AlleAlle

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Gestrandete des Lebens

Blühende Landschaften waren einstmals von Politikern kurz nach der Widervereinigung versprochen worden, doch das Einzige, was in Pepe Planitzers Film AlleAlle blüht, ist das Unkraut und die Verzweiflung, die die Akteure ergriffen hat. Sie sind „alle alle“. Drei Menschen, allesamt Verlierer und Suchende, begegnen einander in einem leer stehenden Haus irgendwo südlich von Berlin in der Ödnis der brandenburgischen Provinz. Da ist Ina (Marie Gruber), die gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde und die wieder nach einem Platz sucht in dem Ort, aus dem sie kommt. Hajo Domühl (Milan Peschel) ist ein versoffener Kleinunternehmer, der nach dem Tod seines Vaters dessen Gerüstbaufirma geerbt hat. Doch das Unternehmen ist führungslos und steht kurz vor der Pleite, woran der Alkoholiker nicht ganz schuldlos ist. Die Kaserne, die sein Vater nach der Wende für den symbolischen Preis von einer D-Mark gekauft hat, lässt sich auch nicht mehr verkaufen: Der Boden ist mit den Rückständen alter Munition hoffnungslos verseucht – ein Pulverfass im wahrsten Sinne des Wortes. Und schließlich gibt es da noch den geistig behinderten Hagen (Eberhard Kirchberg), der sich auf der Suche nach seinem Onkel verirrt und bei Domühl landet. Eigentlich sollte er ja in einer Anstalt leben, doch die setzt den Behinderten als Einsparmaßnahme vor die Tür. Domühl will den Bekloppten schnellstmöglich wieder loswerden, schließlich hat er ganz andere Probleme an der Backe. Doch Hagen loszuwerden erweist sich als recht schwierig.
Willkommen in der Tristesse und Wirklichkeit der ostdeutschen Provinz: Zwischen Suff und Ein-Euro-Jobs, den baulichen Hinterlassenschaften der DDR und der Roten Armee und der Härte des Lebens hat Pepe Planitzer seinen leisen und sehr behutsamen Film AlleAlle nach dem Theaterstück Burnout von Oliver Bukowski angesiedelt, der von der vorsichtigen Annäherung dreier sehr unterschiedlicher Menschen erzählt. Planitzer und seine Darsteller tun dies sehr eindringlich, mit grimmigem Humor und ohne jede Mätzchen in der Inszenierung. Dass der Film trotz aller Hoffnungslosigkeit berührt, liegt vor allem an den Schauspielern, deren Spiel beklemmend realistisch ist, Domühls nackte Verzweiflung, Hagens Verwirrung, Inas Suche nach Wärme, sie sind greifbar, machen aus diesen Figuren echte Menschen, denen unser Mitgefühl und Interesse gilt – selbst der versoffene Quasselkopf Domühl gerät so noch zum Sympathieträger.

Obwohl alles so hoffnungslos, so unglaublich melancholisch und ganz und gar ausweglos erscheint, gibt es immer noch eine Spur von Solidarität und einen Rest von Zärtlichkeit zurück inmitten eines Ozeans aus Resignation und Lebensmüdigkeit: Als alles den Bach runter zu gehen droht (Hagens Maus sogar im wortwörtlichen Sinne), wendet sich schlussendlich doch noch alles zum Guten – ein kleines Wunder, das so ganz nebenbei geschieht. Die Hoffnung auf ein besseres Leben stirbt zuletzt. Und Märchen gibt es selbst in der größten Tristesse.

Mit minimalem (auch finanziellem) Aufwand, aber viel Herzblut gedreht, ist AlleAlle ein guter Beweis dafür, dass große Filme nicht notwendigerweise auch ein großes Budget benötigen – eine bewegende Geschichte, hervorragende Schauspieler und ein Regisseur mit viel Gespür für Atmosphäre und Zwischentöne reichen dazu vollkommen aus.

AlleAlle

Blühende Landschaften waren einstmals von Politikern kurz nach der Widervereinigung versprochen worden, doch das Einzige, was in Pepe Planitzers Film AlleAlle blüht, ist das Unkraut und die Verzweiflung, die die Akteure ergriffen hat.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

· 09.09.2008

grandioser Film mit wunderbaren Schauspielern

· 01.07.2008

einfach grossartig!