Annemin Yarasi - My Mother's Wound

Eine Filmkritik von Franziska Welzel

Der Zukunft auf der Spur

Annemin Yarasi — My Mother’s Wound scheint auf den ersten Blick ein recht einfach gestrickter Film zu sein, der von der Reise eines Waisenjungen auf der Suche nach seinen Eltern und zu sich selbst erzählt. Indem er jedoch die Folgen des Bosnienkriegs in den 1990er Jahren thematisiert und die Frage aufwirft, wie verlassene Kinder, die in Kinderheimen aufwuchsen, sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen, schafft Regisseur Ozan Aciktan mit seinem vierten Spielfilm ein wertvolles türkisches Drama, das durch persönliche und gesellschaftliche Konflikte besticht.
Es ist die Geschichte des Waisenkindes Salih (Bora Akkas), der gerade 18 Jahre alt geworden ist und sich auf die Suche nach seiner verlorenen Familie durch Bosnien begibt, anstatt sich ein neues Leben aufzubauen. Mit einer Adresse in der Hand führt ihn diese zum Schuster Mirsad (Okan Yalabik) und seiner Frau Nerma (Belcim Bilgin). Bevor Salih allerdings näher mit den beiden reden kann, erklärt Mirsads Mutter ihm, was damals geschehen ist: Nerma ist seine leibliche Mutter, die während des Bosnienkrieges von einem serbischen Soldaten vergewaltigt und schwanger wurde. Schwer traumatisiert von den Erlebnissen und dem Zurücklassen des Kindes, konnte sie nur mit Medikamenten die Vergangenheit verdrängen und sich ein neues Leben aufbauen. Damit Nerma nicht mehr an diese Zeit erinnert wird, bittet Mirsads Mutter ihn, dass er wieder geht. Salih willigt ein, nachdem er erfahren hat, wie der Name des Soldaten lautet – und will sich an ihm rächen. Auf der Suche nach dem Mann kommt er bald zur serbischen Farm von Borislav Milic (Ozan Guven), die er mit seiner Frau Marija (Meryem Uzerli) bewirtschaftet. Salih scheint sich anfangs sicher zu sein, dass es sich um den richtigen Mann handelt, und beginnt auf dem Hof zu arbeiten, um nähere Informationen über ihn zu bekommen. Bald zweifelt er aber, dass Borislav tatsächlich der Verbrecher ist, da sich die beschriebene Tätowierung zur Identifikation als falsch erweist, und er beginnt, sich mit dem Paar anzufreunden. Schließlich versucht Salih die Vergangenheit loszulassen und baut sich ein neues Leben auf. Als jedoch immer mehr Geheimnisse der beiden Familien ans Licht kommen, nimmt die Geschichte eine dramatische Wendung.

Basierend auf wahren Begebenheiten des Bosnienkrieges weist der Film eine sehr universale Thematik auf, die das Ausmaß von Krieg, Grausamkeit, Mitgefühl, Schuld und Rache schildert. Es scheint nach jedem Krieg „normal“ zu sein, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und neu zu beginnen, dennoch schafft das nicht jeder. Erinnerungen, die im Leben verschlossen und versteckt gehalten wurden, können durch bestimmte Momente – wie die Ankunft von Salih bei Nerma und Mirsad – wieder hochkommen. Der Film macht deutlich, was es bedeutet, Erinnerungen an den Krieg zu haben und welchen Einfluss diese auf das ganze Leben haben können.

Trotz Tragik schlägt Ozan Aciktan in seinem Werk auch oft heitere und fröhliche Töne an, die vor allem dem Naturell der Hauptfiguren Marija und Borislav entsprechen. Während die Handlung das Leben der Familien im weiteren Verlauf parallel erzählt und der Zuschauer an die Charaktere Mirsad und Nerma sowie Borislav und Marija näher herangeführt wird, erhält der Film durch seine zwei Erzählperspektiven seine Besonderheit. Ein permanenter Gefühlswechsel zwischen Verzweiflung, Verlust, Liebe und glücklichen Momenten geben dem Film einen speziellen Tonfall. Die Lebensfreude von Borislav und Marija wird von vielen sonnendurchfluteten Einstellungen und witzigen Momenten untermalt, während bei Nerma Alpträume und Lustlosigkeit folgen. Der Gegensatz zwischen beiden Paaren könnte nicht extremer sein. Während die Ehe von Mirsad und Nerma nach dem Besuch von Silah angespannter wird und sich die Eheleute immer mehr voneinander entfernen, stellt die Ankunft von Silah für Marija und Borislav ein glückliches Ereignis. Da sie keine eigenen Kinder bekommen können, besteht der leise Wunsch, dass sie es als neue Familie schaffen können.

Mit Annemin Yarasi hat Regisseur Ozan Aciktan ein gelungenes und einfühlsames Familiendrama geschaffen, das gleichzeitig einen Einblick in den Bosnienkrieg, seine Auswirkungen und den damit verbundenen Generationskonflikt gewährt. Und auch wenn die Vergangenheit nicht zu ändern ist, ist es wichtig sie zu kennen, um Zukunft gewinnen zu können.

Annemin Yarasi - My Mother's Wound

„Annemin Yarasi“ scheint auf den ersten Blick ein recht einfach gestrickter Film zu sein, der von der Reise eines Waisenjungen auf der Suche nach seinen Eltern und zu sich selbst erzählt. Indem er jedoch die Folgen des Bosnienkriegs in den 1990er Jahren thematisiert und die Frage aufwirft, wie verlassene Kinder, die in Kinderheimen aufwuchsen, sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen, schafft Regisseur Ozan Aciktan mit seinem vierten Spielfilm ein wertvolles türkisches Drama, das durch persönliche und gesellschaftliche Konflikte besticht.
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