99 Homes - Stadt ohne Gewissen

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Von Gewinnern und Verlierern

Der Charaktermime Michael Shannon hat im Laufe seiner Schauspielkarriere schon zahlreiche Schattierungen von Sozio- und Psychopathie verkörpert. Auch in 99 Homes – Stadt ohne Gewissen gibt er den Antagonisten. Er erweitert seine Rollenbiografie damit um einen besonders heimtückischen Typus des Bösen: den Pragmatiker. Der von Shannon interpretierte Immobilienmakler Rick Carver ist ein Mann, der sich die US-Finanz- und Immobilienkrise zunutze macht. Das Schicksal seines Vaters hat ihn einst gelehrt, dass die Vereinigten Staaten von Amerika niemals den ‚Verlierern‘ helfen; deshalb tut er alles, um zu den ‚Gewinnern‘ zu gehören. Trotz Carvers tragischer Hintergrundgeschichte versucht Shannon nicht, das Mitgefühl des Publikums zu erringen. Er verleiht dem stets elegant gekleideten Geschäftsmann eine Gnadenlosigkeit und Konsequenz, wie man sie von dem Corporate Raider Gordon Gekko aus Oliver Stones Wall Street kennt.
Der junge Handwerker Dennis Nash (Andrew Garfield) ist die Kontrastfigur zu Carver: „Wir sind die Guten“, versichert er seinem Sohn Connor (Noah Lomax). Doch trotz harter Arbeit auf Baustellen gelingt es dem alleinerziehenden Vater nicht, die Raten für das Haus, in dem er mit Connor und seiner verwitweten Mutter Lynn (Laura Dern) wohnt, an seine Bank zu zahlen. Alsbald steht Carver als Vertreter der Bank mit einer Gruppe von Cops und Tagelöhnern vor der Tür der Nashs und fordert die Kleinfamilie dazu auf, umgehend das Grundstück zu räumen. Das zwangsenteignete Trio strandet in einem Motel; Dennis bemüht sich erfolglos um Jobs. Ausgerechnet Carver macht ihm schließlich ein lukratives Angebot, das Dennis widerwillig annimmt. Er hofft, auf diesem Wege sein Elternhaus zurückerlangen zu können.

Nachdem sich der Indie-Regisseur Ramin Bahrani in seinem vorherigen Werk Um jeden Preis mit dem Agrarmilieu in Iowa befasste, widmet er sich nun dem suburbanen Umfeld in Florida. Hinsichtlich des Sujets bleibt sich der Filmemacher jedoch – auch unter Berücksichtigung seiner früheren low-budget-Produktionen – treu: Er erzählt von der Angst um die eigene Existenz. Das Platzen der US-Immobilienblase, das in Adam McKays The Big Short im Gewand einer rasanten Farce präsentiert wurde, wird in 99 Homes anhand zweier Figuren geschildert, die grob betrachtet als ‚(Mit-)Täter‘ und ‚Opfer‘ bezeichnet werden können. Die Entwicklung des idealistischen Protagonisten im Kampf um dessen Heim vollzieht sich recht vorhersehbar; obendrein vermag die Zuspitzung des Konflikts im finalen Akt nicht ganz zu überzeugen. Dennoch hat das Sozialdrama einige starke Momente – etwa wenn die Kamera die angespannte Atmosphäre in Stresssituationen wie der Zwangsräumung einfängt. Diese erleben wir mal aus der Sicht derer, die ihr Grundstück verlassen müssen, mal aus der Sicht derer, die zu diesem Schritt auffordern. Bahrani und sein Kameramann Bobby Bukowski schaffen es, die unterschiedlichen Positionen und Gefühlslagen der Beteiligten in diesen beklemmenden Sequenzen anschaulich zu machen.

Andrew Garfield kann sich in seinem weniger vielschichtigen Part neben Michael Shannon behaupten, da er in seiner Darstellung die Wut und Verzweiflung zu vermitteln versteht, die Dennis dazu antreiben, sich auf einen ‚Pakt mit dem Teufel‘ einzulassen. Ebenso wertet die wie üblich intensiv agierende Laura Dern die vergleichsweise blasse Rolle der Mutter auf, der es in erster Linie obliegt, als Gewissen von Dennis zu fungieren. Das Schauspieltrio trägt dazu bei, dass 99 Homes alles in allem ein mitreißender Film über ein gesellschaftspolitisch relevantes Thema ist.

99 Homes - Stadt ohne Gewissen

Der Charaktermime Michael Shannon hat im Laufe seiner Schauspielkarriere schon zahlreiche Schattierungen von Sozio- und Psychopathie verkörpert. Auch in „99 Homes – Stadt ohne Gewissen“ gibt er den Antagonisten. Er erweitert seine Rollenbiografie damit um einen besonders heimtückischen Typus des Bösen: den Pragmatiker. Der von Shannon interpretierte Immobilienmakler Rick Carver ist ein Mann, der sich die US-Finanz- und Immobilienkrise zunutze macht.
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