A Gang Story (2011)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Eine Frage der Ehre, toujours

Es beginnt mit einer Kiste Kirschen, die Serge und Momon im April 1964 klauen, halb aus dem Auto heraus, eine Idee in leicht angetrunkenem Zustand, und als viel zu deutliche Strafe und Warnung, aber auch ein Gutteil aus offenem Rassismus heraus – Momon ist ein Roma und deshalb schon in der Schule beschimpft worden, so sind er und der damals dickliche Serge sich nähergekommen –, landen die beiden für ein paar Monate im Gefängnis. So fangen Karrieren an.

Les Lyonnais – international A Gang Story – erzählt die Geschichte einer Gangsterbande in fast schon epischer Breite, konzentriert auf das Verhältnis der zwei Freunde Serge und Momon, und ist zugleich vor allem nostalgisch angehauchter Rückblick auf eine Vergangenheit, die hier mit allen Möglichkeiten des Ausstattungskinos zelebriert wird – Kopfsteinpflaster glänzt, und darüber knattern die wunderschönen französischen Autos der frühen 1970er Jahre. Allein das schon ist ein Genuss.

Immer wieder geht der Blick zurück und wechselt dabei zwischen der Perspektive persönlicher Erinnerung, in der sich Momon (Gérard Lanvin) an sein jüngeres Ich (Dimitri Storoge) und dessen Abenteuer erinnert, und mit Daten und Orten untertitelten Montagen, die kommentarlos, aber stets aus Perspektive der Gangster, einen erfolgreichen Überfall an den anderen reihen. Olivier Marechal orientiert sich in seinem Film dabei lose an der Geschichte der „Gang des Lyonnais“, die in den späten 1960er und den 1970er Jahren eine Reihe von spektakulären Raubüberfällen verübten – auch wenn diese anscheinend unblutiger und mit weniger Waffeneinsatz vonstatten gingen, als Les Lyonnais es suggeriert.

Die Actionszenen sind Momente hoher Intensität, die die Gewalt nicht glorifizieren: Blut fließt, aber es ist rasch vorbei, die Leichen schnell ausgeblendet. Der Film folgt da dem Blick seines Protagonisten Momon, der viel mehr leidet unter den folternden Schlägen, die seine Kameraden von der Polizei bekommen als unter den toten Polizisten. Schießereien, Mord und Körperverletzung werden als Handwerkszeug der Gangster ohne großes Federlesen verrichtet – hier agieren Männer, in deren Leben Probleme, zumal zwischen Männern, nicht mit Worten, sondern mit Taten gelöst werden und Gewalt ein allfälliges Mittel dazu ist.

Der filmische Rückblick, die Selbstvergewisserung des Protagonisten Momon über seine Vergangenheit und was sie bedeutet haben mag, wird dadurch in Gang gesetzt, dass während der Taufe seines Enkelkindes sein alter, brüderlicher Freund Serge (Tchéky Karyo) aus der Versenkung auftaucht und sofort von der Polizei verhaftet wird – die Kriminalpolizei hat einen neuen Chef (Patrick Catalifo), der es mit seiner Arbeit sehr ernst meint. Serge hat aber auch einen anderen Gangster wohl um Geld betrogen – und Momon, der eigentlich seit Jahren den illegalen Geschäften abgeschworen hat, will nun Serge sowohl vor dem Gefängnis als auch vor den gedungenen Mördern beschützen.

Natürlich bleibt es nicht friedlich – Les Lyonnais handelt auch davon, wie unmöglich dieser Schritt für Momon ist. Der Ehrenkodex, der seinem Dasein zugrunde liegt, ist klar, aber Verstöße werden dann auch schnell rücksichtslos geahndet. Als Momon erfährt, dass der Ehemann von Serges Tochter diese schlägt, verprügelt er ihn mit einer Boule-Kugel – Serge selbst wird ihm später ohne Zögern in den Kopf schießen. Weil es für die Männer keine Alternative gibt zu dieser Art der Auseinandersetzung, haben sie letztlich auch keine Möglichkeit, diesem Leben zu entfliehen.

Momon wünscht sich das eigentlich für seinen Sohn und dessen Kind, zieht ihn dann aber doch wieder mit hinein in die Ereignisse; und als eine bestimmte Aktion in einem blutigen Desaster endet, belügt er seine Frau und vor allem sich selbst: Er habe den Auftrag an andere gegeben, und diese hätten es ganz falsch angefangen. Aber Momons Ehren- und Verhaltenskodex zwingt ihn immer weiter in dieser Spirale, in der alle Akteure keine Handlungsweise außer Gewalt kennen. Die Zuspitzung steckt dann natürlich schließlich in der Frage, ob alle, auf die Momon zählt, sich auch ihrerseits an die gleichen Regeln halten. Nur dann schließlich hat der Kodex überhaupt einen Sinn.

Früher, sagt der Kommissar einmal zu Momon, hatte selbst das Wort eines Verbrechers noch Gewicht. Dabei schwingt mit, dass es heute nicht mehr so sei; aber Les Lyonnais stellt doch etwas klarer die Frage, auf wen man sich denn je verlassen konnte. Die stellenweise etwas zu grelle, aber doch sehr nostalgische Inszenierung der Vergangenheit, die der Film selbst anbietet, könnte damit am Ende entlarvt sein als hübsche Erzählung, die sich die Welt zurecht biegt, um die Brüche nicht sehen zu müssen.

Marechals Sprung von den Polizeifilmen, die er bisher gemacht hat (zuletzt etwa MR 73), ist deshalb womöglich gar nicht so groß. Zwar nimmt er in Les Lyonnais konsequent die Perspektive des Verbrechers ein, aber es ist eben ein Verbrecher, wenn schon nicht mit Gewissen, dann doch mit einer gewissen Ehre. Die Verrohung, die aus den Gewalttaten heraus entsteht, verleugnen Hauptfigur wie Film ein ganzes Stück weit – aber dass man mit Momon am Ende in einer moralisch vieldeutigen Situation zurückbleibt, macht den Film wohl nur besser.
 

A Gang Story (2011)

Es beginnt mit einer Kiste Kirschen, die Serge und Momon im April 1964 klauen, halb aus dem Auto heraus, eine Idee in leicht angetrunkenem Zustand, und als viel zu deutliche Strafe und Warnung, aber auch ein Gutteil aus offenem Rassismus heraus – Momon ist ein Roma und deshalb schon in der Schule beschimpft worden, so sind er und der damals dickliche Serge sich nähergekommen –, landen die beiden für ein paar Monate im Gefängnis. So fangen Karrieren an.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen