Anarchie

Eine Filmkritik von Gregor Ries

Romeo und Julia im Drogendschungel

Schier unüberschaubar sind gerade im Independent-Bereich die Versuche, William Shakespeares Arbeiten in die Gegenwart zu übersetzen. Der Reihe an interessanten Experimenten, von Black Devil (Hamlet als Gangsterepos) über das Kriegsdrama Coriolanus bis zu Joss Whedons stilisiertem Homemovie Viel Lärm um nichts, fügt Michael Almereyda eine eher verzichtbare Variante des Stücks Cymbeline hinzu. Der Konflikt zwischen England und Rom, verknüpft mit einem Liebesdrama, spielt sich nun als Kampf eines Rocker-Drogenclans gegen korrupte Polizisten ab, bei dem die Motivation der Charaktere oft im Argen liegt. Um dem zähen Werk eine attraktivere Schale zu verliehen, titelte der Verleih New KSM es von Cymbeline in Anarchie um und unterließ tunlichst jeden Vermerk auf die klassische Bühnenvorlage. Der Hinweis auf Sons of Anarchy und Game of Thrones auf dem Cover ist aus dem Kontext einer negativen Kritik des Hollywood Reporter gerissen.
In der Regel sind Michael Almereydas Filme äußerst prominent besetzt, teils in schwarzweißer Pixelvision gedreht und häufiger als experimentelle Genre-Hypride angelegt, wobei die Resultate bestenfalls akzeptabel ausfielen. Nach Hamlet adaptierte er zum zweiten Mal ein Shakespeare-Drama und besetzte erneut Ethan Hawke. Als intriganter Gesandter Ichimo bringt er die harmonische Beziehung des Liebespaars Imogen und Posthumus ins Wanken. Ausgehend von einem Prolog mit stummen, elektronisch akzentuierten Impressionen, der wie ein Trailer wirkt, entrollt sich der Plot in einer langen Rückblende.

Gemeinsam mit seiner Frau (Milla Jovovich) kontrolliert Cymbeline (Ed Harris) eine Bikerbande, die ihr Geld durch Drogenschmuggel verdient. Dass ihre Tochter (Dakota Johnson) eine heimliche Beziehung zum Gangmitglied Posthumus (Penn Badgley) unterhält, will der Rockerkönig keineswegs tolerieren. Während er auf Anraten seiner intriganten Frau einen Kleinkrieg mit der korrupten Ordnungsmacht unter Caius Lucius (Vondie Curtis-Hall) anzettelt, beginnt Posthumus an der Treue seiner Gelieben zu zweifeln.

Aufgrund einer Wette gaukelt ihm sein Vertrauter Ichimo (Ethan Hawke) ein vermeintliches Schäferstündchen mit der Angetrauten vor und offeriert als Beweis gefälschte Handyfotos. Rasend vor Eifersucht beauftragt der Getäuschte seinen Kumpan Pisario (John Leguziamo), Imogen umzubringen. Diese Mordtat bringt der Gesandte jedoch nicht übers Herz. Vielmehr überredet er das verzweifelte Mädchen, ihren Tod nur vorzutäuschen und verkleidet als Knabe Fidelio aus der Stadt zu entkommen. Auf der Flucht begegnet sie Belarius (Delroy Lindo) und seinen beiden Söhnen, die ihr ein Domizil nahe eines Schotterplatzes anbieten.

Bei seinem „Dope-Shakespeare“ mit zahlreichen Best-of-Elementen setzt Regisseur Almereyda auf den Kontrast aus klassischer Bühnensprache um Aspekte wie Ehre, Treuschwüre, Königsmacht oder Schwerterkraft und moderner Technik wie Tablets, Überwachungskameras, Schussfeuerwaffen oder Fortbewegungsmittel wie Skateboards und Motorräder. Damit des Konzept funktioniert hätte, wäre aber eine noch überhöhtere und stilisiertere Inszenierung vonnöten gewesen. Tim Orrs Fotografie bleibt konventionell und der Score zu belanglos. Almereyda beschränkt sich auf beiläufige Todessymbolik wie Menschen in Skelettkostümen, Halloween-Kürbisse oder Details wie Biker mit Narrenkappen.

Alles wirkt zusammengestoppelt und wie reine Behauptung, was zur Folge hat, dass die Motive der Charaktere aus Neid, Hass, Eifersucht, Vergebung und Nachsicht nebulös erscheinen. Dass es sich bei Milla Jovovich, die mit Krone eine Bob-Dylan-Coverversion interpretieren darf, um die böse Königin handelt, erfährt man trotz ihrer Giftmischerpläne nur aus den Dialogen. Die ungelenken Actioneinlagen fallen ebenso kurz und abrupt aus wie die Gastauftritte von Bill Pullman in einer Traumsequenz und Indie-Dauergast Kevin Corrigan. Dakota Johnson (Fifty Shades of Grey) schlägt sich noch einigermaßen wacker, während Jovovich und Hawke in ihren wenigen Szenen konturlos bleiben. Dagegen agieren John Leguizamo und Anton Yelchin, der im Bonusmaterial immerhin brauchbare Ansätze einer Stückinterpretation liefert, so überdreht wie in einer Theaterparodie. Als schräge Persiflage fehlt dem Ergebnis dagegen schlicht das notwendige Quäntchen Witz und Wahnsinn.

Darüber hätte man gerne etwas von Michael Almeryeda selbst erfahren, doch der Meister taucht im Bonusmaterial gar nicht auf. Stattdessen gibt es neben einer Bildergalerie ein halbes Dutzend PR-Interviews und ein 12-minütiges Behind the Scenes, in dem die Darsteller Shakespeares Nebenwerk als Vorläufer der Seifenoper einordnen und die oberflächlichen Charaktere kritisieren. Auf diese moderne Adaption trifft das aber ebenfalls zu.

Anarchie

Schier unüberschaubar sind gerade im Independent-Bereich die Versuche, William Shakespeares Arbeiten in die Gegenwart zu übersetzen. Der Reihe an interessanten Experimenten, von „Black Devil“ („Hamlet“ als Gangsterepos) über das Kriegsdrama „Coriolanus“ bis hin zu Joss Whedons stilisiertem Homemovie „Viel Lärm um nichts“, fügt Michael Almereyda eine eher verzichtbare Variante des Stücks „Cymbeline“ hinzu.
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