An ihrer Seite (2006)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die zärtliche Melancholie des Abschieds

Irgendetwas muss es geben in Kanada, das sich besonders inspirierend und förderlich auf Regisseure und Darsteller auswirkt. Hier, im Schatten der übermächtigen USA blüht seit Jahren eine kleine, aber feine Filmindustrie, die in regelmäßigen Abständen wunderbare Meisterwerke hervorbringt. Wer die Entwicklung des kanadischen Films in den letzten Jahren mit verfolgt hat, den wird es kaum wundern, dass nun mit dem Regiedebüt der Schauspielerin Sarah Polley abermals ein bewegender Film in die Kinos kommt, der meilenweit über vielem schwebt, was derzeit in Hollywood produziert wird. Was An ihrer Seite / Away from Her mit Werken wie Das süße Jenseits / The Sweet Hereafter von Atom Egoyan oder Isabel Coixets Mein Leben ohne mich / My Life without Me eint – in beiden Fällen spielte Sarah Polley bezeichnenderweise mit –, sind die Themen Abschied, Trauer und Tod, die auch hier auf eigene, aber stets sehr bewegende Weise umgesetzt werden.

Seit 45 Jahren sind Fiona (Julie Christie) und Grant (Gordon Pinsent) verheiratet, und nach wie vor scheinen sie ein glückliches Paar zu sein. Grants Seitensprünge und Affären früherer Jahre sind längst vergeben und vergessen, doch nun, da ein geruhsamer Lebensabend bevorsteht, ziehen abermals dunkle Schatten am Horizont auf; dieses Mal ist es Fiona, die Unruhe in die Beziehung bringt – wenngleich auch unabsichtlich. Es beginnt zunächst schleichend, mit einem falschen Handgriff, einer verräterischen Bemerkung und mündet schließlich in unübersehbaren Zetteln, die den Inhalt der Schubladen, Schränke und Fächer bezeichnen, so dass es sich nicht mehr ignorieren lässt – Fiona leidet unter der Alzheimer Krankheit, die schließlich die Unterbringung in dem auf derartige Fälle spezialisierten Pflegeheim Meadowlake nötig macht. Während Fiona Einsicht zeigt, mag Grant sich zunächst mit dem Umzug seiner Frau gar nicht abfinden, doch dann willigt er ein – ein Beschluss, den er sehr bald schon bereuen wird. Denn als er seine Frau nach den ersten 30 Tagen im Pflegeheim wieder sieht — die ersten vier Wochen dienen der Eingewöhnung der Patienten, weshalb jeder Besuch strengstens untersagt ist — , erkennt sie ihn nicht mehr. Sie hat ihn schlicht vergessen, weiß nicht mehr, dass er ihr Mann ist, was Grant beinahe das Herz zerreißt. Doch es kommt noch schlimmer, denn Fiona pflegt mittlerweile engen Umgang mit Aubrey (Michael Murphy), einem Mitpatienten, während sie die langen Jahre an Grants Seite vollkommen vergessen hat. Alle Versuche, die gemeinsame Zeit wieder in Fionas Gedächtnis zurückzuholen, fruchten nichts und verwirren die Kranke. Als Aubrey von seiner Frau Marian (Olympia Dukakis) nach Hause zurückgeholt wird, bricht Fiona zusammen und vergräbt sich in Trauer und Verzweiflung, da sie – so ihre feste Überzeugung – die Liebe ihres Lebens verloren hat. Konfrontiert mit dem rapiden Verfall seiner geliebten Frau fasst Grant einen schweren Entschluss, der ihm alles abverlangt. Doch wer wirklich liebt, der muss auch loslassen können…

Gerade einmal 28 Jahre alt ist Sarah Polley und noch immer sieht man in ihr das junge Mädchen, das sie in Atom Egoyans Das süße Jenseits / The Sweet Hereafter spielte. Doch hinter dem verbirgt sich eine unglaubliche Reife und Erfahrung, eine Empathie und Sicherheit, die den Zuschauer von Anfang an mit hinein nimmt in diese Geschichte um Liebe und deren Ende, um das Vergessen und all den Schmerz, den dieses bereitet. Ohne Kitsch oder erzählerische Schnörkel, aber mit einem feinem Gespür für die melodramatischen Höhepunkte und die Magie kleiner Gesten ist Sarah Polley ein außerordentlich bewegender Film gelungen, der wieder einmal zeigt, welch besonderes Klima in Kanada herrschen muss, um solche Talente hervorzubringen. Mehr als einmal fühlt man sich an die bittersüße Melancholie von Atom Egoyan erinnert, an seine Art der Bildgebung, die Erstarrung und Trauer in Sequenzen voll schwebender, leichtfüßiger Eleganz verpackt. Einer der schönsten, schmerzlichsten und zärtlichsten Liebesfilme dieses Jahres, dem Fionas Schicksal wohl erspart bleiben wird – wer An ihrer Seite / Away from Her gesehen hat, der wird ihn in seiner Behutsamkeit und tiefen Menschlichkeit nicht mehr vergessen können.
 

An ihrer Seite (2006)

Irgendetwas muss es geben in Kanada, das sich besonders inspirierend und förderlich auf Regisseure und Darsteller auswirkt. Hier, im Schatten der übermächtigen USA, blüht seit Jahren eine kleine, aber feine Filmindustrie, die in regelmäßigen Abständen wunderbare Meisterwerke hervorbringt.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Jogi · 06.04.2008

Mal wieder ein sehr guter Programmkinofilm. Das erstlings Regiewerk von Sarah Polley (Als Schauspielerin: Mein Leben ohne mich, Das Geheime Leben der Worte unter der Regie von Isabel Coixets).

Der Film beschreibt die Beziehung eines alten Ehepaars, welches seit 44 Jahren verheiratet ist. Wo die Frau (Fiona) gespielt von Julie Christie (Oscar 2008-Beste Weibliche Hauptrolle) an Alzheimer erkrankt, nach einigen Krankheits bedingten"ausfällen". Entschließt sie sich in ein Pflegeheim zugehen. Ihr Mann Grant ist davon nicht begeistert. Ihre Beziehung verändert sich während der 30 Tätigen Kontaktsperre extrem.

Nach der Kontaktspeere ist nichts mehr sowie es vorher war. Die Rollen werden schön bis zum "ende" durchgespielt.

Der Film ist mit sehr viel Gefühl gedreht und gespielt. Er heischt aber nicht nach Mitleid.

An einigen Stellen hatte ich Tränen in den Augen.

Man kann sich in beide Seiten hineinversetzen, man spürt den Schmerz und die immer noch vorhande Liebe der beiden.

Ich wünsche mir keinen Angehörigen der an Alzheimer erkrannt. Ich glaube, ich hätte nicht die Kraft das durch zustehen.

Für alle die sich für dieses schwere Thema interessieren. Sollten diesen Film sehen.

Man kommt leicht rein und wächst mit dieser traurigen Geschichte.

· 14.01.2008

Vor einem Jahr bei der Berlnale gesehen und der Film beeindruckt immer noch...

· 08.01.2008

Ein Thema, was nur zu gern von uns verdrängt wird, wurde eindrucksvoll und nachhaltig von Sarah Polley in Szene gesetzt. Dafür gebührt ihr unser Dank, Roland Bischof.

· 27.12.2007

Sarah Polley ist es gelungen, Philosophie bildhaft werden zu lassen.
Dies ist ganz und gar außergewöhnlich und bewundernswert.

· 16.12.2007

Ein schweres Thema einfühlsam dargestellt.

Linus Schroeder · 11.12.2007

Gerade eben komme ich aus dem Kino, in welchem wir wohl die Jüngsten gewesen sind. Das kann man auf den Montagabend schieben, aber auch auf die Thematik, welche möglicherweise in jungen Jahren oft noch gar keine Rolle spielt, im Leben.

An ihrer Seite ist ein ganz wunderbarer, unglaublich würdevoller Film über die Alzheimersche Krankheit und über die Liebe, der es schafft, auf Kitsch und Romantik vollkommen zu verzichten. Ein Film der nachdenklich macht und berührt. Ein großer Film für die kleinen Kinos. Ein Film, der zu Tränen rührt.

Lest einfach unter dem Link genauer nach und schaut ihn euch an. Mich hat er tief beeindruckt.