American Crime Story - The People v. O.J. Simpson (Miniserie, 2016)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Spektakel vor Gericht

Nur wenige Ereignisse haben sich derart tief in das kollektive Gedächtnis der Amerikaner eingegraben wie die als „Prozess des Jahrhunderts“ bezeichnete Gerichtsverhandlung gegen den ehemaligen Footballspieler Orenthal James Simpson. Im Juni 1994 – so der Vorwurf der Anklage – tötete der populäre Sportstar seine Ex-Frau Nicole und ihren Bekannten Ronald Goldman mit unzähligen Messerstichen. Trotz erdrückender Beweislast wurde O. J. im Oktober 1995 von den Geschworenen für unschuldig befunden und konnte das Gericht als freier Mann verlassen. Ungeachtet dieser Entscheidung, die das amerikanische Volk spaltete, wurde Simpson zwei Jahre später in einem Zivilverfahren zu millionenschweren Entschädigungszahlungen an die Opferfamilien verurteilt. The People v. O. J. Simpson, die erste Staffel einer Anthologie-Serie unter dem Banner American Crime Story, zeichnet den aufsehenerregenden Mordfall akribisch nach und macht dem Zuschauer begreiflich, wie es zum vieldiskutierten Freispruch kommen konnte.

Alles beginnt mit dem Auffinden der beiden übel zugerichteten Leichen, das Pilotfolgenregisseur Ryan Murphy (American Horror Story), begleitet von einer geisterhaft schwebenden Kamera, packend in Szene setzt. Dass die Macher allerdings nicht nur an simpler Spannungserzeugung interessiert sind, belegen schon die vorangestellten Archivaufnahmen, die auf zwei besonders relevante Themen hinweisen. Zu sehen sind der Angriff auf den Afroamerikaner Rodney King, der 1992 von weißen Polizisten verprügelt wurde, und die Ausschreitungen, die Los Angeles erschütterten, nachdem eine Misshandlungsklage gegen die verantwortlichen Beamten im Sande verlaufen war. Polizeiwillkür und Rassismus-Debatten spielten auch im Verfahren gegen den angesehenen Football-Star eine zentrale Rolle, wie The People v. O. J. Simpson unterstreicht.

Anders als man es vermuten könnte, steht der von Cuba Gooding Jr. gespielte Angeklagte nicht im Zentrum der virtuos verdichteten Handlung, die diverse Perspektiven einnimmt. Äußerst prominent ist der Blickwinkel der leitenden Staatsanwältin Marcia Clark (stark: Sarah Paulson), die sich von der Bekanntheit des Beschuldigten nicht einschüchtern lässt und im Gerichtssaal entschlossen auftritt. Spannend ist die Figur der Chefanklägerin vor allem deshalb, weil an ihrem Beispiel deutlich wird, dass der Prozess ein gefährliches Eigenleben entwickelte. Handfeste Beweise gerieten immer wieder aus dem Fokus, während in Gazetten und TV-Magazinen Diskussionen über Clarks Verbissenheit, ihr äußeres Erscheinungsbild und ihr Privatleben entbrannten. Eine engagierte, selbstwusste Frau, die einen geschätzten Prominenten des Doppelmordes überführen wollte, fand sich plötzlich inmitten eines unkontrollierbaren, hitzigen Medienspektakels wieder, das der vorsitzende Richter Lance Ito (Kenneth Choi) mit seiner Entscheidung, Fernsehkameras während der Verhandlung zuzulassen, mitbegünstigt hatte. Unmissverständlich arbeitet die Serie, die auf dem Sachbuch The Run of His Life: The People v. O. J. Simpson basiert, den Sexismus heraus, mit dem sich Marcia Clark immer wieder konfrontiert sah.

Gleichzeitig veranschaulichen die Formatschöpfer Scott Alexander und Larry Karaszewski aber auch, dass die Staatsanwaltschaft die Dynamiken des Verfahrens unterschätzte und irgendwann die Kontrolle über den Prozess verlor. Exemplarisch ist etwa der auf Youtube abrufbare Moment, in dem O. J. Simpson vor Gericht die Tathandschuhe überstreifen soll, was nur mit Mühe gelingen will. Eine ikonische Szene, die in der Serie als nervenzerrendes Schlüsselereignis dargestellt wird und auf die sich Simpsons Anwalt Johnnie Cochran (fulminant: Courtney B. Vance) in seinem Schlussplädoyer mit dem berühmt gewordenen Satz „If it doesn’t fit, you must acquit!“ (in der deutschen Synchronisation: „Ist der Handschuh zu klein, muss Freispruch es sein“) bezieht. Spuren und Beweise – das zeigt The People v. O. J. Simpson eindrücklich – treten in den Hintergrund, wenn man den Menschen prägnante, erinnerungswürdige Bilder liefern kann.

Spannend aufbereitet werden auch die Auseinandersetzungen und Winkelzüge innerhalb des Verteidigerteams, das der Promi-Anwalt und Deal-Experte Robert Shapiro (angemessen affektiert: John Travolta) zusammenstellt, der die offene Konfrontation eher scheut. Ganz anders sein Kollege Cochran, bei dem es sich um einen Überzeugungstäter im Kampf gegen Rassismus handelt. Mit aller Macht drängt er darauf, die schwarzenfeindlichen Ergüsse des im Fall ermittelnden Beamten Mark Fuhrman (Steven Pasquale) auszuschlachten und den Blick von den Fakten auf eine rassistisch motivierte Polizeiverschwörung zu lenken. Prägnant zeigen die Serienmacher auf, wie sich der Schwerpunkt des Prozesses zunehmend von der konkreten Schuldfrage hin zu einer Grundsatzdiskussion über den Graben zwischen schwarzen und weißen Menschen verschiebt.

Eine interessante, da ambivalente Sicht auf das Geschehen bietet die Figur des Simpson-Freundes Robert Kardashian (David Schwimmer), der ebenfalls dem Verteidigerteam angehörte. Über ihn etabliert die dramatische Aufarbeitung die ganze Gefühlspalette, die der Simpson-Fall zu bieten hat. Anfangs entgeistert und von der Unschuld des Beklagten überzeugt, gerät der Vertraute mehr und mehr ins Grübeln, was eine langsame Distanzierung von O. J. zur Folge hat.

Auf den Punkt bringt die sehenswerte erste Staffel des American Crime Story-Formates auch den Celebrity-Wahn und die Sensationslust, denen ein Millionenpublikum verfiel. Eine ganze Nation verfolgte die Berichte über den grausamen Doppelmord, Simpsons anfängliche Flucht vor der Polizei und die anschließende Gerichtsverhandlung gebannt im Fernsehen, als handele es sich bloß um eine große Seifenoper. Die Opfer des Verbrechens gerieten dabei vollkommen in den Hintergrund, wie The People v. O. J. Simpson dem Zuschauer schmerzlich vor Augen führt.
 

American Crime Story - The People v. O.J. Simpson (Miniserie, 2016)

Nur wenige Ereignisse haben sich derart tief in das kollektive Gedächtnis der Amerikaner eingegraben wie die als „Prozess des Jahrhunderts“ bezeichnete Gerichtsverhandlung gegen den ehemaligen Footballspieler Orenthal James Simpson. Im Juni 1994 – so der Vorwurf der Anklage – tötete der populäre Sportstar seine Ex-Frau Nicole und ihren Bekannten Ronald Goldman mit unzähligen Messerstichen.

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