Aguirre, der Zorn Gottes

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Es gibt Filme, die stehen derart stark im Zeichen des Hauptdarstellers, dass viele andere Aspekte dabei – nicht selten zu Unrecht – in den Hintergrund treten. Ein Akteur, auf den dieses Phänomen sicherlich mehrfach zutrifft, ist der enorm ambivalent rezipierte deutsche Schauspieler Klaus Kinski (1926-1991). Auch in dem historisch inspirierten Spielfilm Aguirre, der Zorn Gottes (1972) von Werner Herzog, dessen berühmt-berüchtigte Kooperationen mit Kinski reich an skandalösen Anekdoten sind und in der Dokumentation Mein liebster Feind (1999) ausführlich vom Regisseur reflektiert werden, ist es die gewaltige Dominanz des exzentrischen Mimen, die den gesamten Film prägt. Und es ist kein geringes Vergnügen, allein die Gesichtszüge dieses Mannes in ihren wandelbaren Ausprägungen zu betrachten, und auch wenn der Film noch ganz andere fesselnde Bilder zu bieten hat, brilliert Kinski schlichtweg als gnadenloser, zorniger und letztlich verlorener Eroberer in einer seiner stärksten Rollen.
Im Jahre 1560 schlängelt sich eine spanische Expedition durch den Urwald Perus am Amazonas auf der Suche nach dem legendären El Dorado, wo sagenhafte Goldschätze vermutet werden. Die Anfangsszene von Aguirre, der Zorn Gottes zeigt die lange und imposante Prozession von Soldaten, Geistlichen, zwei mitreisenden Frauen in Sänften, einheimischer Helfer und Sklaven mit den Reiseutensilien – ein eindrucksvolles Bild im Morgennebel einer wildwüchsigen, unwegsamen Landschaft, das sicherlich zu den großen Impressionen der Filmgeschichte gehört. Der Befehlshabende des Trupps, Gonzalo Pizarro (Alejandro Repullés), entscheidet auf Grund der sich verschärfenden Nahrungsknappheit, einen Teil der Expedition abzuspalten und vorauszuschicken, erfahrene Soldaten, die zudem den weiteren Verlauf der beschwerlichen Reise auskundschaften sollen.

Unter ihnen ist zuvorderst der rebellische wie charismatische Lope de Aguirre (Klaus Kinski), dessen Tochter Flores (Cecilia Rivera) ihn auf seiner Mission begleitet. Aguirre, der die Stimmungen und Vorgänge der angespannten Gesellschaft genau beobachtet, nutzt die erste günstige Gelegenheit, um einen Umsturz anzuzetteln, nach dem er kurzerhand den überraschten und leicht zu beeinflussenden Fernando de Guzmán (Peter Berling) an Pizarros Position komplementiert. Doch immer offensichtlicher ist es der ehrgeizige und skrupellose Aguirre, der strategisch über das Schicksal der Expedition bestimmt, die sich zunehmend zu einem geisterhaft anmutenden Überlebenskampf entwickelt, vom symbolträchtigen Wahnsinn und den Visionen Aguirres beherrscht, die letztlich in eine tumbe Orientierungslosigkeit münden.

Die unverhohlene, zutiefst inhumane Gier des Kolonialismus mit seiner fadenscheinigen christlichen Mission steht hier am Pranger eines Abenteuerfilms, der Aguirre, der Zorn Gottes zweifellos auch ist. Ein abstoßender Held, der die Scheinheiligkeiten und Brutalitäten der gesamten Expedition demaskiert, steht hier im Blickpunkt, ein wütender Eroberer, der sich weder um Gott, noch um die Menschen schert, die seinem Größenwahn im Weg stehen. Da erscheint die indigene Bevölkerung Perus, die sich gegen die Invasion zur Wehr setzt, überweigend im Verborgenen, nur repräsentiert im Akt des Widerstandes oder wiederum sichtbar in gedemütigter Position, die mit grausamer Nachhaltigkeit an ihnen haftet.

Der anregende Audiokommentar von Werner Herzog und dem Filmemacher Laurens Straub, der als Extra auf der DVD enthalten ist, zeugt davon, dass nicht nur das Filmgeschehen, sondern auch die Dreharbeiten von schwindelnden Abenteuern geprägt waren. Zu allen logistischen Schwierigkeiten, die das kleine Team mit einer großen Anzahl an eher zufällig anwesenden Laien zu bewältigen hatte, gesellte sich die Tyrannei Klaus Kinskis, der nicht nur mit dem Regisseur ganz derbe aneinander geriet, sondern auch die anderen Anwesenden emphatisch schikanierte. Werner Herzog schildert mit einem milden Zynismus, dass Kinski sich allerdings auch gelegentlich entschuldigt habe, beispielsweise als er Mitwirkende der indigenen Kooperative Lauramarca derart heftig an ihrer massiven Halsfessel zog, dass schmerzhaft einschneidende Markierungen entstanden. So stellt Aguirre, der Zorn Gottes in vielerlei Hinsicht einen kuriosen, berührenden Film dar, dessen Dramaturgie sich nicht selten den Naturgewalten untergeordnet hat, mit seinen grandiosen Bildern ebenso wie mit seinen abscheulich-abstoßenden Aspekten.

Aguirre, der Zorn Gottes

Es gibt Filme, die stehen derart stark im Zeichen des Hauptdarstellers, dass viele andere Aspekte dabei – nicht selten zu Unrecht – in den Hintergrund treten. Ein Akteur, auf den dieses Phänomen sicherlich mehrfach zutrifft, ist der enorm ambivalent rezipierte deutsche Schauspieler Klaus Kinski (1926-1991).
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