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Die neunjährige Anna muss 1933 plötzlich ihre Heimatstadt Berlin verlassen. Ihr geliebtes Stofftier kann sie nicht vor Hitler retten. Es folgt eine europäische Odyssee mit der Familie, geprägt von Entbehrung, Angst, Hoffnung. Caroline Link hat den gleichnamigen Bestseller von Judith Kerr verfilmt.

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl (2019)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Ein Familienleben in der Fremde

Anna (Riva Krymalowski) hat Glück. Zwar darf sie nur ein Stofftier mit auf die Flucht aus Deutschland nehmen und gibt nach langem Ringen dem Hund Terri, den sie zu Weihnachten bekommen hat, den Vorzug vor dem rosa Kaninchen. Aber die gute alte Heimpi (Ursula Werner), wie die Neunjährige die Haushälterin ihrer Familie nennt, weiß Rat. Sie wird das Kaninchen in einen Koffer nur für Spielsachen packen und im Haus in Berlin-Grunewald aufbewahren, bis Anna wiederkommt.

Am Vorabend der Reichstagswahl 1933 verlässt die jüdische Familie Kemper Hals über Kopf das Land, nachdem Annas Vater, der berühmte Theaterkritiker und Nazigegner Arthur Kemper (Oliver Masucci), einen warnenden Hinweis bekommen hat. Sollten die Nationalsozialisten an die Macht kommen, würden sie ihn mundtot machen und seinen Pass konfiszieren. Arthur, der im Rundfunk dazu aufrief, mit „Nein“ gegen das Böse zu stimmen, will den Ausgang der Wahl mit seiner Familie in Zürich abwarten und hofft noch, danach zurückkehren zu können.

Dass die Trennung von Berlin und von Heimpi nur vorübergehend sei, hat Arthurs Frau Dorothea (Carla Juri) auch Tochter Anna und dem älteren Sohn Max (Marinus Hohmann) gesagt. Trotzig besteht Anna darauf, alle Tage im Kalender anzukreuzen, die bis zur ersehnten Rückkehr vergehen. Sie fährt damit auch fort, als die Familie in Zürich vom Ausgang der Wahl erfährt. Anstatt nach Berlin muss Anna nun mit Eltern und Bruder in ein schweizerisches Bergdorf ziehen, in eine erschwingliche Pension. In der Schule versteht sie zunächst kaum ein Wort – und wird nicht lange bleiben. „Als Flüchtling muss man eben oft Abschied nehmen“, wird sie ihrer kleinen Freundin sagen, bevor es nach Paris geht.

Schon wieder kommt, wie schon im vorigen Jahr mit Der Junge muss an die frische Luft, an Weihnachten ein Film der oscarprämierten Regisseurin Caroline Link in die deutschen Kinos. Und erneut dürfte das Kalkül mit dem besten Zeitpunkt für einen Familienfilm, der ein Millionenpublikum in die Kinos zu locken verspricht, aufgehen. Link und ihre Co-Autorin Anna Brüggemann haben den Jugendroman Als Hitler das rosa Kaninchen stahl von Judith Kerr adaptiert. Mit der Autorin, die vor Fertigstellung des Films im Alter von 95 Jahren starb, wurde weitgehende Werktreue vereinbart. Kerr erzählt in dem 1971 veröffentlichten, für ihren damals achtjährigen Sohn geschriebenen Roman die fiktionalisierte Geschichte ihrer Kindheit auf der Flucht vor den Nationalsozialisten. Die Charaktere bekommen im Buch andere Namen, aus dem berühmten Theaterkritiker Alfred Kerr wird Arthur Kemper.

Judith Kerr erklärte sich den Erfolg ihres Buchs, das in Deutschland seit Generationen zur Schullektüre gehört, auch folgendermaßen: „Ich wollte Kinder damit vertraut machen, wie das mit Hitler zuging. Niemand hatte es bis dahin so richtig versucht, ich meine in Form einer erzählten Familiengeschichte von Flucht und Exil. Da uns (…) nichts Schreckliches passiert war, was sich etwa mit Anne Frank vergleichen ließ, wurde die Geschichte für Kinder vielleicht zugänglicher.“

So beschreibt auch der Produzent Jochen Laube die filmische Absicht als Heranführung eines ganz jungen Publikums – etwa ab dem Alter von 8 Jahren – an das Thema Nationalsozialismus. Der Familienfilm möchte natürlich auch Erwachsene ansprechen, aber die kindliche Perspektive Annas bestimmt weitgehend den Tonfall. Caroline Link gelingt es bemerkenswert gut, eine berührende, authentisch wirkende Geschichte über den Zusammenhalt einer Familie, die ihr Zuhause verliert und durch Europa auf der Suche nach einer neuen Heimat tingelt, zu erzählen.

Die beeindruckende Kraft und Wirkung des Films liegt vor allem darin, dass die Kempers als eine deutsche Familie porträtiert werden. Von den Nazis als Juden ausgegrenzt und verfolgt, sehen sie sich selbst aus der Mitte der Gesellschaft herausgerissen, die ihre ist, die viel eher ihre ist, als diejenige der Faschisten. Mit der verwunderten, vom Verlust des Berliner Lebensumfelds verwundeten Anna fragt sich auch das Publikum, aufgrund welcher Logik, mit welchem Recht so etwas geschehen kann. Eine schöne, unvorhergesehene Verbindung zur realen Geschichte stellt auch der Zufall dar, dass die junge Hauptdarstellerin Riva Krymalowski, die ihr Kinodebüt gibt, in Berlin-Grunewald dieselbe Schule besucht, auf die Judith Kerr bis 1933 ging.

Wie beiläufig tun sich im Laufe der europäischen Odyssee Annas Parallelen zur Gegenwart auf, können Kinder emotional miterleben, wie es ist, in ein neues Land zu kommen. Als an Annas 10. Geburtstag Heimpi aus Berlin in der Schweiz anruft und erzählt, dass sie jetzt bei einer anderen Familie arbeitet, begreift das Mädchen traurig, dass sie das Berliner Elternhaus loslassen muss.

Der Kritiker Arthur und die Pianistin Dorothea waren in Berlin einen gehobenen Lebensstandard gewöhnt. Link präsentiert erneut – wie schon bei der Verfilmung der Hape-Kerkeling-Autobiografie im vorigen Jahr – einen wunderbaren Ausstattungsfilm. Die Einrichtung der Grunewalder Villa mit den furnierten Möbeln, den Teppichen, dem Klavier, den modernen Malereien strahlt gediegene, kunstaffine Bürgerlichkeit aus. Annas Frisur ist nicht von heute und ihre Sprache — „verflixt“ — stellt sich auch nicht quer zur Epoche.

Im Exil verarmt die Familie zunehmend, denn Arthur kann kaum noch Geld in seinem Beruf verdienen. Alle vier Mitglieder der Familie erleben die Armut als schmerzliche Einschränkung und schaffen es doch gemeinsam, sich davon nicht herunterziehen zu lassen. Das Savoir-Vivre der Eltern bleibt als Haltung gewahrt, kommt auch spontan zum Vorschein, wenn der Vater den Sohn in Paris zum Schneckenessen einlädt, auf dem Eiffelturm eine Flasche Champagner öffnet.

Der Austausch zwischen Eltern und Kindern, hauptsächlich zwischen Anna und Vater Arthur, schmiedet die Familie neu zusammen, lässt sie oft lachen und hoffnungsvoll nach vorne schauen. Im Film sorgen die altklugen, treffenden Bonmots der lebhaften, hervorragend gespielten Anna zuverlässig für Komik. Und auch Momente, in denen die Familie merkwürdige Entdeckungen macht – Max stellt fest, dass er in jedem neuen Land zuerst alten Käse zu essen bekommt -, werden humorvoll und anheimelnd inszeniert.

Der Wohlfühlfilm scheint schon beinahe wie eine Art Heidi-Saga zu funktionieren, wäre da nicht doch diese dräuende Hintergrundrealität, die Anna bruchstückhaft zu Ohren kommt. In der Schweiz erfährt sie, dass Hitlers Regierung auf ihren Vater ein Kopfgeld ausgesetzt hat, und dann ist da beispielsweise auch diese grässliche Geschichte, die ihr Patenonkel Julius (Justus von Dohnányi) dem Vater erzählt, ohne zu merken, dass sie mithört. Der Film lässt solche Dinge zu unvermittelt stehen, als stammten sie aus einer anderen Welt, die irgendwie wieder verdrängt gehört.

Die Eltern haben keineswegs immer Verständnis für ihre Kinder, was auf glaubhafte Weise auch wiederum mit der Epoche und mit dem permanenten Ausnahmezustand der Neuorientierung in dieser Familie übereinstimmt. Umso bedauerlicher ist es, dass die Eltern dennoch beide als Charaktere vor allem in der Beziehung zur Tochter Kontur bekommen. Sie schauen zu oft zu liebevoll auf sie, als hätten sie sonst keine Sorgen. Oliver Masucci bleibt erstaunlich blass und Carla Juri gibt vor allem die fröhliche junge Frau und Mutter, denn beide Rollen dürfen zu wenig Kanten, erwachsene Eigenart entwickeln. Annas Bruder Max ist auch allzu sehr auf eine begleitende Nebenrolle reduziert, um menschlich wirklich glaubwürdig zu sein. Mit diesen Einschränkungen versehen, ist Caroline Link aber ein einnehmender Film gelungen, den vermutlich viele Zuschauer*innen sogar als ausgesprochen schön empfinden werden.

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl (2019)

Berlin, 1933: Anna ist neun Jahre alt, als sich ihr Leben von Grund auf ändert: Um den Nazis zu entkommen, muss ihr Vater, ein bekannter jüdischer Journalist, nach Zürich fliehen; seine Familie folgt ihm kurze Zeit später. Anna lässt alles zurück, auch ihr geliebtes rosa Stoffkaninchen, und muss sich in der Fremde einem neuen Leben voller Herausforderungen und Entbehrungen stellen.

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Meinungen

Irene · 28.01.2020

Ein eigentlich sehr traurigerer Film über Verlust und Abschied, auch wenn es immer wieder lustige Episoden und schöne Bilder gibt. Eine Ode an den Familienzusammenhalt und ein optimistisches Ende. Zurück bleibt bei mir Erleichterung, dass wenigstens manche es geschafft haben, sich zu retten, nicht nur zu überleben, sowie Trauer und Schmerz darüber, was auch Deutschland als Nation alles verloren hat in diesen mörderisch verblendeten Jahren.

Kati Fuhre · 18.01.2020

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl:

Ein sehr schöner, trauriger und doch humorvoller, und zugleich nachdenklicher Film.
Das Ende ist etwas apprupt, man hat am Ende das Gefühl, dass gleich noch ein Nachtrag kommt - aber es bleibt eine Leere.
Schade, dass es für die französischen Passagen keine Untertitel gibt. Ohne französisch-Kenntnisse entgeht einem der Inhalt einiger Szenen.

Henry · 09.12.2019

Sehr schöner emotionaler Film mit einer wunderbaren Hauptdarstellerin.