Amour Fou

Eine Filmkritik von Festivalkritik Cannes 2014 von Beatrice Behn

In kleinka(d)rierter Gesellschaft

Jessica Hausners Beitrag zur Sektion Amour Fou beginnt mit Henriette (Birte Schnoeink), versteckt hinter einem Strauß gelber Blumen. Sie selbst ist wohl eher das kleine blaue Veilchen von dem sie später bei einem der Hauskonzerte singen wird. Das Veilchen, welches auf der Wiese steht und sich wünschte es wäre hübscher und würde so der vorbeieilenden Hirtin auffallen. Das fahle Veilchen Henriette lebt indes als Ehegattin des Bürgerlichen Vogel, als sein Eigentum wie sie es nennt, und Mutter einer Tochter in Berlin. Man schreibt das Jahr 1811 und die Reichen und Adligen haben nicht viel mehr zu tun, als sich über die frisch eingeführte Steuer zu beklagen, die, Gott bewahre, auch sie beanspruchen wird. Ansonsten wird gegessen, gestickt und musiziert.
Unter den Musikgästen ist auch der Dichter Heinrich (von Kleist) (Christian Friedel), der es hasst, dieses vorprogrammierte Zombieleben. Nicht umsonst ist er der Melancholie verfallen. Heinrich möchte sterben. Aber nicht allein. Er will die große romantische Geste, er will, dass die Frau, die er liebt mit ihm stirbt. Nein, für ihn stirbt. Seine Angebetete ist allerdings wenig begeistert, verweigert sich und heiratet lieber einen lebensfrohen Franzosen. So sucht sich Heinrich eine Ersatzsterbebegleitung und findet sie in Henriette. Diese muss aber erst einmal „befreien“, indem er ihr klar macht, dass sie nicht geliebt wird (von niemandem) und auch nichts in diesem Leben hat und ist. Die sensible Frau entwickelt daraufhin ein „Nervenleiden“ welches als entweder eingebildet oder als riesiger Tumor diagnostiziert wird. Egal wie, Henriette ist der Meinung sowieso bald sterben zu müssen, da kann sie eben auch Heinrich folgen. Doch der ist gar nicht mehr so begeistert, denn jetzt stirbt Henriette an einem Tumor und nicht für ihn! Aber im Suizid kann man nicht so wählerisch sein.

Auf den ersten Blick sieht Amour Fou aus wie eine spröde Theaterproduktion. Die streng kadrierten Bilder, die Kamera, die starr ist und sich nur ab und zu einen kleinen Schwenk erlaubt, all das wirkt einengend. Vor allem wenn die Kulissen derart bunt und gleichzeitig derart klein(bürgerlich) sind. Gegen die pastell- und bonbonfarbenen Wände wirkt die blasse Henriette, als wäre sie schon zu Lebzeiten eine Tote. Doch trotz aller Strenge und trotz den üblichen Vermutungen, dass dieses Stück, quasi ein Kostümfilm ohne Pomp wohl eher langweilig sein könnte — Amour Fou ist es nicht. Vielmehr vermögen es der Film und die wunderbaren, geistreichen und oft sehr amüsanten Dialoge sich subtil, aber dafür umso kraftvoller in das Gemüt des Zuschauers zu bohren, ohne dass man es am Anfang so recht bemerkt. Doch schon bald ist man fasziniert von Heinrich und Henriette und spürt gleichsam auch deren Gefühl von Enge und Ersticken in und an einer kleinka(d)rierten Gesellschaft.

Was man aber auch sehr schnell bemerkt, und das trifft nicht nur auf Amour Fou zu, sondern scheint ein Thema zu sein, dass sich bisher durch das ganze Cannes-Programm zieht — der Film ist vor allem ein Film über Männer und Frauen, deren Rechte, und deren Pflichten. Und noch genauer, es ist ein Film über einen Mann, der es einerseits als selbstverständlich betrachtet, dass er geliebt und sogar in den Tod begleitet wird, andererseits ist dieser Mann auch ein armseliges Würstchen, ein Gescheiterter. Einer, der nicht einmal alleine sterben kann und dazu eine Frau manipulieren muss. Einer, der am Ende nicht der Wahrheit ins Auge blicken kann, dass diese Frau nicht für ihn stirbt. Ja, die eigentlich nicht einmal wirklich sterben will und derer er sich am Ende einfach bemächtigt.

(Festivalkritik Cannes 2014 von Beatrice Behn)

Amour Fou

Jessica Hausners „Amour Fou“ beginnt mit Henriette (Birte Schnoeink), versteckt hinter einem Strauß gelber Blumen. Sie selbst ist wohl eher das kleine blaue Veilchen von dem sie später bei einem der Hauskonzerte singen wird. Das Veilchen, welches auf der Wiese steht und sich wünschte, es wäre hübscher und würde so der vorbeieilenden Hirtin auffallen.
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Meinungen

wignanek-hp · 22.01.2015

Was treibt eine für die damaligen Verhältnisse glücklich verheiratete Frau dazu mit einem mittellosen, von seinen Zeitgenossen meist unverstandenen Dichter zusammen Selbstmord zu begehen? Letztenendes wird dieses Dunkel niemals ganz gelüftete werden. Jessica Hausner versucht hier eine Annäherung, die dem Zuschauer viel Raum zur Interpretation lässt. Sie deutet an, spricht nicht klar aus und gibt so ein umfassendes Bild einer Zeit, die dem individuellen Glück kaum Raum ließ. Die Regeln waren klar vorgegeben. Von Kleist weiß man, dass er Zeit seines Lebens Schwierigkeiten hatte, sich den an ihn gestellten Forderungen z.B. nach einer Laufbahn im Staatsdienst anzupassen. Er wollte ein anerkannter Dichter sein. Vor allem Goethes Anerkennung war ihm wichtig. Henriette scheint in ihrer Ehe glücklich, doch machen manche ihrer Aussagen nachdenklich, die darauf hin deuten, dass sie mehr will als nur die brave Hausfrau und Mutter zu sein. Schön ist es, dass Hausner auch hier die Wertung dieser Aussagen durchaus dem Zuschauer überlässt und ihn nicht mir voreiligen Deutungen belästigt. Die Schauspieler stellen sich ganz in den Dienst der Geschichte und vor allem Christian Friedel beängstigt, weil er Kleist auch äußerlich ziemlich ähnlich sieht. Emotionale Ausbrüche oder Zuwendungen sucht man in diesem Film vergebens. Alles ist kühl und sachlich. Sehr wahrscheinlich kommt Hausner der Zeit damit sehr nahe. Die Bilder, die fast wie Tableaus wirken, sind nachdrücklich und bleiben im Gedächtnis lange über den Kinoabend hinaus. Schade, dass solche Schätze so selten sind!