Adele Spitzeder

Eine Filmkritik von Marie Anderson

In der deutschen Filmszene war Wilhelm Rabenbauer (1940-2007) unter seinem Künstlernamen Peer Raben vorrangig als Komponist von Filmmusik bekannt, wobei die Arbeiten für Rainer Werner Fassbinder sicherlich zu seinen berühmtesten zählen. Er schuf die unvergessenen Melodien zu Berlin Alexanderplatz (1980), doch auch jenseits des Dunstkreises um Fassbinder komponierte Peer Raben die Musik für Filme von Regisseuren wie Percy Adlon, Robert van Ackeren, Rosa von Praunheim und Doris Dörrie und wurde 2006 von der belgischen World Soundtrack Academy für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Neben gelegentlichen Auftritten als Schauspieler und schon mal als Produzent hat der Komponist bei Die Ahnfrau – Oratorium nach Franz Grillparzer (1971), Adele Spitzeder (1972) und Heute spielen wir den Boß (1981) auch Regie geführt, wobei die Verfilmung der historischen Figur Adele Spitzeder, die bisher nur im Fernsehen gezeigt wurde, im Rahmen der Filmverlag der Autoren Edition nun erstmals auf DVD erscheint.
Die Schauspielerin Adele Spitzeder (Ruth Drexel) zieht mit ihrer jungen Freundin Emilie (Ursula Strätz), die von zu Hause fortgelaufen ist, sowie ihrem Hab und Gut in einem Koffer 1870 auf der Suche nach einer Unterkunft durch die Pensionen Münchens, doch es ist für Frauen zu dieser Zeit nicht einfach, eine bezahlbare Bleibe zu finden. Schließlich vermietet ihnen der misstrauische Wirt des einfachen Hotels „Zum Blauen Bock“ (Peter Kern) ein Zimmer, und die beiden genießen zunächst üppig das Leben in der großen Stadt. Bald sind die kargen Ersparnisse aufgebraucht und es muss dringend Geld her, doch Adele als energischer Kopf des Pärchens schließt es unumwunden aus, für wenig Lohn arbeiten zu gehen, und spricht bei den einschlägigen Geldverleihern vor, die allerdings horrende Zinsen verlangen, zumal Adele keinerlei Nachweis über die angeblich anstehende Erbschaft aus Amerika hat, die sie vorgibt zu erwarten.

Durch die Bekanntschaft mit einer Frau in ähnlicher Situation (Monica Bleibtreu), die sogleich ihre erste Kundin wird, verfällt die verschlagene Adele auf die kuriose Idee, schlicht ihrerseits äußerst großzügige Zinsen für Barschaften zu gewähren, die ihr anvertraut werden. Da sie dabei bereit ist, vorab schon die üppigen Zinsen für eine kleine Weile sofort auszuzahlen, hat sie rasch stark anwachsenden Zulauf innerhalb der armen Bevölkerung, die der allzu überzeugend auftretenden Frau geradezu blind vertraut. In rasantem Tempo entwickelt sich daraus ein unkonventionelles, schier unüberblickbares Geldgeschäft, und Adele avanciert zu einer weithin bekannten, bestens betuchten Persönlichkeit, bei der nach und nach auch die feine Gesellschaft ihre Finanzen einlagert. So wird die vom Volk glorifizierte Spitzeder zu einer ernsthaften Konkurrenz für die Banken, die alles daransetzen, ihre unseriösen Umtriebe stoppen zu lassen, aber mittlerweile hat Adele sich „Freunde“ in einflussreichen Kreisen gemacht, die in dem hochherrschaftlichen Haus verkehren, das sie sich prunkvoll eingerichtet hat. Doch eines Tages ersinnen ihre Widersacher eine pfiffige Finte, um die Betrügerin zu überführen …

Konstruiert nach den tatsächlichen Begebenheiten des wohl größten deutschen Finanzskandals des 19. Jahrhunderts stellt Adele Spitzeder ein spannend inszeniertes Lehrstück über skrupellose Dreistigkeit einerseits und blauäugige Gutgläubigkeit andererseits dar, das ganz von der bemerkenswert überzeugenden darstellerischen Leistung Ruth Drexels getragen wird. Die Person der Adele Spitzeder wird hier als ebenso gewissenlose wie charismatische lesbische Lebefrau gezeichnet und kommt am Ende – im Film und im Leben – recht glimpflich davon, wenn man bedenkt, welch gewaltigen finanziellen Schaden sie Tausenden von Menschen zugefügt hat, von denen sich einige daraufhin das Leben nahmen. So unerhört wie schlicht war ihre Methode, rasch ans ganz große Geld zu kommen, dass gerade in diesen Zeiten der dramatischen finanziellen Nöte vor potentiellen NachahmerInnen vorsorglich dringend gewarnt werden muss, auch wenn zu befürchten ist, dass ähnliche, lediglich weniger spektakuläre Strategien gerade wieder Hochzeiten feiern.

Adele Spitzeder

In der deutschen Filmszene war Wilhelm Rabenbauer (1940-2007) unter seinem Künstlernamen Peer Raben vorrangig als Komponist von Filmmusik bekannt, wobei die Arbeiten für Rainer Werner Fassbinder sicherlich zu seinen berühmtesten zählen.
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