7 Jungfrauen

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Vom Widerschein der harten Realitäten im Barrio

„Und nun? Setzen wir unser Leben aufs Spiel? / Sieben Jungfrauen hüten den Spiegel / vor dem zwei Kerzen nachtwachen / und deinen Widerschein anfachen 57…58…59…60“.
Diese letzten Zeilen des Titelsongs, den der spanische Rapper Haze für den Film 7 Jungfrauen / 7 Vírgenes von Alberto Rodríguez kreiert hat, verweisen auf einen alten andalusischen Volksglauben mit Orakelfunktion: „Um `Sieben Jungfrauen´ zu spielen, musst Du zwei Kerzen vor einem Spiegel aufstellen und Dich 60 Sekunden anstarren, wie bei einem Countdown. Dein Spiegelbild wird Dir dann die Zukunft voraussagen …“ Wie unwegsam sich die Zukunft für einen Jugendlichen und seine Freunde aus dem Barrio von Sevilla innerhalb zweier schicksalshafter Tage gestalten kann, führt uns der Film in engagierter, aber unsentimentaler Weise vor Augen.

Unter den üblichen Ermahnungen werden dem 16jährigen Tano (Juan José Ballesta) zwei Tage Urlaub von der Strafvollzugsanstalt gewährt, damit er die Hochzeit seines Bruders Santacana (Vincente Romero) mitfeiern kann. Doch in Tanos Augen glitzert nur das Wörtchen FREI, und er gedenkt die knappe Zeit exzessiv mit seinem besten Freund Richi (Jesús Carroza), seiner Freundin Patri (Alba Rodríguez) und den anderen Jungs aus dem Viertel zu verbringen. Und das bedeutet, sich gierig und kräftig zu amüsieren, sich lärmend herumzutreiben, zu trinken und Drogen einzuwerfen sowie wilden Sex zu haben, aber auch, in die nahezu alltägliche Kriminalität und in Streitigkeiten unter den jugendlichen Banden des Ghettos einzutauchen. Erneut mit der rauen Realität seiner gewohnten Umgebung konfrontiert begreift Tano, dass er nicht mehr ganz der Alte ist, der er vorgibt zu sein. In sein rauschhaftes Zelebrieren alter Muster schleichen sich Augenblicke des Innehaltens und der Distanz, denn seine Zeit im Knast ist nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Und es beginnt ein innerer und äußerer Kampf für Tano zwischen der plötzlichen Erkenntnis, eine Wahl zu haben, und der verbindenden, verführerischen und wärmenden Loyalität zu den scheinbar unentrinnbaren Gesetzen seiner Herkunft.

7 Jungfrauen / 7 Vírgenes ist der dritte Spielfilm von Alberto Rodríguez, der für seine ersten beiden Werke El Factor Pilgrim / The Pilgrim Factor (2000) und El Traje / Der Anzug (2002) bereits vielfältig ausgezeichnet wurde. Rodríguez, der selbst aus Sevilla stammt, riskiert mit seinem neuen Film einen engagierten, kenntnisreichen Blick auf das Leben von Jugendlichen im vorstädtischen Raum des Barrios, ohne die gängigen Klischees der kompromisslosen Verurteilung oder der romantischen Verklärung seiner Protagonisten zu bedienen. Den jungen Darstellern von 7 Jungfrauen / 7 Vírgenes, darunter einige Laien, gelingt ein authentisches, fesselndes Spiel des Ringens um ihre sich entwickelnde Identität innerhalb einer abweisenden Mittelstandsgesellschaft, von der sie allenfalls im Zusammenhang mit kriminellen Taten wahrgenommen werden. Und genau darin spiegelt sich das Anliegen des Regisseurs: Er will diese ”unsichtbaren”, gern ins tabuisierte Abseits gedrängten jungen Menschen in den Fokus rücken und neben ihrer Härte auch ihre Verletzlichkeiten zeigen. Die beeindruckende Leistung seiner Schauspieler wurde 2005 auf dem Festival in San Sebastian und 2006 mit dem spanischen ”Goya” ausgezeichnet.

Doch keinesfalls beobachtend oder gar belehrend kommt 7 Jungfrauen / 7 Vírgenes daher, sondern es ist ein rasanter, unmittelbar berührender Film im harten Jargon des Milieus, der von hitzigem Rap über das Wissen der Straße und klagend anmutenden Latin-Jazz-Rhythmen von Julio de la Rosa getragen wird. Die Geschichte um Tano, seine Freunde und seine Familie entwickelt ihre eindringliche Dynamik, ohne dass die Hintergründe beleuchtet oder Erklärungen forciert werden. Und immer wieder taucht das Symbol des Spiegels auf, in dem der Betrachter vielleicht seine Zukunft erkennen kann, vielleicht aber auch nur innehält, um einfach einen gründlichen Blick auf die Person darin zu werfen.

Angesichts der zunehmenden Problematisierung der Situation marginalisierter jugendlicher Randgruppen im urbanen Raum in zahlreichen Studien und Projekten stellt 7 Jungfrauen / 7 Vírgenes einen feinfühligen Beitrag über die wilde, widerstreitende Welt der jungen Menschen dar, die der permanent gegenwärtigen Ablehung ihrer Umgebung provokativ ihrerseits mit Abweisung begegnen. Ein spannender Film und einer der wenigen, der gleichermaßen für Jugendliche wie auch für deren Eltern empfehlenswert ist und der sich anbietet, einmal gemeinsam ins Kino zu gehen.

7 Jungfrauen

„Und nun? Setzen wir unser Leben aufs Spiel? / Sieben Jungfrauen hüten den Spiegel / vor dem zwei Kerzen nachtwachen / und deinen Widerschein anfachen 57…58…59…60“.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen