irgendwie wie eine Puppe bewegt, nicht richtig englisch kann, mit seinen wässrigen Augen ins Nichts starrt — und weil ihm das alles nicht nur nichts ausmacht, sondern weil er dieses Nicht-Spielen, dieses Außerhalb-Stehen als eigene Kunstform kultiviert. Weil in all seinem Da-Sein eine Form von leiser Ironie liegt, die zugleich heiliger Ernst ist. Und zugleich ist Kier das perfekte Material für wilde, abstrakte, hochkünstlerische Performances — weil er selbst eine Art Performance lebt. Und weil er süchtig ist nach Kunst.

Arteholic ist eine Art One-Man-Show von Udo Kier. Dabei hat natürlich seine Sparringspartner: Und zwar Künstler, mit denen er befreundet ist; oder Kunst, gestaltet von Künstlern, mit denen er befreundet ist. Kier pflegt die Gier nach Kunst. Er ist süchtig — behauptet zumindest er und dieser Film; er braucht seine Kicks. Trifft etwa Marcel Odenbach im Kunstmuseum Bonn, um eine absurde Abschiedschoreographie hinzulegen, ein Bäumchen-Wechsel-Dich an Stehtischen. In Köln trifft er Rosemarie Trockel und unterhält sich über Hunde. Dann rezitiert er Goethes Rattengedicht. Später, in Frankfurt, sehen wir Goethe wieder, aus der Sicht von Andy Warhol. Dem waren wir zuvor schon im Kölner Museum Ludwig begegnet, und Kier erzählte Anekdoten von damals, aus den 1970ern, als er in den Warhol-lizenzierten Paul-Morrissey-Filmen mitspielte.

So webt der Film ein dichtes, aber subtiles Kunst-Netz, mit dem Fundament von Kiers Künstler-Netzwerk. Ein vergnügliches Flanieren durch die Welt der Bilder und Skulpturen — könnte es sein. Aber Kier gibt sich damit natürlich nicht zufrieden. Und baut seine ganz eigene Performance auf dem Rücken des Kunst-Films auf. Hier eine persönliche Bild-Erklärung; dort eine Anekdote; hier eine Stippvisite nach Paris, dort eine Rezitation, dann ein Monolog, dann eine kleine Performance, eine Freundschaftsplauderei, dann intensive Betrachtung und zwischendurch einfach totaler Quatsch, mit Kunst-Appeal, versteht sich. Er und Rosemarie Trockel rufen in einem Gemäldedepot sinnlose Zahlenreihen. Mit einem P. Anderson-Double — das man sinnigerweise nur von hinten sieht — verzehrt er monologisierend einen Sauerbraten. In Frankfurt jagt er Tauben am Main; dann telefoniert er, um den weiteren Verlauf des Films bekanntzugeben. Und gerät nach Kopenhagen, zu Lars von Trier, bei dem er schon lange Stammschauspieler ist. Weil von Trier schweigt — was soll er machen, es ist halt ein Gelübde -, lesen beide Zeitung: Kier Süddeutsche, Trier Focus, auf dem Tisch liegt noch ‚ne Bild. Sagenhaft.

Aber der Film ist natürlich kein Ausbund an Albernheit. Vielmehr eine klug zusammengestellte eigene Art von Performance-Kunst, in der mit Heiterkeit die Kunst betrachtet wird. Und die Kunst als Anlass zur Heiterkeit genommen wird. Und wie Udo Kier selbst das missing link ist zwischen Hochkultur und niederem Vergnügen, zwischen Elitenkunst und Populärtrash, so verbindet auch Arteholic diese Sphären, deren Trennung es niederzureißen gilt.

Wenn Jonathan Meese in seinem Atelier mal schnell acht schwarze Punkte als Halskette auf eine Leinwand aufträgt und seine Mama dann seine Kunst erklärt, nur um im nächsten Satz sich zu beschweren, dass sie nachher ja alles wieder aufräumen muss: Dann ist der Geist dieses Filmes auf den Punkt gebracht, der die Obsession der schönen Künste feiert und dabei jede Erhabenheit sein lässt.

Arteholic

Ist ja immer so ein Ding mit E und U. Vor allem in Deutschland. Dieser Gedanke des Tiefsinnigen und des Tiefliegenden, des Hochgeistigen und Hohlgeistigen, der in vielen Köpfen noch immer herumspukt. Die Kunst, ja, die Kunst! Und dann darunter, weit darunter, all das andere, mit dem sich die Leute, uah: vergnügen.
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