Log Line

Wer Putins Russland lautstark kritisiert, lebt gefährlich. Regisseur Boris Khlebnikov hat sich für den leisen Protest entschieden. Im Kern ist „Arrhythmia“ ein melancholisches Liebesdrama, an dessen Rändern so viel mehr.

Arrhythmia (2017)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Der menschliche Faktor

In seinem jüngsten Drama erzählt Boris Khlebnikov vom Ende einer Beziehung. Die Frustration, die sich wie Mehltau über die Figuren legt, steht dabei auch für eine gesellschaftliche Entwicklung. Trotz ihres tristen Alltags bewahren sich seine Protagonisten einen Rest Menschlichkeit. Zwei Rollen wie gemacht für Alexandr Yatsenko und Irina Gorbacheva.

Yatsenko gibt den Rettungssanitäter Oleg. Der redet nicht viel, weder bei der Arbeit noch zu Hause mit der von Gorbacheva gespielten Ehefrau Katja, die als Ärztin in der Notaufnahme Dienst schiebt. All die Unwägbarkeiten seines Berufs schluckt Oleg stumm, fast schon teilnahmslos hinunter. Macht er doch einmal den Mund auf, hat das meist Hand und Fuß – sei es, dass er einer Hypochonderin gewitzt ein Placebo unterjubelt oder die Tochter einer Sterbenden grob anpackt, um das Leben ihrer Mutter zu retten. Dienstvorschriften sind ihm ebenso egal wie Beschwerden, die regelmäßig auf den Schreibtischen seiner Vorgesetzten landen. Wenn es um seinen Job geht, steht für Oleg der „menschliche Faktor“, wie es einer seiner Kollegen nennt, im Vordergrund.

In seiner Ehe lässt er diesen Faktor komplett vermissen. Wenn Boris Khlebnikov in sein Drama einsteigt, sind Oleg und Katja bereits am Ende. Oleg trinkt zu viel, hört nicht zu, kann weder seine eigenen Gefühle formulieren noch die seiner Frau verstehen. Nach einer der vielen wortlosen Nächte beschreibt Katja ihre gemeinsame Beziehung einmal als Leben in zwei fremden Universen. Um Olegs Galaxie zu erreichen, habe sie schon lange kein Benzin und keinen Proviant mehr. In ihrer winzigen Einzimmerwohnung leben die beiden aneinander vorbei. Zeit zum Ausschlafen und Durchatmen bleibt kaum. Khlebnikov inszeniert sie als Ertrinkende, die sich beim Versuch, voneinander loszukommen, noch weiter in die Tiefe ziehen.

Figuren wie Oleg und Katja fordern das Publikum heraus. Ihre Sprachlosigkeit kann einem schnell auf die Nerven gehen. Man möchte diesen Oleg, der stets wie ein geprügelter Hund dreinblickt, aus seiner Lethargie reißen, ihn zu einem klärenden Wort zwingen. Stattdessen läuft er beständig davon, flüchtet sich ins nächste Saufgelage mit Freunden, während Katja nebenan kein Auge zubekommt. Das erinnert an John Cassavetes, etwa an dessen grandiosen Eine Frau unter Einfluss (1974) unter verkehrten Rollen. Doch so selbstbestimmt, soviel stärker als Oleg Katja zunächst erscheint, bleibt auch sie vage und kryptisch. Dass sie wie Oleg letztlich an ihren Erinnerungen an bessere Zeiten festhält, ist nur menschlich.

Das Unausgesprochene, das Vage hat Methode. Boris Khlebnikov liefert weder einfache noch eindeutige Antworten. Ob Olegs Sauferei Reaktion auf oder Auslöser seiner Probleme ist und ob diese beruflicher oder privater Natur sind und zu welchen Anteilen, bleibt bis zuletzt in der Schwebe. Wer sich erst einmal darauf einlässt, wird mit einem bittersüßen Film vom Ende einer Beziehung belohnt, den man freilich auch als Metapher auf die Gesamtgesellschaft begreifen kann. Deren Kommunikation ist gestört, der menschliche Faktor ist ihr abhandengekommen.

Khlebnikovs Inszenierung ist so unscheinbar wie seine Geschichte. Technische oder ästhetische Spielereien sind nicht Khlebnikovs Sache. Alisher Khamidkhodzhaevs Kamera ist dicht dran, fängt die Tristesse des Privaten, die sich in Olegs und Katjas Berufsleben spiegelt, ungeschminkt ein. Olegs Einsätze liefern einen Querschnitt über die beengten Lebensverhältnisse vieler Russen. Die Kürzungen und Rationalisierung, mit denen das Gesundheitssystem kaputtgespart wird und die Oleg und seine Kollegen im Verlauf des Films immer weiter unter Druck setzen, sind nicht nur dramaturgisches Mittel, sondern auch ein Kommentar auf zu viel menschenverachtende Bürokratie.

Trotz aller Tristesse gelingen dem Drama ganz hervorragende, weil subtile Bilder: Katjas Blick während einer Familienfeier, der Oleg mit einer Mischung aus Verachtung und Liebe trifft; ihr „Scheidungsantrag“, den sie an Oleg per SMS richtet, obwohl beide im selben Raum sind; eine kleine Küchenparty, bei der ein Song aus Studientagen all die rosigen Zukunftsaussichten noch einmal heraufbeschwört und doch als Abgesang begriffen werden muss; Olegs Fahrt mit dem Krankenwagen, der sich ganz am Ende doch noch seinen Weg bahnt.

Mit Alexandr Yatsenko und Irina Gorbacheva hat Boris Khlebnikov die perfekten Schauspieler gefunden. Seinen unaufdringlichen Stil fangen sie mit vertrauten Blicken und Gesten auf, die an die Wahrhaftigkeit ihrer Beziehung glauben lassen. Am Ende besteht für ihr Paar doch noch eine kleine Hoffnung, weil sie sich unter ihrer verhärmten Hülle einen Rest Menschlichkeit bewahrt haben. Vielleicht war ihre Krise ja nur die Herzrhythmusstörung des Titels.

Arrhythmia (2017)

Oleg, der auf die Dreißig zugeht, arbeitet als Rettungssanitäter und wenn er eine harte Schicht hinter sich gebracht hat,  greift er gerne mal zur Flasche, um wieder runterzukommen. Bis seine Frau Olga eines Tages die Geduld mit ihm verliert und die Scheidung einreicht. Doch bevor sich die beiden endgültig trennen, muss Oleg erstmal eine Wohnung finden — und das ist gar nicht so einfach …

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen