Animal Kingdom (2010)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Der Mensch ist des Menschen Wölfin

Wie viel muss man eigentlich schon gesehen haben, um einfach so ohne Regungen neben der sterbenden Mutter auf dem Sofa sitzen zu können, während aus dem Fernseher eine Quizshow plärrt? Joshua (James Frecheville) macht genau das, er wartet geduldig, bis die Sanitäter eintreffen, stellt ohne große Emotion fest, sie habe Heroin genommen und weiß dann offenbar nicht recht, ob er jetzt zu den Männern hinsehen soll, die seiner Mutter zu helfen versuchen oder vielleicht doch einfach weiter fernsehen.

Abends dann, die Wohnung ist dunkel, ruft er seine Großmutter (Jacki Weaver) an, mit der er offenbar lange nicht gesprochen hat, er habe das jetzt gar nicht so am Telefon einfach sagen wollen, aber er wisse doch gar nicht, was jetzt zu tun sei, ob sie ihm vielleicht helfen könne? Natürlich nimmt Janine, von ihren Söhnen auch mal „Grandma Smurf“ genannt, ihn gerne auf in ihre Großfamilie, und damit nimmt das Unheil dann auch seinen weiteren Lauf.

Animal Kingdom ist kein freundlicher Film, der eine grausame Lebenswirklichkeit mit Hoffnung auspolstert. Joshuas Mutter hatte wohl, so sinniert er eingangs in einem Voice-Over, gute Gründe dafür, ihn von seiner restlichen Familie fernzuhalten, und nun rutscht er direkt hinein. Sein Onkel Baz (Joel Edgerton) ist noch der Vernünftigste, ein Familienmensch, der sein Geld mit Banküberfällen verdient und damit die Familie nicht nur zusammen-, sondern auch über Wasser hält. Als er jedoch ohne Provokation von der Polizei erschossen wird, haben die Brüder Craig (Sullivan Stapleton) und Pope (Ben Mendelsohn) das Sagen, die sich für Baz‘ Tod rächen wollen.

Regisseur David Michôd hat sich für seinen ersten Spielfilm schwere Kost vorgenommen, aber es wäre vermutlich auch nicht seine Art, nur Leichtigkeit zu verbreiten, er hat als Autor vorher an Hesher mitgearbeitet und den Kurzfilm I love Sarah Jane verfasst, eine durchaus bösartige Zombievariation. In Animal Kingdom ist das australische Melbourne eine gesichtslose, wie endlos dahinwuchernde Ansammlung von Vorstädten, und darin sind die Menschen wie Tiere, die sich um den obersten Platz in der Hack- und Beißordnung streiten, unfähig, von ihren ersten Impulsen abzusehen.

Der Film ist zugleich eine Coming-of-Age-Geschichte in der der junge Mann – groß, schweigsam, stoisch – von dem wohl nicht ganz behüteten Leben mit seiner alleinerziehenden Mutter in die Welt der Männer aufgenommen wird, in der die Matriarchin über alles heilende wie mahnende Hände hält. Joshua geht offenbar sogar noch zur Schule, aber in den Tagen des Films spielt das nur in Randbemerkungen eine Rolle; die Welt da draußen, mit ihren Regeln und Freundlichkeiten, hat für die Familie Cody keinerlei Bedeutung – sie verschwinden schlichtweg, und ihre Berührungspunkte werden absorbiert oder ausgegrenzt. Als Joshua einmal die Eltern seiner Freundin besucht, wirkt er in deren friedlichem Mittelklassehaus wie ein Fremdkörper – seine Existenz und seine Verhaltensweisen, mit allem wirkt er hier unpassend.

Frecheville spielt seinen Joshua mit großer Distanz zum Geschehen; er zeigt nicht nur anfangs, sondern auch während der Dauer des Films nur Andeutungen von Emotion, changierend zwischen Unverständnis über das, was vor seinen Augen geschieht, und bewusstem Abstand. Sein massiver Körper wirkt dann oft fast spannungslos – erst zum Ende hin wird sich das in einigen wenigen Szenen ändern. Dann bricht ein Mord tatsächlich bis zu seinen Gefühlen durch, und er beginnt selbst zum aktiven Agenten des Geschehens zu werden.

Animal Kingdom liefert dann noch so eine Art Evolutionstheorie des Bösen, bei dem die Außenwelt in Gestalt des Polizisten Nathan Leckie (Guy Pearce) den Geburtshelfer spielen darf, aber sich letztlich die Erneuerung und Umwandlung der Codys rein auf ihrer Innenseite abspielt: Die Gesetzeshüter, zumindest in Teilen Vertreter des Menschlichen, sind machtlose Gestalten, die keinerlei Zugriff mehr auf Straftäter zu haben scheinen: Ihre Machtlosigkeit ist so evident wie Joshuas Schlussfolgerungen daraus für seine eigene Person zwingend sind.

Michôd zeichnet in blaugrauen Farbtönen meisterhaft ein Netz von Intrigen, ein Spiel von Loyalität und Vertrauen, in dem Familienbande alles zu sein scheinen – und dann gegen das größere Böse doch verhandelbar sind. Die im Hintergrund wirkende Oma Schlumpf ist dann die eigentlich erschreckende Person – und Weaver spielt sie mit einer diabolischen Abgründigkeit, von herzlicher Liebe changierend zur manipulativen Erpresserin, es glitzert in ihren Augen – und wenn man ihr eine Weile zugesehen hat, dann weiß man auch, woher der eiskalte Egoismus von Pope stammt, der mörderische Wahn seines Bruders Craig. Und man ahnt, welchen Weg Joshua gehen muss.
 

Animal Kingdom (2010)

Wie viel muss man eigentlich schon gesehen haben, um einfach so ohne Regungen neben der sterbenden Mutter auf dem Sofa sitzen zu können, während aus dem Fernseher eine Quizshow plärrt? Joshua (James Frecheville) macht genau das, er wartet geduldig, bis die Sanitäter eintreffen, stellt ohne große Emotion fest, sie habe Heroin genommen und weiß dann offenbar nicht recht, ob er jetzt zu den Männern hinsehen soll, die seiner Mutter zu helfen versuchen oder vielleicht doch einfach weiter fernsehen.

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