Arizona Dream

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Was wäre das Leben ohne Träume – so schlicht oder schräg, hochtrabend oder halsbrecherisch sie auch sein mögen. Arizona Dream von Emir Kusturica aus dem Jahre 1992 erzählt mit geruhsamer Entschleunigung bei atmosphärischer Dichte die Geschichte einer Handvoll allzu menschlicher Figuren und ihrer Traumvorstellungen, die ihren Alltag auf intensive Weise bewegen und beleben – oder aber auch beenden können.
Es sind phantasievolle Träume und Imaginationen aus dem eisigen Lebensraum der Inuit, die den jungen Stadtfischer Axel (Johnny Depp) umtreiben, der nach dem Tod seiner Eltern Arizona verließ, um ein recht zurückgezogenes Leben in New York City zu führen. Er schätzt seine Arbeit mit den schweigsamen Fischen ebenso wie sein freies, unbeobachtetes Dasein in der Metropole, und es ist sein philosophierender Kommentar aus dem Off, der mit sanfter Melancholie die Begebenheiten flankiert, die sich bei seiner unfreiwilligen Rückkehr nach Arizona ereignen.

Die drastischen Veränderungen im Leben von Axel beginnen mit dem Besuch seines alten Freundes Paul (Vincent Gallo) in New York, eines filmverrückten Autoverkäufers mit schauspielerischen Ambitionen, der im Geschäft von Axels Onkel Leo (Jerry Lewis) in Arizona arbeitet. Paul mit seiner energischen, prahlerischen Art ist offensichtlich fest dazu entschlossen, den stillen Axel zur bevorstehenden Hochzeit Leos mit einer blutjungen Schönheit in die karge Region Arizonas zu verschleppen, was ihm nach einer ausgiebigen Zecherei auch gelingt: Als Axel nach einer Spritztour durch die Nacht erwacht, sind sie bereits in Arizona angekommen, wo eine Kreation von auf Pfeilern aufgebahrten Autos die erste von stark-skurrilen heimatlichen Impressionen darstellt, die den Stadtfischer noch kräftig beschäftigen werden, dessen Erinnerungen an seine Kindheit hier wieder zum Vorschein drängen.

Onkel Leo, der sich als damaliger Fahrer des Unglückwagens schuldig am Unfalltod von Axels Eltern fühlt, ist fest entschlossen, seinen Neffen nunmehr unter seine Fittische zu nehmen und überredet ihn, wenigstens eine Woche zu bleiben, wobei er ihn gleich in seinem Autohaus beschäftigt – ein Job, der Axel wahrhaft nicht auf den Leib geschneidert ist. Doch im Rahmen eines missglückten Kundengesprächs lernt Axel die aparte und wohlhabende Witwe Elaine (Faye Dunaway) kennen, die in permanenten Zwistigkeiten mit ihrer schwermütigen Stieftochter Grace (Lili Taylor) zusammenlebt.

Während die extravagante Elaine, mit der Axel eine Liebschaft beginnt, vehemente Anstrengungen unternimmt, ihren Traum vom Fliegen mit Hilfe abenteuerlicher mechanischer Flugmaschinen zu verwirklichen, gibt sich Grace ihren düsteren Stimmungen sowie ihrem Traum, einmal als Schildkröte wiedergeboren zu werden hin. Mit Axels Einzug in die ländliche Idylle der beiden Frauen, die immer wieder auch von ihren Missstimmungen untereinander geprägt ist, nimmt eine seltsame Zeit der exzessiven, abgeschiedenen Beschäftigung mit den Schrullen der Protagonisten ihren Lauf, während sich ein tragisches Ereignis anbahnt …

Den Befindlichkeiten, Imaginationen und Phantasien der durch ein ganz wunderbar agierendes Ensemble verkörperten Charaktere werden in Arizona Dream verträumte Bilder mit starker Ausdruckskraft beigesellt, die die Faszination dieses Films mit einem detailfreudigen Faible für gleichermaßen eigenwillige wie eigenartige Typen ausmachen. Die Visualisierung von Erinnerungen, Empfindungen und Ereignissen gelingt hierbei in stimmiger Verbindung mit den teils komischen, teils tiefsinnigen Dialogen und der ebenso ambivalent gestalteten Filmmusik von Iggy Pop – Titelsong „In The Deathcar“ – und Goran Bregović, der zuvor bereits wohl bekannte Töne für Emir Kusturicas Die Zeit der Zigeuner / Dom za vešanje von 1988 komponiert hat.

Dass es möglicherweise gar nicht die gewöhnlich als Träumer oder Spinner verunglimpften Zeitgenossen sind, die in einer an knallharten Realismen orientierten Welt im Unrecht sind, ist eine der humanistisch-provokanten Botschaften von Arizona Dream, der den Silbernen Bären der Berlinale 1993 sowie den Publikumspreis des Internationalen Warschauer Filmfestivals 1994 gewann. Dieser Film mit seiner gemächlichen Intensität schlägt darüber hinaus eine Bresche für die allzu häufig als Depression pathologisierte Melancholie, die hier als menschliche Grundkonstante mit der Entscheidung für das Leben oder dagegen daherkommt, was der Geschichte letztlich eine inspirierende Tragik verleiht.

Arizona Dream

Was wäre das Leben ohne Träume – so schlicht oder schräg, hochtrabend oder halsbrecherisch sie auch sein mögen. „Arizona Dream“ von Emir Kusturica aus dem Jahre 1992 erzählt mit geruhsamer Entschleunigung bei atmosphärischer Dichte die Geschichte einer Handvoll allzu menschlicher Figuren und ihrer Traumvorstellungen, die ihren Alltag auf intensive Weise bewegen und beleben – oder aber auch beenden können.
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