Alle meine Väter

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Von einem der auszog...

Jans Vater ist gar nicht sein Vater. Jan weiß das und nimmt diese Tatsache als Ausgangspunkt für ein sehr persönliches Dokumentarfilmprojekt über die Suche nach seinem biologischen Vater. Der in nur zweieinhalb Wochen Drehzeit entstandene Dokumentarfilm Alle meine Väter ist eine wahre Überraschung — nicht nur für den Zuschauer. Hoch emotional und dabei ungekünstelt unterhaltsam enthüllt er Ereignisse, die ein ganzes Leben ausmachen, in 90 Minuten, die wie im Fluge vergehen. Wann immer ein Regisseur einer persönlichen Thematik anhand seiner selbst in seinem eigenen Film nachgeht, sind Selbstinszenierung, Eitelkeiten und oft auch Peinlichkeiten die üblichen Verdächtigen. Der durchweg sympathisch und unverstellt auftretende junge Regisseur Jan Raiber ist jedoch über diesen Verdacht erhaben. Laut seiner Produzentin dachte und hoffte er doch zuerst, er müsse in seinem Film gar nicht persönlich auftauchen. Es geht ihm nicht um Selbstdarstellung, sondern um Wahrheitsfindung. Die Präsenz der Kamera und das Sound-Equipment, mit dem er sich wappnet, dienen ihm dabei als Rüstzeug und Katalysator, um alte Familiengeheimnisse offen zu legen und alle Angehörigen damit zu konfrontieren. Jan will aufräumen auf breiter Front.

Doch seine Mutter will sich erst gar nicht filmen lassen. Der Bruder ist geschockt, zu erfahren, dass er nur sein Halbbruder ist. Die Schwester dagegen wusste davon schon von den Großeltern. Die Mutter ringt mit sich, ist sie doch die Schlüsselfigur der ganzen Unternehmung, und stellt für ihren Sohn den Kontakt zu Uwe her. Die Großeltern raten von einem Kennenlernen ab. Jan fasst sich ein Herz und gibt sich dem für ihn fremden Mann, der 18 Jahre Alimente für ihn zahlte, als Sohn zu erkennen. Eine vorsichtige Annäherung beginnt. Doch da platzt eine E-Mail seiner Mutter herein, die Jans Filmprojekt und bisherige Gewissheiten seines Lebens radikal in Frage stellt: Uwe sei gar nicht Jans Vater, es habe da früher noch einen Mann gegeben…

Jetzt, wo Jan die Lawine angestoßen hat, springt die Mutter ihm zuliebe über ihren Schatten und gibt plötzlich preis, was sie ihrem Sohn eigentlich erst auf dem Sterbebett hatte erzählen wollen. Doch Tabus gibt es noch immer: Die Mutter will, dass er den Großeltern davon lieber nichts erzählt. Die Großeltern wiederum, gar nicht allzu sehr schockiert, als Jan ihnen diese Tatsache doch eröffnet, geben ihm wiederum den gut gemeinten Ratschlag, dem bisherigen vermeintlich biologischen Vater besser nichts davon zu erzählen, denn der könnte doch die Alimente zurückfordern.

Inmitten dieses emotionalen Chaos der zwischenmenschlichen Beziehungen findet sich Jan und bekommt allmählich Schiss vor seiner eigenen Courage. In einer emotionalen Diskussion mit seinen Geschwistern und Eltern am Küchentisch brechen seine Zweifel und seine Unsicherheit aus ihm heraus. Dabei thematisiert der Film ganz nebenbei auch das Filmemachen selbst, das Selbstverständnis eines Dokumentarfilmers, mit der Kamera dabei zu sein: Wenn er es schon problematisch findet, mit der Kamera in kritischen Situationen vor Familienmitglieder zu treten, wie soll er denn dann bitte als Regisseur erst auf fremde Leute zugehen? Sein ganzes Dasein sieht Jan plötzlich in Frage gestellt. Doch er lässt nicht locker. Jürgen, sein Stiefvater unterstützt ihn dabei, wo er kann. Und dann prescht seine Mutter (die sich selbst als „Schisser“ bezeichnet) in herbeigeführten Konfrontationen mit dem falschen und mit dem biologischen Vater mit einer, sicherlich ihrer Unsicherheit geschuldeten, wortreichen Vehemenz nach vorne, die den Zuschauer die Luft anhalten lässt. Schließlich wird hier einem Mann nach 30 Jahren eröffnet, dass er gar nicht Vater des Kindes ist, für das er pflichtbewusst Alimente zahlte und zu dem er gerade eine Beziehung aufbauen will. Der andere Mann namens Harald, von dessen Existenz Jan gerade erst erfahren hat, wird genauso schlagartig mit einem Sohn konfrontiert, von dem er absolut nichts ahnte. Und auch Jan, durch dies alles aufs Tiefste erschüttert, muss in diesen Situationen erst einmal mit seinen Gefühlen ankommen.

Jan Raiber hat für seinen Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg seinen ganzen Mut zusammen genommen und wird am Ende dreifach dafür belohnt: Mit einem durchweg gelungenen, dramaturgisch starken Dokumentarfilm, mit einer zusammengewachsenen Familie, die jetzt mit neuer Offenheit miteinander umgehen dürfte und schließlich mit einer unverhofft gefundenen Beziehung zu seinem leiblichen Vater.
 

Alle meine Väter

Jans Vater ist gar nicht sein Vater. Jan weiß das und nimmt diese Tatsache als Ausgangspunkt für ein sehr persönliches Dokumentarfilmprojekt über die Suche nach seinem biologischen Vater. Der in nur zweieinhalb Wochen Drehzeit entstandene Dokumentarfilm „Alle meine Väter“ ist eine wahre Überraschung — nicht nur für den Zuschauer.

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Meinungen

lars · 26.07.2010

sehr guter fim, hat mich sehr berührt, unbedingt ansehen