Abgebrannt

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

In die Enge getrieben

Pelin (Maryam Zaree) ist eine junge Deutsch-Türkin. Sie lebt in Berlin-Wedding, hat drei kleine Kinder von drei unterschiedlichen Männern und bezieht Hartz IV. Allein die Kurzbeschreibung der Hauptfigur in Verena S. Freytags Film Abgebrannt genügt, um eine ganze Reihe von Klischees und Assoziationen aufzurufen, die man im Allgemeinen mit solch einer prekären Lebenssituation in Verbindung bringt. Und tatsächlich, am Anfang des Filmes scheinen sie sich alle zu bewahrheiten.
Überfordert ist Pelin mit ihrem Leben. Hoch verschuldet und stets müde kann sie nur noch mit Mühe ihre kleine Familie aufrecht erhalten. Die Kinder zerren an ihren Nerven, der Geldmangel und die Aussichtslosigkeit ebenso. Sie ist gefangen in einem Leben, dass sie nicht leben will. Viel lieber wäre sie die coole Tätowiererin und würde mit ihrem Freund Edin (Lukas Steltner) abhängen, der sie nur abends besucht, soll wenn die Kinder schlafen. Er ist Drogendealer und ebenso überfordert wie die junge Mutter. Die Situation kippt, als Pelins kleiner Sohn Elvis Tabletten in Edins Jacke findet und fast an einer Überdosis stirbt. Die Kinder werden daraufhin vom Jugendamt mitgenommen, Pelin muss vor Gericht und kann nur gerade so die Richterin überzeugen, dass man ihr die Kleinen zurück gibt und sie gemeinsam eine Mutter-Kind Kur machen. Irgendwo im Norden soll sie ihr Leben in den Griff kriegen. Dort angekommen trifft sie auf Christa (Tilla Kratochwil), ihrem deutschen Gegenentwurf. Tilla ist überkontrolliert, hält sich an alle Regeln und hat scheinbar alles im Griff. Doch auch hier findet Pelin keine Ruhe. Edin reist ihr nach, im Gepäck Drohungen, die Pelin gefügig machen sollen und Kokain.

Abgebrannt ist eine leise, aber ungemein kraftvolle Charakterstudie über Menschen in einem Sozialstaat, der zwar einerseits Hilfe anbietet, andererseits aber auch eine Bürde ist. Die von seiner Hilfe Abhängigen befinden sich im Niemandsland zwischen Hartz IV Beiträgen, die zu wenig sind zum Leben, aber gerade so überleben lassen. Hinzu kommt das Stigma, die unendlichen behördlichen Befindlichkeiten, Gesetze, Erlasse, Ermahnungen – ein Kreislauf, der das Individuum zermürben kann.

Auch die Hauptfigur ist tief gefangen in ihrem eigenen Chaos, das durch den Staat teils noch schlimmer gemacht wird. Leise kommen die Dramen in diesem Film daher und nie werden sie pathetisch. Eher nüchtern zeigen sich die Erschütterungen, die die junge Mutter zusehends in die Enge treiben. Freytag wählt ihr Kameraeinstellungen mit viel Bedacht, oft wimmelt es nur so von Kindern, Objekten und Hindernissen, durch die sich die zarte Pelin schlängeln muss. Dann wieder Momente totaler Freiheit, Luft und kurzer Ruhe. Die eingeengte Lebenssituation, das permanente Kinderwuseln, das jegliche Möglichkeit in Ruhe nachzudenken zunichte macht, all das überträgt sich regelrecht auf den Zuschauer. Eine körperlich spürbare Unruhe und Verzweiflung macht sich hier Platz, weshalb Abgebrannt auch ungewöhnlich tief in das emotionale Zentrum einzudringen vermag.

Doch anders als zunächst befürchtet hütet sich der Film vor Klischees. Vor allem die Hauptfigur Pelin (grandios verkörpert von Maryam Zaree) hat so viele kleine Facetten, dass sich die typischen Hartz IV Assoziationen alsbald verflüchtigen und dem Zuschauer ein ganzes Kaleidoskop an menschlicher Emotionen vermitteln, die zu einem genaueren Hinschauen und zum Ablegen voreilig gebildeter Meinungen einladen.

Abgebrannt ist ein wichtiger und gelungener gesellschaftspolitischer Kommentar, der viel Platz lässt für eigene Gedanken und Interpretationen. Der Film gewann den Drehbuchpreis des Max Ophüls Filmfestivals 2011 und wurde beim Achtung Berlin – New Berlin Film Award Filmfestivals mit dem Hauptpreis ausgezeichnet.

Abgebrannt

Pelin (Maryam Zaree) ist eine junge Deutsch-Türkin. Sie lebt in Berlin-Wedding, hat drei kleine Kinder von drei unterschiedlichen Männern und bezieht Hartz IV. Allein die Kurzbeschreibung der Hauptfigur in Verena S. Freytags Film „Abgebrannt“ genügt, um eine ganze Reihe von Klischees und Assoziationen aufzurufen, die man im Allgemeinen mit solch einer prekären Lebenssituation in Verbindung bringt.
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Meinungen

verena S. Freytag · 23.04.2011

Hallo, mein Film wird im September 2011 vom Missing Films Verleih ins Kino gebracht. Ein Kinostart steht also fest!!!!!